Kriegsflüchtlinge - Gefahr durch Missbrauch
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Eine aus der Ukraine geflüchtete Frau trägt ihr Kind auf dem Arm.

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Kriegsflüchtlinge: Gefahr durch Missbrauch und Menschenhandel

Die aufrichtige Hilfsbereitschaft gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine ist groß. Viele finden private Unterkünfte. Doch manche Frauen sollen nach Recherchen des BR-Politmagazins "Kontrovers" offenbar als Arbeits- und Sexsklaven missbraucht werden.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Hunderte Menschen kommen derzeit täglich am Münchner Hauptbahnhof an – vor allem Frauen und Kinder. Sie sind dem Bombenhagel in ihrer Heimat entflohen, haben fast alles zurücklassen müssen. Meist liegt eine tagelange Odyssee hinter ihnen – ohne Wasch- oder Schlafmöglichkeiten. Es ist für sie eine Reise ins Ungewisse.

Um die erste Not wenigstens ein bisschen zu lindern, engagieren sich täglich viele Freiwillige, die versuchen, zuverlässige Auskünfte zu geben, beim Übersetzen zu helfen und unter anderem auch private Unterkünfte vermitteln. Die große Mehrheit der Menschen will wirklich helfen. Doch ehrenamtliche Organisationen und die Bundespolizei warnen davor, dass auch Zuhälter und Menschenhändler versuchen, die Situation der geflüchteten Frauen und Kinder auszunützen.

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Junges Mädchen aus Unterkunft geflohen

Nadiia Klymchuk ist Dolmetscherin am Infozentrum der Caritas. Auch sie hat schon eine Szene erlebt, die ihr in schlechter Erinnerung geblieben ist. Gegenüber dem BR-Politikmagazin "Kontrovers" beschreibt sie die Situation so: "Ich war um 7 Uhr da und dann stand das Mädchen da und hat mir gesagt, sie hat den Bahnhof gesucht. Dann hat sie mir ihre Geschichte erzählt." Die junge Frau, von der hier berichtet wird, war wohl bereits privat bei einem Paar untergebracht. Aber dann kehrte sie zum Bahnhof zurück – offenbar auf der Suche nach Schutz.

"Angeblich haben ein Mann und eine Frau ihr ein Zimmer angeboten und sie hat sich – aus mir unbekannten Gründen – dort nicht wohl gefühlt und ist mitten in der Nacht weggelaufen. Sie wollte nicht über die Gründe sprechen, aber wissen, welche weiteren Möglichkeiten bestehen, wo sie unterkommen kann." Nadiia Klymchuk verweist sie auf die Sammelunterkunft. "Dann wollte sie wissen, wie sicher das ist und wer da ist, um ihr Schutz zu bieten", erzählt die Dolmetscherin. Offenbar hat sich das Mädchen in dem privaten Quartier nicht sicher gefühlt.

Geflüchtete ausgebeutet in der größten Not?

Die größte Gefährdung für geflüchtete Frauen und Kinder besteht dann, wenn keine offiziellen Ansprechpartner vor Ort sind oder sie versuchen, auf eigenen Faust eine Unterkunft zu finden. Im schlimmsten Fall können sie als Arbeits- oder noch schlimmer als Sexsklavinnen missbraucht werden.

In den Sozialen Medien und in entsprechenden Foren sind Kommentare wie diese zu lesen: "Krieg ist immer irgendwo. Dabei denke ich vor allem an all die jungen Ukrainerinnen, welche bald hier aufschlagen werden….das wird ein Fest :* !!" oder: "Jetzt habe ich ein junges süßes Girl aus Kiew geflüchtet hier in München. (…) Auf die Straße setzen kann ich sie auch nicht. Jetzt muss ich mich bis zum Ende des Ukraine Desasters hier um sie kümmern."

Zuhälter versuchen, Vertrauen zu erschleichen

Was ist von solchen Einträgen zu halten? Alles nur Angebereien auf irgendwelchen Schmuddelseiten? Nach längerem Zögern entscheidet sich Anastasia, eine ukrainische Prostituierte, dazu, mit "Kontrovers" zu sprechen. Sie lebt seit 20 Jahren in Deutschland. Am Telefon erzählt sie, dass sie in den letzten Jahren oft miterlebt habe, wie Männer die Not der Frauen ausgenützt hätten.

Manchmal seien Frauen zu ihr gekommen und hätten nach Hilfe gefragt. Es waren meist Rumäninnen. Die Männer hätten ihnen eine Beziehung versprochen, eine Wohnung gezahlt – nur, dass sie das gut 20 Frauen gesagt hätten und sie dann gezwungen hätten, für sie zu arbeiten.

Wohnung gegen Sex

Julia und Maria von der Helfergruppe Wolja sind fast täglich am Stuttgarter Hauptbahnhof, um die Flüchtlinge in Empfang zu nehmen und zu organisieren, wie es für sie weitergeht. Auch sie haben schon erlebt, dass nicht alle gute Absichten haben. Die beiden Frauen hatten in den ersten Kriegswochen eine Chatgruppe eingerichtet, in der sich Privatpersonen mit Wohnungsangeboten melden konnten.

Diese gut gemeinte Aktion lief irgendwann aus dem Ruder. Maria schildert die Situation: "Es fing ganz harmlos an. Eigentlich war schon ganz klar, dass diese Frau mit ihren Kindern zu diesem Mann geht. Aber irgendwann ist er in seiner Kommunikation ganz anders geworden." Die Flüchtlingshelferin legt dem BR-Politikmagazin "Kontrovers" den privaten Chatverlauf zwischen der Ukrainerin und dem Mann vor. Dort ist zu lesen:

Er: "Wenn Du Singeline bist, bist Du hoffentlich küssbar"

Er: "weil Du musst mit mir im Bett schlafen"

Er: "und vielleicht fass ich Dich an"

Sie: "Ups, tut mir leid, ich bin 36 und hab 2 eigene Kinder"

Er: "Lach. Du hast Dich am Telefon jünger angehört. 36 ist eins der geilsten Alter."

Die Ukrainerin ist zunächst unsicher, ob sie die Nachrichten richtig verstanden hat und wendet sich an Maria. Die sichert den Chatverlauf, schließt die Chatgruppe und erstattet Anzeige. Die Frau ist inzwischen sicher untergebracht, schämt sich aber, dass sie dem Mann am Anfang getraut hat. Noch ist unklar, ob die Sachlage für eine Anklage ausreichen wird.

Keine Registrierung für Wohnungsgeber

Um junge Frauen zu warnen haben Hilfsorganisationen Flyer für das gesamte Bundesgebiet erstellt und gedruckt. Unter anderem der Verein Jadwiga verteilt sie am Münchener Hauptbahnhof. Die geflüchteten Frauen seien stark gefährdet, so die Einschätzung von Juliane von Krause, die bei Jadwiga mitmacht. Sie hat eine konkrete Forderung an die Politik: "Es wäre wünschenswert, auch die privaten Wohnungsgeber zu registrieren, damit nachvollziehbar ist, wer wo untergebracht ist. Das findet durch die viele Hilfsbereitschaft und die privaten Initiativen noch nicht so statt, meines Wissens."

Es gibt derzeit offenbar keinen Überblick, wer von den Geflüchteten wo untergebracht ist.

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