EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas (m.) neben US-Außenminister Marco Rubio (l.) bei der Münchner Sicherheitskonferenz
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Sicherheitskonferenz: Ein verstörtes Europa bleibt zurück

Sicherheitskonferenz: Ein verstörtes Europa bleibt zurück

Selten zuvor sind auf der Münchner Sicherheitskonferenz so tiefe Differenzen zwischen den USA und Europa zutage getreten wie an diesem Wochenende. Die Ukraine und die EU drohen von Trumps Vorgehen zur Seite geschoben zu werden. Eine Analyse.

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"Dies ist nun wirklich ein Wechsel einer Ära. Eine Zeitenwende", so fasste Friedrich Merz, der Unions-Kanzlerkandidat, die Stimmungslage der europäischen Teilnehmer zusammen. In München sei "viel deutlicher als je zuvor" den Europäern vor Augen geführt worden: "Wenn wir hier jetzt nicht wachgerüttelt werden, könnte es für die Europäische Union zu spät sein." Der Schock über den Auftritt der amerikanischen Delegation sowie der Entscheidungen ihres Präsidenten dürfte noch lange nachwirken.

"Weniger reden, mehr tun"

"Das müssen wir erstmal verdauen", bilanzierte Lettlands Staatspräsident Edgars Rinkevics am Sonntagvormittag die Wirkung des brüsken amerikanischen Auftretens in München auf die Europäer. Alle sollten jetzt einmal tief Luft holen und sich dann darauf konzentrieren, "was Ihr machen könnt".

Welchen Stellenwert haben die europäischen Partner Washingtons noch für Donald Trump? Hat Europa in den vergangenen drei Jahren trotz aller Bekundungen und auch nachweisbar großer Unterstützung der Ukraine immer noch nicht den "Schuss" gehört, viel umfangreicher ihre eigenen Verteidigungsfähigkeiten aufzubauen. Es waren diese selbstkritischen Fragen, die sich die Europäer stellen mussten. Denn man habe hier von den USA "sehr eindeutige Statements" dazu gehört, sagte der lettische Präsident.

Als Erstes, so riet der finnische Präsident Alexander Stubb unter ironischem Hinweis auf die landesüblichen Gebräuche, "sollten wir ein schönes Bad nehmen, dann eine gute Sauna". Danach aber "müssen wir hören, was die USA wollen". Europa dürfe Donald Trump und dessen Verhandlungsfähigkeiten nicht unterschätzen. Und eine weitere Brise nordeuropäischen Pragmatismus gab Stubb den zwischen Schock und Verstörung schwankenden Europäern mit auf den Heimweg: "Wir müssen weniger reden und mehr tun."

Trumps Abkehr von der transatlantischen Wertegemeinschaft

Es war nicht allein die apodiktische Entscheidung des US-Präsidenten, ohne vorherige Abstimmung mit den Verbündeten über die Köpfe der Ukrainer und der Europäer hinweg mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin direkte Gespräche über eine Beendigung des Krieges zu führen. Es war nicht nur das stakkatoartige "Trump-Tempo", mit dem Washington der Ukraine und den Nato-Partnern mitteilte, dass das angegriffene Land auf von Putins Truppen besetzte Gebiete ebenso zu verzichten hätte wie auf eine Nato-Mitgliedschaft. Was die europäischen Teilnehmer der Sicherheitskonferenz wohl am meisten verstörte und massiv irritierte, war die Abkehr der westlichen Führungsmacht von den Grundsätzen der sogenannten transatlantischen Wertegemeinschaft.

Dass Trumps Stellvertreter J.D. Vance in seiner Rede Europa als den eigentlichen Kontrahenten Amerikas ins Visier nahm und die angeblichen Demokratiedefizite der europäischen Verbündeten in die Nähe sowjetischer Unterdrückungsmethoden rückte, ließ die Europäer in München erschaudern. Die bisherige Gewissheit, dass sich die USA und die europäischen Nato-Partner für die gleichen Werte einsetzen, erhielt einen deutlichen Dämpfer. Die offenkundige Partei- und Einflussnahme des US-Vize-Präsidenten zugunsten der AfD, mit deren Co-Chefin Weidel sich Vance traf, sorgte sowohl bei Bundeskanzler Olaf Scholz als auch bei Friedrich Merz für harsche Kritik.

Im Video: Interview mit Konferenz-Chef Heusgen

 Konferenz-Chef Christoph Heusgen
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Selenskyj warnt Europa und braucht die USA

Wie kein zweiter Redner an diesem Wochenende erhielt der ukrainische Präsident, vom Vorgehen des US-Präsidenten unter Druck gesetzt und in die Enge getrieben, den anhaltendsten Beifall in München. In der akustischen Unterstützung für den eindringlichen Appell Wolodymyr Selenskyjs, der Abwehrkampf der Ukraine stelle das letzte Bollwerk vor einer weiteren Expansion Russlands nach Westen dar und Europa müsse sich auf dieses Szenario vorbereiten, spiegelte sich zweierlei wider: Die nachvollziehbare Sorge der europäischen Unterstützerstaaten der Ukraine, von Trump vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Sowie die Erkenntnis, der Ukraine in den vergangenen drei Jahren ohne eine erkennbare Strategie und zudem noch unzureichend zur Seite gestanden zu haben. Offen räumte Selenskyj ein, dass er an "Sicherheitsgarantien ohne die USA" nicht glaube.

So eindeutig der ukrainische Präsident auch darauf bestand, dass es ohne die Ukraine keine Verhandlungen über eine Einstellung der Kämpfe geben könne, so hörte er von europäischer Seite nur das Echo seiner Forderungen. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas formulierte den Anspruch, dass es ohne europäische Mitwirkung an einer künftigen Friedenslösung "keinen Frieden in Europa geben" könne. Die Ukraine müsse nicht nur an den bevorstehenden amerikanisch-russischen Gesprächen beteiligt werden, sondern auch über ihr Schicksal entscheiden können. Trumps Ukraine-Beauftragter, Ex-General Keith Kellogg, fing diese Ambitionen in München sehr rasch ein und brachte das Urteil der Trump-Regierung über die bisherige Ukraine-Politik des Westens auf den machtpolitischen Nenner: "As long as it takes, is not a strategy." Man müsse mit Gegnern sprechen. Das könne man sich nicht aussuchen.

Mahnung zur Besonnenheit

"Wir müssen erst einmal Klarheit haben, was die Amerikaner eigentlich wollen." Mit nordeuropäischer Nüchternheit rief Islands Staatspräsidentin Kristrun Mjöll Frostadottir ihre Amtskollegen zur Besonnenheit auf. Es habe "eine Menge heiße Luft" in den vergangenen Tagen gegeben und die Europäer sollten sicherstellen, dass sie auf das Zutreffende reagierten. Angesichts der überwiegend bedrückten Stimmung solle man sich nicht "von negativen Nachrichten" treiben lassen. Die Trump-Regierung sei erst wenige Wochen im Amt, gab auch der finnische Präsident Stubb zu bedenken. Es sei geradezu absurd, jetzt das gesamte Bündnis infrage zu stellen. Wichtig sei eben, dass Washington erkenne, dass Europa gegenüber Trump an verteidigungspolitischer Glaubwürdigkeit gewinne.

Im Video: Tag 3 der Münchner Sicherheitskonferenz

Christoph Heugen, Vorstand der Münchner Sicherheitskonferenz, spricht auf der Hauptbühne des 61. MSC
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Christoph Heugen, Vorstand der Münchner Sicherheitskonferenz, spricht auf der Hauptbühne des 61. MSC

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