Die Meldung am Montag dieser Woche sorgte für erhebliche Aufsehen: Präsident Selenkyj wolle seinen langgedienten Generalstabschef Walerij Saluschnyj bald entlassen. Von einem Wechsel an der Spitze der Streitkräfte erhoffe er sich für eine Auffrischung, wie die "Washington Post" den Gesprächsinhalt zwischen Präsident und General unter Berufung auf einen hochrangigen ukrainischen Offiziellen wiedergibt. Die Bevölkerung sei vom Krieg zunehmen erschöpft und die Hilfe von internationalen Partnern habe sich verlangsamt, habe Selenskyj am Montagabend gesagt.
Zu diesem Zeitpunkt lag die Entscheidung der 27 EU-Staats- und Regierungschefs vom Donnerstag noch nicht vor, die Ukraine mit 50 Milliarden Euro für die nächsten vier Jahren zu unterstützen. Der Generalstabschef sei über seine Ablösung nicht verärgert gewesen, habe jedoch Selenskyj auf die dringlichsten Herausforderungen aufmerksam gemacht, die einen potenziellen Nachfolger zu bewältigen habe. Eine rasche Verbesserung der militärischen Lage sei nicht sehr wahrscheinlich. Es sei eine deutliche Mobilisierung von weiteren Soldaten erforderlich, um die bisherigen Verluste an der Front auszugleichen. Zudem beabsichtige Russland, weitere 400.000 Soldaten zu entsenden, zur Fortsetzung des zweijährigen Angriffskriegs.
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Wofür steht der bisherige Oberbefehlshaber?
Saluschnyj steht seit Sommer 2021 an der Spitze der ukrainischen Streitkräfte. Er gilt als ein respektierter, anerkannter General, der in Armee und Bevölkerung hohes Ansehen genießt, unter anderem auch deshalb, weil er kein Blatt vor den Mund nimmt. Zwischen Präsidenten und Generalstabschef herrschen seit längerem deutliche Meinungsverschiedenheiten.
So zog Saluschnyj Anfang November letzten Jahres in einem Interview mit dem britischen "Economist" ein sehr nüchternes Fazit der ukrainischen Gegenoffensive: In fünf Monaten hätten die ukrainischen Streitkräfte nur 17 Kilometer vorrücken können. Das Schlachtfeld erinnere ihn an den großen Konflikt vor einem Jahrhundert. "Genau wie im Ersten Weltkrieg haben wir ein technologisches Niveau erreicht, das uns in eine Patt-Situation bringt", sagte der General. Ohne einen massiven technologischen Vorsprung werde es "höchstwahrscheinlich keinen tiefen und schönen Durchbruch geben." Auch mit seiner Auffassung, die Streitkräfte benötigten 500.000 neue Soldaten, hielt der Generalstabschef nicht hinter dem Berg. Beim Staatspräsidenten sorgten die öffentlichen Äußerungen seines Top-Generals hingegen für Verärgerung. Denn die Frage einer weiteren Mobilmachung gilt zu Recht als eines der innenpolitischen heikelsten Themen.
Generalstabschef: Müssen mit weniger Militärhilfe rechnen
Am Donnerstag dieser Woche legte General Saluschnyj nach und breitete seine Überlegungen über den weiteren Kriegsverlauf in einem Artikel für die Online-Ausgabe von "CNN" aus. Der siebenseitige Aufsatz liest sich wie eine Art Aufgabenliste für seinen potenziellen Nachfolger – und für den Staatspräsidenten. Die Ukraine müsse "mit einer Verringerung der militärischen Unterstützung durch wichtige Verbündete rechnen", die mit ihren eigenen politischen Spannungen zu kämpfen hätten. Damit ist die Blockade der Republikaner im US-Kongress gemeint, die aus innenpolitischen und wahlkampftaktischen Gründen der 60 Milliarden Dollar umfassenden Militärhilfe für die Ukraine nicht zustimmen wollen.
Für den ukrainischen Befehlshaber steht fest, dass die Waffenarsenale der Partnerstaaten "an Raketen, Abfangjägern für die Luftverteidigung und Munition für die Artillerie“ zur Neige gehen. Russland habe "die Entwicklungen im Nahen Osten" zur Kenntnis genommen. Dadurch könnte Moskau angesichts der internationalen Aufmerksamkeit auf den Nahen Osten versuchen, "weitere Konflikte in anderen Ländern zu provozieren". Zudem müsse sich die Ukraine eingestehen, dass Russland "einen erheblichen Vorteil bei der Mobilisierung" habe und "die staatlichen Institutionen in der Ukraine nicht in der Lage sind, die Personalstärke unserer Streitkräfte ohne den Einsatz unpopulärer Maßnahmen zu verbessern".
Auf High-tech Waffensysteme setzen
Um dem quantitativen Vorteil Russlands an Soldaten, Waffen und Munition wirksam zu begegnen, müsse für General Saluschnyj "an erster Stelle dabei vielleicht die Beherrschung eines ganzen Arsenals von (relativ) billigen, modernen und hocheffizienten unbemannten Fahrzeugen und anderen technologischen Mitteln“ stehen. Diese würden bereits jetzt den Einheiten ermöglichen, in Echtzeit, bei Tag und Nacht; das "Schlachtfeld zu überwachen". Sie lieferten zudem in Echtzeit Informationen, die es den ukrainischen Kommandeuren ermöglichten, "hochpräzise Schläge gegen feindliche Ziele in vorderen Stellungen und in der Tiefe zu führen". Als ob der General in aller Klarheit die bisherigen Defizite offenlegen wolle, die er unausgesprochen dem Staatspräsidenten zur Last legen dürfte, fordert Saluschnyj abschließend "nichts weniger als die völlige Neugestaltung der Gefechtsfeldoperationen - und die Abkehr von überholtem, stereotypem Denken".
Zerstörtes Vertrauen zwischen Präsidenten und General
Das Vertrauensverhältnis zwischen Selenskyj und seinem Befehlshaber der Truppen habe im Verlauf der zwei Kriegsjahren erheblich abgenommen. "Sie trauen sich einfach nicht mehr", wie amerikanische und ukrainische Offizielle die Beziehung von Selenskyj und Saluschnyj nach Informationen der "Washington Post" charakterisieren. US-Regierungskreise seien seit langem der Auffassung, dass Spannungen und Misstrauen zwischen den beiden bestünden. Nicht zuletzt deshalb, weil der Präsident seinen populären Generalstabschef als einen Mann mit politischen Ambitionen betrachten würde. So dürfte der Nachfolger des Generals, den der Präsident ernennen wird, weitaus folgsamer gegenüber der politischen Führung des Landes sein. Als Kandidaten für den Posten des Generalstabschefs werden drei Offiziere genannt: der Chef des Militärgeheimdienstes Kyrylo Budanov, der bisherige Vize-Generalstabschef Yevhen Moisjuk und der Befehlshaber der ukrainischen Herres Oleksandr Syrskyj.
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