"Bürokratieabbau dringend gefordert" – einer der vielleicht häufigsten Hilferufe aus jeglicher Berufsgruppe in den letzten Jahren und Jahrzehnten. Und noch viel lauter wurden die Rufe, seit die Ampelregierung ihre Arbeit aufgenommen hat. Das große Versprechen: Bürokratie wird konsequent abgebaut. Helfen soll dabei vor allem die Digitalisierung. Beides geht jedoch eher schleppend voran. So kam Ende 2023 der Normenkontrollrat zu dem Ergebnis: So hoch wie jetzt waren die Bürokratiekosten noch nie in Deutschland. Die Auflagen nehmen teilweise sogar eher zu.
Wie aus einer Statistik der Bundesregierung hervorgeht, stieg die Zahl der Bundesgesetze in den vergangenen zehn Jahren von 1.671 auf 1.792 Gesetze, die aus insgesamt 52.155 Einzelnormen bestehen. Verordnungen des Bundes stiegen in der gleichen Zeit von 2.720 auf 2.854 mit 44.272 Einzelnormen. Dazu kommen noch Regelungen der Bundesländer und der Kommunen.
Bürokratie im Beruf – zwei Beispiele
Übermäßige Bürokratie lähmt den Krankenhausbetrieb, die Pflege, Apotheken oder Arztpraxen. Dokumentationspflichten binden Personal, belasten Ärzte und Kliniken, bringen dem Patienten aber oft gar nichts, so die Meinung der Verbände. So kommt es zu folgendem Bürokratie-Ungetüm im Pflegealltag: Hat eine Bewohnerin oder ein Bewohner eine kleine Schürfwunde und sie würde gerne eine Salbe auf die Wunde auftragen, dann geht das nicht so einfach. Da kein Arzt dauerhaft im Haus ist, muss eine leitende Pflegefachkraft ein Fax an den Hausarzt des Bewohners schicken, mit der Anfrage, ob sie das tun darf. Der wiederum muss ihr eine Verordnung und ein Rezept für die Wundsalbe senden. Dann muss sie diese Anfrage im Computer dokumentieren. Die zugefaxte Verordnung und das Rezept müssen eingescannt werden. Gleichzeitig informiert sie die Apotheke. Wenn die Wundsalbe da ist, muss dies wieder dokumentiert werden. Und natürlich auch die Behandlung des Bewohners.
Und auch im Handwerk schrillen die Alarmglocken. Die Stimmung ist schlecht, wegen hoher Steuern und Sozialabgaben und viel Bürokratie. Die Anzahl an Baustellen, die man am Standort Deutschland sehe und an denen es nicht wirklich vorangehe, verunsichere die Unternehmer, sagt der Generalsekretär des Zentralverbandes des deutschen Handwerks, Holger Schwannecke. Es sei Zeit, die Probleme anzugehen. Doch stattdessen würden die Betriebe mit Steuern, Abgaben und Vorschriften belastet. Das schrecke auch den Nachwuchs ab. Wenn man diejenigen frage, die frisch ihren Meisterbrief gemacht hätten, sage der Großteil, dass man sich nicht selbstständig machen wolle. Und zwar aus Angst vor Formularen, das sei ein deutlicher Alarmruf in Richtung Politik, so Schwannecke.
Digitalisierung und KI als Lösung?
Studierende und Pflege-Auszubildende sowie die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach waren sich bei einem Treffen Anfang des Monats einig: Das System muss weniger bürokratisch werden. "Meine Erfahrung ist, dass der Arzt den halben Tag lang Arztbriefe schreibt", sagt Medizinstudentin Gina Markus (19) und fragt: "Kann sowas nicht eine KI übernehmen?" Gerlach glaubt: "Am Ende hilft die Digitalisierung auch nicht, bevor wir die Prozesse nicht optimiert haben" – sprich: Erst Verwaltungsaufwand reduzieren, dann die übrige Arbeit an digitale Systeme delegieren. Hinten anstellen werde man die Digitalisierung trotzdem nicht.
Bundesregierung plant Entlastungsgesetz
Zu viele bürokratische Auflagen und umfangreiche Berichtspflichten waren neben hohen Energiepreisen von Wirtschaftsverbänden zuletzt besonders häufig als Belastung genannt worden. Die von der Bundesregierung 2023 vorgeschlagenen Entlastungen, zu denen etwa kürzere Aufbewahrungspflichten für steuerlich relevante Belege zählen sowie die Möglichkeit, manches per E-Mail anstatt per Brief mit Unterschrift zu regeln, wurden zwar von ihnen begrüßt, insgesamt jedoch als nicht ausreichend kritisiert. Das von Justizminister Marco Buschmann (FDP) kürzlich vorgelegte Bürokratie-Entlastungsgesetz dürfte im März vom Kabinett beschlossen werden.
Nach der seit 2015 geltenden One-in-One-Out-Regel muss zwar für jede gesetzlich eingeführte Belastung der Wirtschaft spätestens bis zum Ende der Legislaturperiode eine mindestens gleich hohe Entlastung herbeigeführt werden. Da es hier aber Ausnahmen gibt - etwa für Auswirkungen aufgrund von EU-Recht und bei einem zeitlich begrenzten Erfüllungsaufwand - wächst der Aufwand dennoch.
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