Mit Marcel Mindrescu, Geographieprofessor an der Universität von Suceava, sind wir unterwegs im Rodna-Nationalpark in den Nordost-Karpaten in Rumänien, an der Grenze zur Ukraine. Weitab von jeder menschlichen Ansiedlung geht die Fahrt eine Schotterstraße und schließlich einen steilen Weg hinauf. Fast nur Bäume sind zu sehen: Roteichen, dann dichter Fichtenwald. Nur da und dort blitzt zwischen den Wipfeln die Vormittagssonne auf. Ziemlich weit oben, auf fast 1.800 Metern Höhe, halten wir. Hier, nahe der Baumgrenze, grasen Schafe, Pferde, eine Bergziege.
- Zum Artikel: "Holz-Pellets: Wie erkenne ich nachhaltig erzeugte Ware?"
Kahlschlag heißt hier "Durchforstung"
Marcel Mindrescu führt uns 200 Meter in den Wald hinein und zeigt auf eine verwüstete Fläche vor uns. "Den Wald hier haben sie komplett abgeholzt", sagt er. "Einen solchen Kahlschlag nennen sie bei uns in Rumänien ‚Durchforstung‘. Sie sehen ja: Nur eine Handvoll junger Bäume stehen noch da und dort. Nach dem Gesetz aber müssten hier, im Nationalpark, mindestens 75 Prozent der Bäume stehen bleiben bei einer Durchforstung. Stattdessen haben sie den Wald in eine Halbwüste verwandelt."
Holz für Pellets und Kaminöfen
Der Kahlschlag im rumänischen Rodna-Nationalpark ist kein Einzelfall. Vielerorts in der EU werden heute Wälder abgeholzt, um die wachsende Holznachfrage zu bedienen. Eine Nachfrage vor allem nach Brennholz. In Deutschland werden inzwischen elf Millionen Kaminöfen und knapp eine Million Pelletheizungen betrieben. In Ländern wie Dänemark, Frankreich und den Niederlanden stellen immer mehr Kohlekraftwerke auf Pellets um.
2005 wurden nach EU-Angaben etwas über 40 Prozent der EU-Holzernte verbrannt, 2017 waren es bereits fast 55 Prozent. Dafür gibt es zwei Ursachen. Erstens: Die durch den Ukraine-Krieg bedingte Energiekrise, die fossile Energieträger wie Gas, Öl und Kohle drastisch verteuert hat. Zweitens: Regelungen der EU, die den Energieträger Holz pauschal als erneuerbar einstufen, weil - in der Theorie - genügend Bäume wieder nachwachsen.
"Erneuerbarer Energieträger" - in der Theorie
Insgesamt wird Holzverbrennung in der EU mit jährlich fast 30 Milliarden Euro subventioniert. Die Befreiung industrieller Holzverbrennung von CO2- Emissionsabgaben summiert sich auf 12 Mrd. Euro pro Jahr, hinzu kommen 17 Mrd. Euro aus nationalen Programmen wie in Deutschland dem Erneuerbare Energien Gesetz.
Experten halten das für einen kapitalen Fehler: In der EU werde inzwischen deutlich mehr Holz verbrannt, als nachwächst. Und: Auch in den USA und Kanada werden – um Europa mit Pellets zu versorgen – immer mehr von menschlichen Eingriffen unberührte Primärwälder kahl geschlagen.
200 Hektar Kahlschlag
Von dem fast zehn Hektar großen Kahlschlag im rumänischen Rodna-Nationalpark geht es weiter auf einen der höchsten Gipfel im Park. Begeistert deutet Mindrescu auf Zirbelkiefern, die hier, umgeben von Wacholdergebüsch, noch in 1.800 Metern Höhe vorkommen. Es gebe Tausende Bären und Wölfe in der Region, die größte Population Europas. Und die Sedimente in den Gletscherseen weiter unten seien ein Tagebuch der Erdgeschichte. Dann deutet der Geograph auf eine mehrere Kilometer entfernte Kahlfläche von rund 200 Hektar, durchzogen von Erdstraßen, abgeholzt über mehrere Jahre.
Gesetzesverstöße und fehlende Kontrolle
"Die Verwüstung dieses Waldstücks", sagt Mindescru, "ist ein Hinweis auf Gesetzesverstöße beim Management des Parks. Wahrscheinlich aber verfügt die Parkverwaltung über irgendwelche Papiere, mit denen sie den Kahlschlag rechtfertigen kann." Eigentlich müsse der wissenschaftliche Beirat des Parks jeder "Durchforstung" zustimmen.
