Damit hat wohl niemand gerechnet – nicht nach den Reform-Stoppschildern der letzten Wochen, nicht so unvermittelt kurz vor Weihnachten: Katholische Priester dürfen künftig unverheiratete und gleichgeschlechtliche Paare segnen. Eine Kehrtwende um 180 Grad an der Spitze der katholischen Kirche, via Grundsatzdokument aus der obersten Glaubensbehörde, jener Stelle also, der einst Joseph Ratzinger vorstand, als sie noch Glaubenskongregation hieß.
Jener Stelle, die vor nicht einmal drei Jahren schon einmal ein Schreiben veröffentlichte, in dem sie die Segnung homosexueller Paare kategorisch ausschloss. Damals war der Chef dort noch ein anderer, heute ist es mit Kardinal Victor Manuel Fernández ein enger theologischer Berater von Franziskus.
Erst der Mensch, dann die Lehre
Und so ist es nicht verwunderlich, dass dieses Papier den Geist von Franziskus atmet, der sich seit seinem Amtsantritt vor bald elf Jahren vor allem als Seelsorger auf dem Stuhl Petri verstand. "Die Kirche ist keine Zollstation, sie ist das Vaterhaus, wo Platz ist für jeden mit seinem mühevollen Leben." So schrieb es Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben "Evangelii Gaudium". Es ist das Bild einer Kirche als Feldlazarett, das der Papst immer wieder bemüht. Oder um es kurzzufassen: Erst der Mensch, dann die Lehre.
Doch genau letztere wird auch unter Franziskus nicht geändert, auch jetzt im aktuellen Dokument nicht. Stattdessen wird sie noch einmal bestätigt. Es bleibt letztendlich bei einer diskriminierenden Sicht auf sich liebende Menschen: Da ist auf der einen Seite die Ehe, die es nur zwischen Mann und Frau geben und nur als solche öffentlich als Sakrament in der Kirche gefeiert werden kann. Auf der anderen Seite jene Beziehungen, die nicht dem Plan Gottes in seiner Schöpfung entsprechen, wie es heißt.
Das ist das große "Aber" an dieser Entscheidung aus Rom. Denn genau diese Sichtweise hat Folgen: Gesegnet werden dürfen unverheiratete und gleichgeschlechtliche Paare nicht im Gottesdienst. Dieser liturgische Segen bleibt Eheleuten vorbehalten. Also ein Segen zweiter Klasse?
Eine Revolution in der katholischen Kirche
Auf dem Papier ist es so. Doch in der Praxis wird wahrscheinlich oft kein Unterschied mehr gemacht werden. Das dürften auch viele jener Bischöfe und Kardinäle wissen, denen dieses vom Papst abgesegnete Dokument schon viel zu weit geht. Der Streit zwischen Reformern und jenen, die nichts ändern wollen, wird sich wohl verschärfen – in Deutschland, aber auch im Vatikan.
Denn eines ist klar: Die Tür, die nun aufgestoßen wurde, wird sich so schnell nicht mehr schließen lassen. Für die katholische Kirche ist es ist eine Revolution – so sehen es die Kirchenexperten: Der Theologe Michael Seewald nennt die Vatikan-Entscheid "bahnbrechend". Was die Entwicklung der Glaubens- und Morallehre angehe, "handelt es sich um die bedeutendste Neuerung seit dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils 1965", sagte Seewald dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Es finde damit eine Abkehr von der bisherigen moralischen Verurteilung homosexueller Beziehungen statt.
Kirchenrechtler: Papst Franziskus zeigt "klare Kante"
Der Kirchenrechtler Thomas Schüller von der Universität Münster erklärt zum Grundsatzpapier: "Was pastoral und liturgisch immer noch eine Farce ist, denn jede Segenshandlung ist eine gottesdienstliche Feier und darf nicht verborgen im stillen Kämmerlein, verschämt im Hinterzimmer des Pfarrers, geschehen, ist kirchenpolitisch ein wirklich bemerkenswerter Vorgang."
Papst Franziskus zeige mit der Entscheidung reaktionären Bischöfen und Kardinälen in den USA, Afrika, Asien und Ozeanien "klare Kante und beweist, dass die katholische Lehre verändert werden kann", so Schüller.
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