Die russische Teilmobilmachung für einen Einsatz im Ukraine-Krieg hat in den vergangenen Tagen für viel Kritik auch aus dem eigenen Land gesorgt. Nun räumte die russische Führung "Fehler" ein: "In der Tat gab es Fälle, in denen gegen das Dekret verstoßen wurde", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow vor Reportern.
Zuvor hatte es Berichte über Zwangsmaßnahmen und Gewalt bei der Rekrutierung von Soldaten gegeben. "In einigen Regionen arbeiten die Gouverneure aktiv daran, die Situation zu berichtigen", versprach Peskow. Auf die Frage nach Grenzschließungen angesichts der zahlreichen Proteste und der Ausreise vieler Russen im kampffähigen Alter sagte er, dass bisher "keine Entscheidung" getroffen worden sei.
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Auch Männer ohne Kampferfahrung und Ältere eingezogen
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte in der vergangenen Woche die Teilmobilmachung von 300.000 Reservisten für den Ukraine-Krieg bekanntgegeben. Die Behörden versicherten, dass sich die Maßnahme auf Menschen mit militärischer Erfahrung oder speziellen Fähigkeiten beschränke. Aber in vielen Fällen waren auch ältere Menschen, Kranke, Männer ohne Kampferfahrung sowie Studenten eingezogen worden.
Die Anzahl der Verstöße gegen das Dekret nehme ab, führte Peskow aus. "Wir hoffen, dass sich dies beschleunigt und dass alle Fehler korrigiert werden." Die Verantwortung für die Organisation der Einberufung liegt bei den regionalen Gouverneuren und den Kreiswehrersatzämtern vor Ort.
Kremlsprecher zu Grenzschließungen: "Weiß davon nichts"
Auf Nachfrage von Journalisten sagte Kremlsprecher Peskow, dass entgegen anderslautender Gerüchte keine Entscheidung getroffen worden sei, Russlands Außengrenzen abzuriegeln und das Kriegsrecht in einigen Grenzregionen auszurufen. "Ich weiß davon nichts. Bisher sind keine Entscheidungen getroffen worden", erklärte er. Bei einer Einführung des Kriegsrechts dürften wehrfähige Männer Russland nicht mehr verlassen. Um die Einberufung für den russischen Krieg in der Ukraine zu umgehen, reisen derzeit Zehntausende fluchtartig aus Russland aus.
Der russische Abgeordnete Sergej Tsekow forderte kampffähige Männer auf, Russland nicht mehr zu verlassen. "Jeder, der im wehrpflichtigen Alter ist, sollte in der gegenwärtigen Situation nicht mehr ins Ausland reisen dürfen", sagte Tsekow der Agentur RIA. Der Abgeordnete Andrej Klischas erklärte indes, Unterstützung für die Einberufenen wäre eine bessere Lösung, statt die Spannungen zu verschärfen.
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Karte: Die militärische Lage in der Ukraine
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Mann schießt in russischer Einberufungsstelle
In der ostsibirischen Stadt Ust-Ilimsk im Gebiet Irkutsk wehrte sich ein 25 Jahre alter Reservist gegen den ihm bevorstehenden Kriegsdienst, indem er auf den Leiter der Einberufungsstelle schoss. Der Mann wurde schwer verletzt, sein Zustand sei kritisch, teilte der Gouverneur der Region, Igor Kobsew, mit.
Seit der am vergangenen Mittwoch angeordneten Teilmobilmachung kommt es landesweit zu Zwischenfällen: Unter anderem melden die Behörden Brandanschläge auf die Kreiswehrersatzämter, wo Reservisten einberufen werden.
Erneut Hunderte Festnahmen bei Protesten
Die Teilmobilmachung hatte zudem Demonstrationen im ganzen Land zur Folge, die Regierung geht dagegen mit harter Hand dagegen vor: Bei einem Protest in der Kaukasusregion Dagestan wurden nach Angaben von Aktivisten am Sonntag mehr als 100 Menschen festgenommen. In Machatschkala, der Hauptstadt der russischen Region Dagestan, habe die Polizei mindestens 101 Menschen festgenommen, gab die Organisation OVD-Info bekannt, die sich auf die Beobachtung von Oppositionsaktionen spezialisiert hat.
Russische Medien veröffentlichten Videos von Frauen, die sich während der Demonstration mit Polizisten streiten. "Warum nehmt ihr unsere Kinder?", fragt eine von ihnen. Andere Videos zeigen, wie Protestierende brutal von der Polizei festgenommen werden. Nach Angaben von OVD-Info sind seit der Bekanntgabe der Teilmobilmachung am 21. September mehr als 2.300 Protestierende in Russland festgenommen worden.
Experten: Teilmobilmachung bringt auf dem Schlachtfeld wenig
Kremlchef Putin stößt mit der Teilmobilmachung nach Ansicht westlicher Militärexperten auf große strukturelle Mängel. Zwar würden mit der Anordnung zusätzliche Kräfte freigesetzt, jedoch auf ineffiziente Weise und mit hohen sozialen und politischen Kosten im Inland, erklärte das in Washington ansässige Institute for the Study of War (ISW). Es sei sehr unwahrscheinlich, dass die Mobilisierung die Netto-Kampfkraft der russischen Truppen dieses Jahr wesentlich erhöhen werde.
"Putin muss grundlegende Mängel im Personal- und Ausrüstungssystem des russischen Militärs beheben, wenn die Mobilmachung selbst längerfristig eine nennenswerte Wirkung haben soll", hieß es weiter. Sein bisheriges Vorgehen lasse aber vielmehr darauf schließen, dass er darauf bedacht sei, schnell Soldaten auf das Schlachtfeld zu schicken, anstatt diese Probleme zu lösen.
Seit mindestens 2008 hätten die russischen Streitkräfte nicht mehr die Voraussetzungen für eine effektive große Mobilmachung und auch nicht für die Art von Reservekräften geschaffen, die für eine kurzfristige Mobilisierung mit unmittelbarer Wirkung auf dem Schlachtfeld nötig wären. So sei das russische Militär eine Mischung aus freiwilligen Berufssoldaten und Wehrpflichtigen. Da der Wehrdienst auf ein Jahr reduziert worden sei, sei auch die Gefechtsbereitschaft der Reservisten verringert worden.
Rede Putins zu Ausgang von Scheinreferenden erwartet
Eine geplante Rede Putins vor beiden Parlamentskammern am Freitag nach dem Ende der international als Völkerrechtsbruch kritisierten Scheinreferenden in den besetzten ukrainischen Gebieten wollte Peskow indessen nicht bestätigen. Der Kreml werde aber rechtzeitig mitteilen, ob Putin einen Auftritt plane.
Bisher wird erwartet, dass Putin die Gebiete schon am Freitag in die Russische Föderation aufnehmen könnte. Die Scheinreferenden sind bis Dienstag angesetzt.