Ungarns Präsident Viktor Orban blickt nach rechts
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Ungarn übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft

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Ungarn übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft

Ungarn übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft

Unter dem Motto "Make Europe great again" übernimmt Ungarn am Montag die EU-Ratspräsidentschaft. Kritiker werfen dem EU-skeptischen Land vor, Europa grundlegend verändern zu wollen. Was Ungarn im nächsten halben Jahr vorhat.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Der Zeitpunkt für die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Ungarn könnte kaum unpassender sein: Die Beziehungen zwischen Ministerpräsident Viktor Orban und der EU sind nach der Europawahl an einem neuen Tiefpunkt angelangt.

Am neuen Spitzenpersonal in den EU-Institutionen etwa lässt Viktor Orban kein gutes Haar. In der EU sei eine Koalition entstanden, die "für den Krieg, gegen die Wirtschaft und für die Einwanderung" sei. Außerdem unterstellt er dem EVP-Chef Manfred Weber (CSU), "ein langjähriger Feind, ein Gegner Ungarns und dem Land schlecht gesonnen" zu sein: "Im Vergleich zu ihm ist von der Leyen nur eine kleine Ministrantin", so Orban.

Orbans kriegerisches Vokabular

Die Aufgabe der ungarischen Regierung wäre es im nächsten halben Jahr, die Interessen der Mitgliedsstaaten gegenüber dem Parlament und der Kommission zu vertreten und als neutraler Vermittler Kompromisse zu finden. Wie das angesichts der teils brachialen Rhetorik von Viktor Orban gegenüber der EU funktionieren soll, fragt sich die deutsche Politikwissenschaftlerin Ellen Bos, die an der Budapester Andrássy-Universität lehrt.

"Er will ja Brüssel einnehmen, er will, dass die Brüsseler Bürokraten zittern, er will sie vertreiben, verdrängen; er will Brüssel übernehmen." Die Politikwissenschaftlerin bescheinigt Orban ein kriegerisches, militärisches und martialisches Vokabular. "Ich frage mich, wie da der hochgerüstete Orban nach Brüssel reitet, die Stadt einnimmt und dann irgendwie Kompromisse herstellen möchte", so Ellen Bros.

Ungarn will EU von Grund auf ändern

Das EU-Parlament hatte sogar für die Aussetzung der ungarischen Ratspräsidentschaft gestimmt. Die Staats- und Regierungschefs waren dagegen. Der ungarische EU-Minister János Bóka verspricht zwar, die Vermittlerrolle ernst zu nehmen; andererseits lässt er aber durchblicken, dass Ungarn die EU von Grund auf ändern will:

"Als Ratsvorsitz werden wir ehrliche Vermittler sein, die loyal mit allen Mitgliedstaaten und Institutionen zusammenarbeiten. Gleichzeitig verfolgt Ungarn eine aus unserer Sicht starke europäische Politik. Sie stellt eine klare europäische Alternative dar. Diese Vision von Europa wird sich auch in unserer Arbeit widerspiegeln."

Ungarn will Handel mit Asien ausbauen

Ungarns Partikularinteressen spiegeln sich durchaus im Programm für seine Ratspräsidentschaft: Das Land will zum Beispiel den Handel mit Asien ausbauen und die EU-Erweiterung Richtung Westbalkan vorantreiben. Der Budapester Soziologe Balint Magyar ordnet das vor dem Hintergrund von Ungarns guten Beziehungen zu China und Serbien so ein:

"Die Beziehung der EU zu China soll verbessert werden – also die Tür soll noch weiter aufgestoßen werden. Und zweitens will er den Westbalkanstaaten helfen, um seine Erpresserbande aufzubauen. Orban hat Polen verloren, Fico ist für ihn keine Bastion, er braucht also neue Kameraden in seiner Gang."

Ungarn verfolgt eigene Ziele in Sachen Migration

Ein weiterer Schwerpunkt der Ratspräsidentschaft soll die Migration werden. Hier will Ungarn etwa erreichen, dass Mitgliedsstaaten an der EU-Außengrenze Geld für Grenzzäune bekommen: ein Ziel, das Budapest schon lange verfolgt. Ebenso wie die Freigabe von 21 Milliarden Euro eingefrorener Gelder aus dem EU-Kohäsionsfonds. Und so hat Ungarn sich auch die Reform der Kohäsionspolitik vorgenommen.

EU muss sich an Ungarn-Vorschläge nicht halten

All diese Punkte kann Ungarn in den nächsten sechs Monaten auf die Tagesordnungen von Ministertreffen setzen. Die Minister müssen die Vorhaben aber nicht absegnen. Es könnte zu einigen Blockaden kommen. Ungarn ist in der EU ohnehin mehr und mehr isoliert, beobachtet Ellen Bos von der Andrássy-Universität: "Ich glaube, die Geduld bei einigen anderen ist jetzt auch ziemlich am Ende. Man sieht, es wird auch mehr Fantasie aufgebracht, um dann im Zweifelsfall auch einen Weg zu finden an Orban vorbei."

So dürfte es kein Zufall sein, dass die Spitzenjobs in der EU und ein Milliardenpaket für die Ukraine noch im Juni über die Bühne gegangen waren, unter der belgischen Ratspräsidentschaft.

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