Spannende Zeiten, zum Glück auch ohne Tagesschau: Am Freitag das erste Adventskalender-Türchen. Am Sonntag brennt die erste Kerze. Und dann schneit jetzt auch noch Spotify Wrapped ins Haus.
Für Nicht-Streamer: Wrapped ist eine Jahresstatistik, die der Algorithmus des schwedischen Musikstreaming-Dienstes für jeden Hörer individuell ausrechnet und in bunte Grafiken verpackt präsentiert - sozusagen die eigene Musikjahresendabrechnung, und anders als der Blick auf den Stromzähler für ziemlich viele Menschen ein freudiges Ereignis.
"Ich schwör ich hab mich richtig vorbereitet für spotify wrapped, tisch aufgeräumt, kerzen an gemacht, kaffee gemacht", schreibt Laura auf TikTok. Mae stimmt zu: "Spotify wrapped Ist wirklich wie ein Feiertag!"
Algorithmus im Blut
"2023 gabs richtig was auf die Ohren": So überschreibt Spotify seine Meta-Playlist in Deutschland. "Gnothi Seauton" würde auch passen. Das ist die Aufschrift auf dem Apollotempel in Delphi (dazu der Name einer Band und etlicher Alben auf Spotify) und heißt "Erkenne dich selbst". In meinem Fall heißt das: Ich habe im ausgehenden Jahr 5.377 Songs aus 73 (!) Genres gestreamt (darunter auch Chamber Pop, von dem ich gar nicht wusste, dass es ihn gibt.) Die dazugehörige Grafik ist ein giftig buntes Sandwich.
Selbsterforschung lost in music: Beim Raten meines meistgehörten Songs liege ich wie immer daneben. Und sonst? 2020 - damals mit einem Familienprofil - war ich dank meiner Tochter Rolf-Zuckowski-Fan. 2021, ein wirklich mieses Jahr, spülte unerwartet eine Brasiljazz-Welle in mein Profil. Copacabana statt Corona. Andere hörten zur gleichen Zeit Nine Inch Nails.
Ein Nutzer fragt sich auf TikTok, ob Spotify Wrapped weiß, dass er schwul ist. Ein anderer, der bekennt, beim Thema "so passionate" zu sein, dass er "ein kleiner Wackelkopf geworden" sei, stellt zutreffend fest:
"Spotify ist die einzige App, die es geschafft hat, dass Datentracking zu einem Event wird" Chrissselll auf TikTok
Zeit ist eine Illusion
Wem solche Überlegungen als Zeitverschwendung erscheinen: "Zeit ist eine Illusion", raunt Spotify. "Aber wir haben trotzdem mitgezählt." Insgesamt habe ich demnach 23.101 Minuten Musik gehört. Was gar nicht so viel ist, schließlich hat ein Jahr 525.600 davon. Apropos: Laut Google Analytics steigt die Zahl der Suchanfragen nach "how many minutes in a year" jedes Jahr zum Spotify-Wrapped-Termin markant an.
Rätsel gibt mir der 21. Mai auf. An diesem Tag habe ich "am längsten gestreamt, nämlich 470 Minuten." Knappe acht Stunden. Ein Sonntag. Was war da los? Schön, am 21. Mai wurden nacheinander Fats Waller, The Notorious B.I.G. und Max Mutzke geboren, und 1979 trat Elton John als erster Westkünstler in der Sowjetunion auf - aber 2023 und bei mir? Ich weiß es nicht.
Und der Raum?
2023 neu im Angebot: Die musikalische Verortung, genannt Sound Town. "In diesem Jahr warst du musikalisch ganz schön unterwegs", zwinkert mir Spotify anerkennend zu. "Und eine Region hat es dir gleichgetan." Berlin. Hauptstadt, warum nicht. Die Tochter auch, allerdings Bonn, weil da "viele Leute Fans von Bibi und Tina sind". Und auf TikTok: "Ich hab einfach Regensburg. - Mit welchen Künstlern haha? - Wanda, Bibiza und Yung Hurn - ich auch, hab lana del rey kummer und makko :)"
Mysteriös war der Spotify-Algorithmus schon immer und Nachfragen sind bekanntlich so zwecklos wie ein Anruf bei Coca-Cola, um das Rezept zu erfahren. Aber wohnt Lana del Rey jetzt wirklich an der Donau? Hören alle Regensburger Ösi-Musik? Oder gehört Regensburg neuerdings zu Österreich?
"Bayreuth??? - Bayreuth tat weh. - Hab Bayreuth Digga wo soll das sein - Junge ich bin Würzburg was soll das" TikTok-Chat
Noch mehr als in Bayern spielt die Musik allerdings in Westfalen.
"Jeder hat Münster!"
"Münster - Same. - ich hab auch Münster und ich komme aus Münster und ich heule. ich will das nicht." Ich auch Münster, sagt eine Kollegin, die schwört, die Radfahrer- und Regenmantelmetropole an der Aa nie besucht zu haben und auch keinen Münster-Rap oder Musik der aus Münster stammenden Band Erdmöbel zu hören. Eine Nachfrage in Redaktion und Umfeld ergibt noch neun weitere Treffer.
Auch das Netz wundert sich. Liegt es daran - so eine Theorie - , dass in Spotify Sound Towns viele Studenten leben (Münster: 65.000) und einen irgendwie ähnlichen Sound hören? Nach der Bielefeld-Verschwörung macht jetzt "the Münster-Mystery" die Runde. Spotify selbst hat inzwischen mit einer Bildergalerie reagiert.
Ihr habt selbst Erfahrungen mit Spotify Wrapped? Unten ist Raum zum Kommentieren!
Spotify Rapped
Wer jetzt noch überprüfen will, ob sein Musikgeschmack im Mainstream liegt ist: Laut allgemeiner Spotify Jahresauswertung ist der Rapper Apache 207 nicht nur der meistgehörte Künstler in Deutschland, sein gemeinsamer Song "Komet" mit Udo Lindenberg ist mit rund 176 Millionen Streams auch das meistgestreamte Lied des Jahres. Rapper Bonez MC besetzt den zweiten Platz. Und wer wie scheinbar fast alle auf der Welt Taylor Swift gehört hat, wird in seinem Spotify Wrapped sogar mit einem "Telefonanruf" der Künstlerin belohnt.
Beitrag zum Hören: Wild Wild Web - Das Spotify-Geheimnis
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