Die Mitglieder des Beirats träfen sich aber nur selten und kommunizierten meist nur per E-Mail. Die Verwaltung schreibe dann, man wolle nur ein bisschen durchforsten - ohne große Auswirkungen auf den Park. Dem stimmten die Beiräte dann zu, so Mindescru: "Niemand kontrolliert die Situation vor und nach dem Einschlag."
18 Mio. Festmeter geerntet, 38 Mio. genutzt
RomSilva heißt die rumänische Forstbehörde – die als Staatsunternehmen zugleich Gewinne erwirtschaften soll. Entsprechend lax sei – wenn genug Geld fließe – die Genehmigungspraxis für sogenannte "Durchforstung" oder Hygieneeinschläge. Tatsächlich würden dann nicht nur einzelne markierte Bäume geschlagen, sondern oft das ganze Waldstück.
Offiziell werden in Rumänien 18 Millionen Festmeter Holz pro Jahr geerntet. Verbraucht oder exportiert werden aber 38 Millionen. Bei 20 Millionen Festmetern weiß also zumindest die Öffentlichkeit nicht, woher sie stammen.
Kochen, braten, backen, heizen - alles mit Holz
Zurück in der Bukovina-Stadt Carlibaba besuchen wir das Ehepaar Forgacz. In der Wohnküche duftet es nach kochendem Gemüse. Ioanna Forgacz hat sich eine Schürze umgebunden und erklärt uns ihren dunkelbraunen Kachelofen, den sie zum Heizen und Kochen nutzt: "Auf dem Herd koche ich gerade Suppe und nachher Mamaliga, unseren Maisbrei. Ab und zu brate ich auch ein paar Steaks. Und im Backofen, der durch spezielle Züge im Innern des Ofens beheizt wird, backe ich Kuchen", sagt Ioanna. "Jedes Jahr brauchen wir ungefähr sechs Fuhren mit dem Pferdewagen, das sind rund zwölf Festmeter. Mal bringt uns ein Bauer das Holz, mal schlagen wir selber Brennholz. Wir haben ja den Wald direkt vor der Tür."
Wälder zu jung - oder geschützt
Rund vier Millionen rumänische Haushalte heizen mit Holz. Sie verbrauchen einen Teil des inoffiziell eingeschlagenen Holzes. Ein anderer Teil wird exportiert. Nach einer Studie von Greenpeace hat Rumänien seinen Export von Biomasse zwischen 2020 und 2022 verdoppelt.
Die Folgen erklärt Gabriel Paun, Leiter der zivilgesellschaftlichen Organisation Agent Green, die sich dem Schutz der rumänischen Wälder verschrieben hat: "Inzwischen sind – so sagt es die staatliche Bestandsaufnahme – 81 Prozent unserer Wälder zu jung, um dort Bäume zu ernten. Und die verbleibenden 19 Prozent bestehen vor allem aus von der EU geschütztem Natura 2000-Wald, Nationalparks und anderen wertvollen Beständen. Und in genau diesen Beständen gibt es jetzt Kahlschläge, weil es ja sonst nichts mehr einzuschlagen gibt."
Regierung verweigert Stellungnahme
Der BR hat Rumäniens Regierung um Stellungnahme gebeten. Ein – auf Bitte der Regierung – eingereichter Fragenkatalog blieb aber – trotz Nachfrage – unbeantwortet. Zu den Triebkräften problematischer Waldbewirtschaftung beispielsweise in Rumänien zählt die in Europa rasant wachsende Nachfrage nach Brennholz.
Diese Nachfrage schüren Millionen EU-Bürger, die mit Holz heizen – und nicht auf Holz aus heimischen Wäldern zurückgreifen. Die Nachfrage schüren vor allem aber Energieunternehmen, die Kohlekraftwerke auf Holz umstellen – um Subventionen zu kassieren und von Pelletpreisen zu profitieren, die niedriger liegen als die Preise für Kohle. Solche Unternehmen verfeuern inzwischen 50 Prozent des in der EU verbrannten Holzes – mit steigender Tendenz.
Kraftwerk Drax: Neun Millionen Tonnen Pellets pro Jahr
Schrittmacher der industriellen Holzverbrennung ist das im britischen Yorkshire stehende Drax-Kraftwerk, betrieben ursprünglich nur mit Kohle, berichtet aus London Almuth Ernsting, Leiterin der britischen Organisation Biofuelwatch: "2012 begann Drax, einen Großteil seiner Stromproduktion auf Pellets umzustellen. Derzeit verbrennen vier der sechs Blöcke Holz und zwei Kohle. Drax verbrennt somit mehr Pellets als jedes andere Kraftwerk weltweit – und zwar ausschließlich importierte Pellets. 60 Prozent kommen aus dem Südosten der USA, der Rest aus dem Baltikum und Kanada."
