Nach der jüngsten Eskalation im Russland-Ukraine-Konflikt rechnet Außenpolitik-Experte Markus Kaim damit, dass in Deutschland neu über mögliche Waffenlieferungen an die Ukraine diskutiert wird. Der Druck auf die Bundesregierung werde steigen, "dass man sich mit Wirtschaftshilfe und politischer Unterstützung nicht mehr herausretten kann", sagte Kaim im BR24-Interview.
Für den Politologen ist klar: Die Ankündigung Putins, die Separatisten-Gebiete in der Ostukraine als unabhängige Staaten anzuerkennen, sei ein "Bruch des Völkerrechts, den wir so in Europa seit 1945 nicht hatten". Putin habe die Staatlichkeit der Ukraine "grundsätzlich in Frage gestellt".
- Die aktuellen Entwicklungen zum Russland-Ukraine-Konflikt im News-Ticker
Waffenlieferungen: Was folgt aus Minsk-Aus?
Die deutsche Position sei immer gewesen, solange man im Minsker Format zentraler Verhandlungspartner sei, könne und wolle man keine Waffen an die Ukraine liefern. Dieses Gesprächsformat habe Putin aber jetzt "abgeräumt". Der Westen müsse weiter Ge- und Entschlossenheit zeigen, forderte Kaim, der sich bei der Stiftung Wissenschaft und Politik unter anderem mit Grundfragen der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik beschäftigt.
Zu den angekündigten neuen Sanktionen gegen Russland äußerte sich Kaim zurückhaltend. Laut ihm gibt es offenbar ein "Kosten-Nutzen-Kalkül" der russischen Regierungen, das bestimmte Maßnahmen einberechnet. Grundsätzlich gebe es seit der Krim-Annexion 2014 ein "beachtliches Sanktionsregime" der EU, das sein angestrebtes Ziel aber nicht erreicht habe, für eine andere russische Außenpolitik zu sorgen. Weitere diplomatische Möglichkeiten gibt es Kaim zufolge aktuell kaum: "Worüber soll im Moment noch verhandelt werden?"
Bundesregierung: 5.000 Helme für die Ukraine
Die Debatte über deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine läuft seit Wochen. Ende Januar hatte die Bundesregierung angekündigt, der Ukraine 5.000 militärische Schutzhelme zu liefern. "Wir stehen an eurer Seite", sagte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) damals.
Kritik kam unter anderem von CSU-Verteidigungspolitiker Florian Hahn. Er nannte die angekündigte Helmlieferung "ein Stück weit zynisch". Brisant: Auch rund vier Wochen nach der Ankündigung sind die Helme laut Medienberichten wohl noch nicht in der Ukraine eingetroffen.
SPD-Politiker Schmid: Keine letalen Waffen liefern
In Deutschland läuft unterdessen die politische Debatte über die Folgen der jüngsten Putin-Ankündigungen - laute Forderungen nach Waffenlieferungen gibt es bislang nicht. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, hält trotz der Eskalation des Konflikts mit Russland um die Ostukraine am Nein zu solchen Lieferungen an die Regierung in Kiew fest. "Ich bin dafür, dass die Bundesregierung ihre Haltung nicht ändert", sagte Schmid im BR-Interview. "Wir sollten weiterhin keine letalen Waffen an die Ukraine liefern."
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth, forderte Sanktionen gegen das Umfeld des russischen Präsidenten Putin. "Schon die ersten Sanktionen müssen schmerzhaft für das System Putin sein", sagte der SPD-Politiker der Nachrichtenagentur Reuters. "Wir müssen das oligarchische System treffen, die Menschen, die mit Putin reich geworden sind." Roth verwies darauf, dass diese Personen oft in Paris, London, Berlin oder Rom lebten, ihre Kinder im Westen auf die Schule schickten, hier ihr Geld anlegten oder in Österreich Urlaub machten.
Merz: Freiheit Europas in ernster Gefahr
CDU-Chef Friedrich Merz äußerte sich angesichts der aktuellen Lage ebenfalls alarmiert. "Nach den Ereignissen des gestrigen Tages kann es nur eine Konsequenz geben: Der Westen muss diesem enthemmten Kriegstreiber mit aller Kraft entgegentreten und ihm Einhalt gebieten", twitterte Merz. Die Freiheit Europas sei in ernsthafter Gefahr.
Der außenpolitische Sprecher der Union, Jürgen Hardt, sieht in der Anerkennung und Besetzung der sogenannten Volksrepubliken durch Russland "einen schwerwiegenden Bruch des Völkerrechts". Anders als 2014 nach der Annexion der Krim und der Destabilisierung der Ostukraine durch Russland müsse es "nun zu einer unzweideutig harten und raschen Sanktionspolitik kommen", sagte der CDU-Politiker. "Wenn der Westen diesen Belastungstest nicht besteht, wird es dauerhaft Unfrieden in Europa geben."
Strack-Zimmermann: Moment für Sanktionen
Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, schrieb auf Twitter: "Putins Rede ist eine Kriegsklärung." Russlands Präsident breche das Minsker Abkommen und spreche der Ukraine die Existenz ab. Putin wolle schlichtweg Europas Grenzen neu ziehen. Strack-Zimmermanns Fazit: "Jetzt ist der Moment da, um die Sanktionen gegen Russland konsequent umzusetzen."
FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner twitterte: "Mit dem Bruch des Völkerrechts isoliert sich Putin zum Schaden des russischen Volkes. Er wird erreichen, dass Nato und EU als Wertegemeinschaften enger zueinander finden."
Grünen-Chef: Sanktionen stufenweise, keine Waffenlieferungen
Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour geht von abgestuften Sanktionen aus. Die auf EU-Ebene vorbereiteten Maßnahmen seien "sehr abhängig von den jeweiligen Schritten der russischen Seite", sagte Nouripour im Inforadio des rbb. Es könne "nicht alles auf einmal auf den Tisch kommen".
Konkrete Vorschläge für Sanktionen, etwa zur Aussetzung der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, wollte Nouripour nicht machen. Waffenlieferungen aus Deutschland an die Ukraine schloss er weiter aus.
AfD zeigte zuletzt Verständnis für Putin
Die AfD-Fraktion im Bundestag zeigte Verständnis für die russische Position. Der Westen habe durch die Osterweiterung der Nato die "legitimen Sicherheitsinteressen" Russlands verletzt,. Sanktionen gegen Russland lehnte die AfD-Fraktion ab. Man unterstütze aber "jeden Versuch, die Situation durch Gespräche und Verhandlungen auf Augenhöhe zu entschärfen".
Linke zwischen aktueller Spitze und Wagenknecht
Die Anerkennung der "Volksrepubliken" durch Russland sei völkerrechtswidrig, twitterte derweil Linken-Fraktionschef Dietmar Batsch. "Der Einmarsch russischer Truppen verletzt die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine." Trotz der "Fehlentscheidung Russlands" müsse es jetzt aber um Konfliktentschärfung und Deeskalation gehen. Linken-Bundeschefin Janine Wissler teilte ebenfalls via Twitter mit: "Das ist keine 'Friedensmission', wie Putin sagt, das ist völkerrechtswidrig und reale Kriegsgefahr."
Ganz anders hatte Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht die Situation noch am Sonntagabend eingeschätzt. In der ARD-Sendung "Anne Will" sagte sie: "Ich finde, die ganze Situation läuft auf einer irgendwie virtuellen Realität. Also wenn Russland erpicht darauf wäre, in die Ukraine einzumarschieren: Vorwände hätten sie längst genug gehabt."
(mit Informationen von Reuters, dpa und AFP)
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!