Angesichts der Migration über die Belarus-Route hat Bundesinnenminister Horst Seehofer in Aussicht gestellt, "falls notwendig" weitere Beamte der Bundespolizei im Grenzgebiet zu Polen einzusetzen. "An der deutsch-polnischen Grenze haben wir schon jetzt den Grenzschutz mit acht Hundertschaften Bundespolizei verstärkt", sagte der CSU-Politiker der "Bild am Sonntag". Falls notwendig, sei er bereit, dort noch weiter zu verstärken. "Wir werden den Grenzraum und die grüne Grenze zu Polen engmaschig kontrollieren", so der Bundesinnenminister.
Seehofer: Möglicherweise auch Grenzkontrollen
Seehofer machte auch deutlich, dass dort gegebenenfalls Grenzkontrollen erwogen werden könnten. In der vergangenen Woche habe Deutschland die Verlängerung der Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze für weitere sechs Monate in Brüssel angemeldet. "Sollte sich die Situation an der deutsch-polnischen Grenze nicht entspannen, muss auch hier überlegt werden, ob man diesen Schritt in Abstimmung mit Polen und dem Land Brandenburg gehen muss", sagte Seehofer. Diese Entscheidung werde auf die nächste Regierung zukommen.
An den Grenzen zwischen den 26 Ländern des Schengenraums gibt es eigentlich keine stationären Grenzkontrollen. In besonderen Gefahrenlagen sind allerdings Ausnahmen möglich. Seehofer sagte in dem Interview, dass es nach Möglichkeit innerhalb Europas gar keine Grenzkontrollen mehr geben sollte. Das gehe aber nur, wenn der Außengrenzschutz funktioniere.
EU: Belarus bringt Flüchtlinge an EU-Grenzen
Die Europäische Union beschuldigt den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, in organisierter Form Flüchtlinge aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze zu bringen. Lukaschenko hatte Ende Mai angekündigt, Migranten nicht mehr an der Weiterreise in die EU hindern zu wollen - als Reaktion auf verschärfte westliche Sanktionen gegen die ehemalige Sowjetrepublik. Seitdem mehren sich Meldungen über versuchte illegale Grenzübertritte an den EU-Außengrenzen zu Belarus sowie an der deutsch-polnischen Grenze. Am Freitag hatte die EU im Grenzstreit mit Belarus schärfere Sanktionen angekündigt.
Habeck: Polen beistehen und Flüchtlinge in EU verteilen
Der Co-Parteivorsitzende der Grünen, Robert Habeck, fordert Flüchtlinge, die derzeit von Belarus nach Polen kommen, aufzunehmen und in der Europäischen Union zu verteilen. Es gelte, Polen beizustehen, sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". "Und wir müssen daran erinnern, dass humanitäre Standards einzuhalten sind."
Die polnische Regierung unter der Führung der nationalkonservativen Partei PiS sei ihrerseits nie bereit gewesen, Flüchtlinge aus anderen EU-Ländern zu übernehmen. "Vielleicht denkt die PiS-Regierung ja um", sagte Habeck. Scharfe Kritik übte der Politiker aber am belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko. Er sei "ein Schleuser als Präsident" und setze Menschen für hybride Kriegsführung ein, sagte Habeck. Lukaschenko wolle, dass Europa die Sanktionen gegen sein Regime lockere. Dieser "Erpressung" dürfe die EU aber nicht nachgeben.
Kirchen: Menschen, nicht alleine lassen
Zuvor hatten auch die Kirchen gefordert, die Menschen an der belarus-polnischen Grenze nicht alleine zu lassen. "Die Menschenwürde gilt auch hier", sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm. Der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Franz-Josef Bode, erklärte, es sei von entscheidender Bedeutung, die bestehenden Kontakte zur polnischen Kirche zu nutzen.
Mehr unerlaubte Einreisen
Bis Donnerstag registrierte die Bundespolizei nach eigenen Angaben für den laufenden Monat 3.751 unerlaubte Einreisen mit einem Bezug zu Belarus. Im laufenden Jahr seien somit insgesamt 6.162 unerlaubte Einreisen mit Bezug zu Belarus durch die Bundespolizei festgestellt worden. Die deutsch-polnische Grenze ist dabei der Brennpunkt. Viele der dort ankommenden Migranten und Flüchtlinge stammen aus dem Irak, aus Syrien, dem Iran, Afghanistan und Pakistan. Laut Polens Grenzschutz gab es seit Anfang Oktober mehr als 12.000 Versuche einer illegalen Grenzüberquerung.
