Ab der kommenden Woche übernimmt Ungarn für ein halbes Jahr den EU-Ratsvorsitz und ist damit dafür verantwortlich, die Verhandlungen in der Gemeinschaft zu organisieren und zu leiten. Budapest hat angekündigt, dabei die Rolle eines "ehrlichen Maklers" übernehmen zu wollen.
Trotzdem weigert sich die ungarische Regierung weiterhin gegen den Willen der anderen Mitgliedsstaaten, EU-Gelder für Militärhilfe für die Ukraine freizugeben. Deshalb hat die Mehrheit der EU-Staaten beim Außenministertreffen in Luxemburg ein Verfahren gebilligt, um die Vergabe von Mitteln an Ungarn vorbei zu beschließen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell betonte zum Auftakt: "Wir verfügen über Einnahmen aus Zinserträgen auf in der EU eingefrorenes russisches Vermögen und wir müssen nach einem Weg suchen, diese zu nutzen und dabei jegliche Möglichkeit einer Blockade ausschließen."
Andere gehen ohne Ungarn voran
Nach Borrells Worten eröffnet der EU-Vertrag rechtliche Wege für Mitgliedsstaaten, die bei Vorhaben vorangehen wollen, auch wenn andere nicht mitziehen wollen. Grundlage der Entscheidung ist nach Angaben eines EU-Diplomaten ein schon getroffener Beschluss der EU-Länder, bei dem sich Ungarn enthalten hatte. Damit hat Budapest jetzt nicht mehr die Möglichkeit zu blockieren.
Die EU-Kommission könnte nun Geld vorstrecken, das Deutschland und andere Länder einsetzen, um der Ukraine schnell Ausrüstung für die Luftverteidigung oder Munition zu liefern. Die Rückerstattung könnte dann aus den Zinserlösen aus dem eingefrorenen russischen Vermögen erfolgen. Laut Borrell soll eine erste Tranche in Höhe von 1,4 Milliarden Euro in der kommenden Woche ausgezahlt werden, eine zweite im Umfang von gut einer Milliarde einige Monate später.
Monatelange Blockade
Ungarn hält seit Monaten die Auszahlung von EU-Geldern für Militärhilfen für die Ukraine auf. Dabei geht es um Mittel aus der sogenannten Europäischen Friedensfazilität (EPF). Aus diesem Topf außerhalb des EU-Haushalts können sich Mitgliedsländer Waffenlieferungen an die Ukraine teilweise erstatten lassen. Die Mitgliedsstaaten müssen Auszahlungen einstimmig genehmigen, was Ungarn eine Vetomöglichkeit eröffnet. Für den Zeitraum bis 2027 ist der Topf mit fünf Milliarden Euro gefüllt. Dazu kommen rund 2,5 Milliarden Euro aus Zinsgewinnen eingefrorener russischer Vermögenswerte, die ebenfalls für den Kauf von Waffen und Munition für Kiew eingesetzt werden sollen.
Die Regierung in Budapest begründet ihren Widerstand unter anderem mit der Sorge, dass der Konflikt weiter eskaliert. In Brüssel geht man allerdings davon aus, dass es ihr außerdem darum geht, EU-Gelder freizupressen, die die EU-Kommission wegen Rechtsstaatsbedenken zurückhält. Ungarns Regierungschef Viktor Orban hält auch nach Beginn des russischen Angriffskrieges Kontakt zum russischen Präsidenten. Im Oktober ließ er sich beim Handschlag mit Wladimir Putin fotografieren. Einem 50 Milliarden schweren Hilfspaket für die Ukraine bis 2027 stimmte ein EU-Gipfel Anfang Februar erst nach langem Ringen zu.
Eingefrorenes Russen-Vermögen nutzen
Schon vor einem guten Vierteljahr machte die EU-Kommission den Vorschlag, den Angreifer Russland für die Folgen des Ukrainekrieges aufkommen zu lassen und dafür Zinserträge abzugreifen, die auf in der EU eingefrorenes russisches Vermögen anfallen. Insgesamt liegen rund 210 Milliarden Euro an Vermögenswerten der russischen Zentralbank auf Eis. Der Großteil des Geldes ist beim belgischen Finanzinstitut Euroclear deponiert. Laut Euroclear fielen darauf im vergangenen Jahr 4,4 Milliarden Euro Zinsen an.
Die Zinserträge sollen zu 90 Prozent in für die Beschaffung von Waffen, Munition und Ausrüstung für die Ukraine verwendet werden. Zehn Prozent sollen in den Wiederaufbau des Landes fließen. Anders als die festgesetzten russischen Vermögenswerte sind die darauf anfallenden Zinserträge aus EU-Sicht nicht Moskaus Eigentum. Sie gelten als unerwartete Einnahmen und sind damit Eigentum der Verwahrstellen, darauf haben Russlands Zentralbank und der russische Staat nach Brüssels Einschätzung keinen Anspruch. Das sieht der Kreml anders. Ein Sprecher hat den Verantwortlichen in der EU mit strafrechtlicher Verfolgung gedroht.
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