Weil Drax ausschließlich Strom produziere und sämtliche Wärme durch die Schornsteine entweichen lasse, sagt Almuth Ernsting, liege die Effizienz des Kraftwerks bei gerade 38 bis 39 Prozent. Sie drückt es so aus: "Von zehn verbrannten Bäumen werden sechs für ungenutzte Wärme verschwendet." Fast neun Millionen Tonnen Pellets pro Jahr verbrennt das Drax-Kraftwerk. Das entspricht dem Dreifachen der deutschen Pelleterzeugung oder dem Anderthalbfachen der britischen Holzproduktion.
Massive Subventionen
Mit dieser gewaltigen Menge Holz bestreitet das Kraftwerk nur sieben Prozent des britischen Strombedarfs, wird dafür jedoch von der britischen Regierung mit 3,5 Millionen Euro pro Tag subventioniert. Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie macht es auch für EU-Unternehmen attraktiv, Kohlekraftwerke auf Holz umzustellen.
Die Abgaben für Emissionen aus fossiler Energie steigen ja weiter. Und der Preis für Kohle liegt, bei gleichem Brennwert, deutlich über dem für Holz. Mehrere Kraftwerke in den Niederlanden und Dänemark haben bereits auf Pellets umgestellt. Auch die Betreiber des Onyx-Kohlekraftwerks im deutschen Wilhelmshaven erwägen, jährlich 2,9 Millionen Tonnen Pellets zu verbrennen.
Gewaltige Profite
Insbesondere eine tschechische Firma habe die "Pelletierung" von Kohlekraftwerken als sprudelnde Geldquelle identifiziert, berichtet Martin Pigeon, Sprecher der in Brüssel ansässigen Waldschutzorganisation FERN: "Ich habe gerade eine Studie zu einem großen tschechischen Unternehmen namens EPH veröffentlicht. Dieses Unternehmen kauft Kohle-Kraftwerke, wo es dann neben Kohle Holz verbrennt. EPH zahlt deshalb viel weniger für CO2-Emissionen als die früheren Betreiber und macht – angesichts der aktuellen Preise für Emissionen und Energie – Riesen-Profite."
Ein Beispiel: das EPH- Kohlekraftwerk im südfranzösischen Gardanne. Dort werden jetzt 850.000 Tonnen Holz pro Jahr verbrannt, um 50.000 Haushalte mit Strom zu versorgen.
Steigende Holznachfrage - zu Lasten der Wälder
Es spricht Einiges dafür, dass sich der EU-Bedarf an Brennholz in den kommenden Jahren vervielfachen wird – mit dramatischen Konsequenzen für Europas Wälder: Wälder in osteuropäischen Ländern wie Rumänien, Bulgarien und Polen; Wälder aber auch in nordeuropäischen Ländern wie der Balten-Republik Estland. Estland, kleiner als Niedersachsen, 1,3 Millionen Einwohner, ist gleichwohl der größte Pellet-Lieferant Europas, berichtet aus Tallinn Liina Steinberg, Mitarbeiterin der Organisation Rettet Estlands Wälder:
"Das exzessive Abholzen in Estland begann in den späten 1990er Jahren, als bestimmte Leute hier erkannten, dass sie mit dem Verkauf natürlicher Ressourcen viel Geld verdienen konnten. Das Tempo der Abholzung verschärfte sich, als 2009 die Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU in Kraft trat. Die Nachfrage des Auslands nach Pellets und Hackschnitzeln erhöhte sich dramatisch und es lohnt sich seitdem, auch kleine Bäume in Feuchtgebieten zu fällen, die für Bauholz und Möbel nicht taugen, für Hackschnitzel und Pellets aber gut genug sind."
Auch in Estland: Radikaler Kahlschlag
Die in Estlands Pellets-Industrie aktiven Unternehmen seien ausschließlich an effizienter Verwertung teils hundertjähriger Kiefern- und Fichtenbestände interessiert, meint Liina Steinberg: "Mehr als 90 Prozent unserer Holzernte stammen aus radikalem Kahlschlag. Hinzu kommt: Wir benutzen Maschinen aus Finnland und Schweden, die für die Böden dort konzipiert wurden."
Die finnischen und schwedischen Böden, sagt Steinberg, wiesen unter einer dünnen Schicht schwarzer Erde eine dicke Granitschicht auf. Die estnischen Böden dagegen seien sehr weich: "Der Granit beginnt erst tief unter der Erdoberfläche. Die oft 15 Tonnen schweren Vollerntemaschinen und Lastwagen verursachen deshalb schlimme Schäden an unseren Böden. Sie verdichten die Böden derart, dass es nicht Hunderte, sondern Tausende Jahre dauern wird, bis sie wieder ihre vorherige Qualität erreichen."
