Die SPD ist beim Bundesparteitag an diesem Samstag kaum wiederzuerkennen. Viele Wortmeldungen ähneln sich. Man sei "mit dem Rücken zur Wand gestanden", sagt Lars Klingbeil in seiner Bewerbungsrede um das Amt des Parteivorsitzenden. "Es gab Zeiten, da schien der Untergang der SPD unausweichlich", erinnert sich die alte und neue Co-Vorsitzende Saskia Esken. Nun, nach 16 Jahren, stellt die Partei wieder den Kanzler. Ein Fakt, den bis vor einigen Wochen noch kaum jemand für möglich gehalten hätte.
Zwei Jahre ist es her, als an selber Stelle die rund 600 Delegierten das Ergebnis der Mitgliederbefragung zum Parteivorsitz bestätigten und das Duo aus Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wählten. Damals war die Spaltung der SPD eine wirkliche Gefahr, das Ausscheiden aus der großen Koalition mit der Union stand zur Debatte. In Umfragen lag die Partei bei 13 Prozent und der um den Vorsitz unterlegene Olaf Scholz wurde auf dem Abstellgleis vermutet.
Neue Geschlossenheit in der SPD
Es ist der kleine Ausschnitt aus der Rede einer Frau, die nicht einmal zu den Hauptprotagonisten des Tages gehört, der die gute Stimmung in der SPD auf den Punkt bringt. Da steht Klara Geywitz, die neue Bundesbauministerin, am Rednerpult. Vor zwei Jahren hatte Geywitz zusammen mit Scholz gegen Esken und Walter-Borjans kandidiert. Nun spricht sie gleich zu Beginn ihrer Bewerbungsrede um einen der Stellvertreterposten Esken direkt an: "Wir sind vor zwei Jahren gestartet als Konkurrentinnen. Jetzt, nach zwei Jahren, kann man sagen, wir sind Kameradinnen und ich stehe zu 100 Prozent hinter dir."
2019, so bedrohlich die Situation damals auch schien, wurde wohl der Grundstein für den Erfolg gelegt. Der linke Flügel, der sich lange von der Seitenlinie über die Agendapolitik Gerhard Schröders beklagte, wurde durch die Personalien Esken, Walter-Borjans und nicht zuletzt auch den ehemaligen Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert mit eingebunden. Man beschloss, Hartz IV zu überwinden und schuf einen Gemeinschaftssinn, den es Jahrzehnte lang nicht mehr gegeben hatte. Von diesem Punkt aus war eine Versöhnung der SPD mit sich selbst möglich.
Klingbeil folgt auf Walter-Borjans
Nach der gewonnenen Wahl im September erklärte Norbert Walter-Borjans, dass er für eine zweite Amtszeit nicht zur Verfügung stehe und damit den Weg für Jüngere an die Spitze freimachen möchte. Lars Klingbeil, Generalsekretär und so etwas wie der Architekt der Wahlkampagne, machte schnell klar, dass er kandidieren will. 2019 fühlte er sich schon bereit, fand aber keine Tandempartnerin.
Klingbeil ist in weiten Teilen der Partei respektiert und vernetzt. Er gehört zum Seeheimer Kreis, also dem konservativen Flügel der SPD. Der Soldatensohn setzt sich für eine starke Bundeswehr ein und befürwortet zum Beispiel schon lange eine Bewaffnung von Drohnen. Trotzdem sympathisieren auch Jusos mit dem 43-Jährigen. Seit rund zwei Jahren spricht er an nahezu jedem Montagabend zusammen mit seinem Freund Kevin Kühnert in einem "Insta Live" über allerlei aus Politik, Gesellschaft und Sport.
Ein bisschen Obama auf dem Parteitag
In seiner Bewerbungsrede spricht Klingbeil über seinen schwierigen Weg als Generalsekretär. In den vergangenen vier Jahren habe er sechs Parteitage organisiert, acht Vorsitzende erlebt und nun Olaf Scholz ins Kanzleramt verholfen. Ein toller Erfolg, aber Klingbeil will mehr. "Wir haben viel erreicht, aber es ist noch viel zu tun", sagt er. Er glaube fest daran, dass nun ein "sozialdemokratisches Jahrzehnt" anbreche.
