Nahtlos im Anschluss an den G7-Gipfel in Rom haben sich in der Schweiz Vertreter von 100 Staaten und internationalen Organisationen zu einer Friedenskonferenz für die Ukraine versammelt. Unter ihnen sind die Präsidenten Frankreichs und der Ukraine, Emmanuel Macron und Wolodymyr Selenskyj, US-Vizepräsidentin Kamala Harris, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Chefin der EU-Kommission Ursula von der Leyen (CDU).
Russland und China fehlen bei der Konferenz. Indien, Saudi-Arabien, Südafrika, Argentinien, Brasilien und Indonesien sind hingegen dabei, teils nur mit Gesandten. Auch mehrere hochrangige Kirchenvertreter nehmen teil.
Schweiz dämpft Erwartungen
Gastgeberin der Konferenz im Nobelhotel Bürgenstock nahe Luzern ist die Schweizer Bundespräsidentin Viola Amherd. Bei der Eröffnung rief sie die Teilnehmer zu einem gemeinsamen politischen Kraftakt auf. Nur so könnten erste Schritte auf einem Weg zum Frieden in der Ukraine gelingen.
Bei einem Pressetermin mit Selenskyj hatte Amherd betont, man werde bei dem Treffen "nicht den Frieden für die Ukraine verhandeln oder gar verkünden können, aber wir wollen einen Prozess für einen gerechten und dauerhaften Frieden inspirieren und konkrete Schritte in diese Richtung unternehmen". Die internationale Gemeinschaft könne dazu beitragen, "das Terrain für direkte Gespräche zwischen den Kriegsparteien vorzubereiten, dafür sind wir hier".
Im Mittelpunkt der Gespräche sollen laut der Schweizer Bundespräsidentin die Sicherheit der ukrainischen Atomkraftwerke, Getreideexporte über das Schwarze Meer und humanitäre Fragen stehen. Weitere Konferenzen seien geplant, an denen auch Russland teilnehmen könne.
Selenskyj: "Nur Putin wollte den Krieg"
Die Schweiz richtet die Konferenz auf Bitten der Ukraine aus. Deren Staatschef Selenskyj zeigte sich zuversichtlich, dass der Gipfel ein Erfolg wird. Auf diesem könne "Geschichte geschrieben" werden. "Möge so bald wie möglich ein gerechter Frieden geschaffen werden", sagte Selenskyj. Er betonte, sein Land habe den Krieg nie gewollt, "nur Putin wollte den Krieg".
Alles, was bei diesem internationalen Treffen vereinbart werde, sei "Teil des friedensstiftenden Prozesses", sagte Selenskyj weiter. Schon die Vielzahl der Teilnehmer sei ein gewaltiger Erfolg. "Vereinte Länder sind stärker als jeder Aggressor."
USA versprechen neue Fördermittel
Die USA sagten Kiew gleich zum Auftakt der Friedenskonferenz weitere Millionen-Hilfen für humanitäre Zwecke und das Energienetz des Landes zugesagt. Rund 500 Millionen Dollar (rund 467 Millionen Euro) sollten unter anderem dazu eingesetzt werden, Kriegsschäden an der Energieinfrastruktur zu reparieren und das Energienetz besser abzusichern, teilte die US-Regierung am Samstag mit. Auch 324 Millionen Dollar an bereits zuvor zugesagten Mitteln der USA sollten für diese Zwecke umgewidmet werden. Hinzu kämen 379 Millionen Dollar für humanitäre Hilfen, um Ukrainer, die im Land flüchten mussten, mit Essen, Wasser und Unterkünften zu versorgen.
US-Vizepräsidentin Kamala Harris sagte: "Amerika steht nicht aus Nächstenliebe an der Seite der Ukraine, sondern weil es in unserem strategischen Interesse ist."
Scholz: "Brauchen keinen Diktatfrieden"
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wies vor der Konferenz die von Russlands Präsident Putin genannten Bedingungen für ein Ende des Krieges zurück. "Was wir brauchen, ist kein Diktatfrieden, sondern ein fairer, gerechter Frieden, der die Integrität und die Souveränität der Ukraine im Blick hat", sagte Scholz der ARD. Auch die Ukraine hatte Putins Vorstoß harsch zurückgewiesen.
Putin hatte gesagt, sein Land werde das Feuer "sofort" einstellen und Gespräche aufnehmen, wenn sich die Ukraine aus den vier teilweise russisch besetzten Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja zurückziehe. Zudem solle die Ukraine auf eine Nato-Mitgliedschaft verzichten.
Scholz betonte auch im ZDF: "Jeder weiß, dass das kein ernst gemeinter Vorschlag ist, und dass er etwas zu tun hat mit der Friedenskonferenz, die in der Schweiz stattfindet." Putin gehe es "um ganz klassische imperialistische Eroberung von Land".
Guntram Wolff erhofft sich deutliches Signal der Unterstützung
Der ehemalige Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Guntram Wolff, erhofft sich von der Ukraine-Konferenz in der Schweiz ein deutliches Signal. "Ich hoffe, dass eine klare Unterstützungs-Message auf der Ziellinie steht, und dass wir es schaffen, die Ukraine in diesem Kampf weiterhin gut zu unterstützen", sagte Wolff im Interview mit BR24. Gebietsabtretungen durch die Ukraine, die Putin am Freitag zur Bedingung für eine Waffenruhe machte, nannte Wolff einen "Versuch einen Diktatfrieden durchzusetzen".
"Zunächst einmal möchte Wladimir Putin, dass die Ukraine die vier Territorien, in die Russland eimarschiert ist, permanent abgibt, und auch Territorien abgibt, die noch nicht unter russischer Kontrolle sind", so Wolff. Das sei weder zu verstehen noch sei es mit dem Völkerrecht vereinbar. Für den Fall, dass die Ukraine Gebiete abtreten würde, sei, so Wolff, zudem das große Thema, wie man verhindere, dass Putin beispielsweise in einem halben Jahr weitere territoriale Forderungen stelle. Bezogen auf die Warnung von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vor einem möglichen russischen Angriff auf einen Nato-Staat sagte Wolff, defacto befinde sich Russland bereits "mit uns" in einem hybriden Krieg und greife etwa immer wieder die IT-Infrastruktur an. Eine "ganz offene Operation" erwartet Wolff aktuell nicht. Eine Operation etwa mit der Mobilisierung von Minderheiten in Estland oder ähnliches aber sei durchaus möglich, so Wolff.
Mit Informationen von dpa
Im Video: Olaf Scholz beim G7-Gipfel in Apulien
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