Seehofer hatte seinem polnischen Amtskollegen Mariusz Kaminski kürzlich gemeinsame deutsch-polnische Streifen an der Grenze - vor allem auf polnischer Seite - vorgeschlagen. Die Antwort aus Warschau blieb jedoch vage.
Polizei erteilt Rechtsextremen Platzverweise
Im Einsatz gegen einen sogenannten Grenzgang von Rechtsextremen an der deutsch-polnischen Grenze hat die Polizei in der Nacht zum Sonntag rund 50 Verdächtige aufgespürt. Diese Personen seien dem Umfeld der rechtsextremen Splitterpartei "Der Dritte Weg" zuzurechnen und offensichtlich dem Aufruf der Partei zu dem sogenannten Grenzgang gefolgt, wie die Polizei am Sonntagmorgen mitteilte. Die Partei wollte mit der Aktion im Raum Guben in Brandenburg gegen Migranten an der Grenze vorgehen. Bei der Überprüfung der aufgegriffenen Personen stellte die Polizei demzufolge auch Pfeffersprays, ein Bajonett, eine Machete und Schlagstöcke sicher.
Die größte Personengruppe, etwa 30 Menschen, sei bereits vor Mitternacht beim Dorf Groß Gastrose angetroffen worden. Außerdem habe man am Neiße-Damm einige Personen aufgespürt sowie vereinzelt im Stadtgebiet von Guben. Sie hätten allesamt Platzverweise für die Grenzregion um Guben im Landkreis Spree-Neiße erhalten. Die aufgegriffenen Personen stammten zum Teil aus der unmittelbaren Umgebung, etliche seien aber auch aus anderen Bundesländern angereist.
Polen demonstrieren gegen schlechte Behandlung von Migranten
Mit Sprechchören wie "Schande" und "Niemand ist illegal" haben allen voran polnische Mütter am Samstag in der Grenzregion zu Belarus gegen die schlechte Behandlung von Migranten - insbesondere von Flüchtlingskindern - demonstriert. "Wir können nicht tatenlos zusehen, wenn Kinder wochenlang in kalten, nassen, dunklen Wäldern auf polnischem Territorium ausharren", erklärten die Organisatoren der Veranstaltung auf Facebook.
Seit August haben tausende Menschen, mehrheitlich aus dem Nahen Osten und Afrika, versucht, von Belarus aus in die EU zu gelangen. Polen hat deshalb 6.000 Soldaten an der Grenze stationiert und einen Ausnahmezustand verhängt, der Journalisten und Hilfsorganisationen den Zugang zur Grenze verbietet. Asylsuchende und Migranten sitzen laut dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR seit Wochen "unter immer schlimmeren Bedingungen" an der Grenze fest. Mit dem nahenden Winter wird eine weitere Verschlechterung der Situation befürchtet.
Menschenrechtler: Lage für Migranten in Belarus schwieriger
In Belarus wird die Lage für Migranten auf dem Weg in Richtung EU nach Einschätzung von Menschenrechtlern immer angespannter. Mittlerweile hätten diejenigen, die es nicht über die Grenze nach Polen oder ins Baltikum geschafft haben, sich auf mehrere Städte des Landes verteilt, teilte die belarussische Menschenrechtsorganisation Human Constanta der Deutschen Presse-Agentur mit. In dem Land sollen sich etwa 15.000 Menschen aufhalten, die auf ihre Chance zur Weiterreise warten. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Die EU-Außengrenze wird immer stärker geschützt. Migranten können sie nur schwer überwinden.
Laut Human Constanta werden auf belarussischer Seite viele Menschen im Grenzgebiet festgehalten: "Nach Berichten von Migranten werden Gruppen im Wald an der Grenze bewacht." Sie würden gezwungen, die stark gesicherte Grenze nach Polen zu überqueren. Diejenigen, die das Gebiet zurück ins Landesinnere verlassen könnten, zögen in größere Städte, berichtete eine Sprecherin.
Den Menschenrechtlern zufolge versucht Belarus offenbar, den Zustrom von Migranten vor dem Winter zu begrenzen. Die Zahl der Flüge aus dem Irak sei zurückgegangen und es würden keine Touristen-Visa mehr ausgestellt. "Augenzeugen berichten jedoch, dass eine große Zahl arabischsprachiger Menschen mit Flügen aus der Türkei einreist." Human Constanta geht auch davon aus, dass viele über Russland einreisen.
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