Klingbeil, begeisterter Transatlantiker, greift in seiner Rede auf ein rhetorisches Mittel Barack Obamas aus dessen berühmter Ansprache auf dem Parteitag der Demokraten aus dem Jahr 2004 zurück. Der sagte damals, es gebe weder blaue noch rote Staaten, sondern nur die Vereinigten Staaten von Amerika. Angelehnt daran sagt Klingbeil: Es gebe nicht die SPD der Seeheimer oder die der Parteilinken, nicht die SPD, die in der Regierung ist und derer, die es nicht sind: "Liebe Leute, wir sind eine SPD."
Die andere Vorsitzende, Saskia Esken, sprach in ihrer Rede davon, dass man stolz sein könne auf die "alte Tante SPD". Sie sprach außerdem die Landtagswahlen im kommenden Frühjahr an: Im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen haben die Sozialdemokraten die Möglichkeit, gleich drei Staatskanzleien von der CDU zurückzuerobern.
Esken, Klingbeil und Kühnert gewählt
Klingbeil erzielte bei der Wahl mit 86,3 Prozent ein sehr ordentliches Ergebnis. Esken schnitt zwar ein wenig besser ab als bei ihrer ersten Wahl, allerdings fremdeln einige Sozialdemokraten nach zwei Jahren immer noch mit der Bundestagsabgeordneten aus Baden-Württemberg. Für sie stimmten 76,7 Prozent.
Auf der Position des Generalsekretärs folgt der ehemalige Juso-Vorsitzende Kühnert, der während seiner Bewerbungsrede versuchte, ein sehr selbstbewusstes Bild der Partei zu zeichnen. Sie sei "Herz und Kopf", Fraktion und Regierung wiederum die "Hände", die ausführten. Kühnert versprach in seiner neuen Aufgabe offen zu kommunizieren und sich nicht in der Parteizentrale einzumauern.
Der 32-Jährige gab sich in seiner Rede weniger aufrührerisch als bei vergangenen Parteitagen. 2019 erhoben sich die Delegierten noch von ihren Stühlen, als er eine rote Socke als Anschauungsmaterial bediente. Kühnert holte dieses Mal 77,8 Prozent der Stimmen. Gemessen an den Ergebnissen früherer Generalsekretäre ein respektables Ergebnis.
Den mit Kühnerts Wechsel zum Generalsekretär frei werdenden Posten des SPD-Vize übernimmt der nordrhein-westfälische SPD-Landesvorsitzende Thomas Kutschaty. Als weitere Parteivize wurden die bisherigen Amtsinhaber - Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, die neue Bundesbauministerin Klara Geywitz sowie Anke Rehlinger und Serpil Midyatli - gewählt.
Scholz streichelt die Seele der Parteifreunde
Für die kommenden Jahre dürfte entscheidend sein, wie sich das Verhältnis zwischen Partei und Kanzleramt, also stellvertretend ihm und Olaf Scholz, entwickelt. Nicht wenige, auch in der SPD, sehen hier Sprengpotenzial.
Das scheint der frisch gewählte Bundeskanzler antizipiert zu haben. Gegen 17 Uhr – und damit zwei Stunden hinter dem Zeitplan – tritt Scholz ans Rednerpult. Er spricht etwa 20 Minuten lang, energisch und bestimmt, und appelliert an seine Parteifreunde, dass er auf ihre Zustimmung angewiesen sei.
Scholz verspricht den Fortschritt, dem sich die Ampelkoalitionäre verschrieben haben. Zum Schluss seiner Rede versucht er dann nochmal die Seele der Parteifreunde zu streicheln: "Es werden gute Jahre für die Bundesrepublik Deutschland, aber auch für unsere Partei." Dann setzt er sein berühmtes, verschmitztes Scholz-Grinsen auf. Den Genossen scheint es zu gefallen.
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