Weniger Artenvielfalt
In der Folge wachsen neu gepflanzte Bäume oft nicht an, berichtet Steinberg. Und die Artenvielfalt in Estlands Wäldern sinke dramatisch, weil jahrein, jahraus Maschinen durch die Wälder donnern – auch während der Brutzeit. Die Zahl von Gleithörnchen, Haselhühnern, Schwarzstörchen und anderen Waldvögeln sinke um 50.000 Paare pro Jahr.
Pellets aus den USA
Doch nicht nur europäische Wälder leiden unter Europas explodierender Nachfrage nach Brennholz. Gewaltige Mengen Pellets werden inzwischen aus dem Südosten der USA importiert, aus Wäldern der US-Bundestaaten North und South Carolina sowie Mississippi. In den Küstenlaubwäldern und Feuchtgebieten hier operiert eine Firma, die vor zehn Jahren noch eine kleine Klitsche in Bethesda, Maryland, war. Heute sei sie der größte Pelletproduzent der Welt, mit einer Kapazität von 6,2 Millionen Tonnen im Jahr, berichtet Rita Frost von der Organisation Dogwood Alliance in Asheville, North Carolina.
Holz aus Naturwäldern und Feuchtgebieten
Das Unternehmen Enviva wachse, weil die EU das Verbrennen von Pellets als nachhaltig definiert habe, sagt Rita Frost. Zudem täusche das Unternehmen ständig die Öffentlichkeit. So behaupte Enviva, bei der Bewältigung des Klimawandels zu helfen.
Bei der Dogwood Alliance hält man das für "blanken Unsinn", meint Rita Frost: "Enviva verwandelt tatsächlich Holz aus Naturwäldern und sogar Feuchtgebieten in Pellets. Die Firma fördert die Zerstörung unserer Wälder, indem sie Holz aus Kahlschlägen kauft und regelmäßig auch ganze Baumstämme in Pellets verwandelt."
"Fast kein Leben mehr, nur Zerstörung"
Enviva besitzt keine eigenen Wälder. Die Firma kaufe Holz von Privateigentümern, die oft nicht wissen, worauf sie sich einlassen, klagt Rita Frost. Bisweilen würden dann binnen Tagen Dutzende Hektar uralten Laubwalds abgeholzt – mitten in einer Region, die als Hotspot biologischer Vielfalt gilt:
"Wenn ich in diesen Wäldern Orte besuche, wo Holz für Pellets geerntet wurde, habe ich oft das Gefühl, dort hätte eine Bombe eingeschlagen. Ich sehe fast kein Leben mehr dort, nur Zerstörung. Und oft sehe ich auch Tümpel, deren Wasser vor kurzem noch in Baumwurzeln gespeichert war. Ich sehe Schlamm überall, riesige Baumstümpfe – und Haufen von Kleinholz. Es ist ja üblich bei uns, dass Waldbesitzer Holz, das sie nicht zu einem ordentlichen Preis verkaufen können, aufhäufeln, um es später zu verbrennen."
"Pellet-Output verdoppeln"
Enviva will bis 2030 seinen Pellet-Output verdoppeln. Der globale Pellet-Markt wachse in kaum vorstellbarem Ausmaß, sagt Justin Tait, der Sprecher des Unternehmens. Noch exportiere man zwei Drittel der Produktion nach Europa. Schon 2025 aber werde die Hälfte nach Asien gehen – nach Südkorea und Japan vor allem.
Justin Tait beschreibt die Vision des Unternehmens so: "Langfristig sehen wir eine wachsende Nachfrage nach Pellets auch für höherwertige Anwendungen. Als Rohmaterial für Kraftstoffe in der Luftfahrt zum Beispiel, als Biomasse für den Antrieb von Schiffen, als Prozesswärme in Zementfabriken. Die betreffenden Unternehmen müssen ja in einer Welt operieren, in der CO2-Emissionen und die Preise dafür eine zentrale Rolle spielen – dies insbesondere in der EU.
Enviva sieht sich als Kämpfer gegen den Klimawandel
Indem es seine Produktion ausdehne, kämpfe das Pellet-Unternehmen Enviva gegen den Klimawandel und für nachhaltige Waldbewirtschaftung – sagt Unternehmenssprecher Tait - aller Kritik zum Trotz: "Wir kaufen Holz ausschließlich von Waldbesitzern, die sich vertraglich verpflichten, das abgeerntete Land weiter als Wald zu nutzen. Wir kaufen nicht von Leuten, die sagen: 'Ich verkaufe die abgeerntete Fläche als Bauland oder nutze sie für andere Zwecke als die Neupflanzung von Wald'."
Schlimme Folgen des Biomasse-Booms
Derweil zeichnen sich in Europa schlimme Folgen des von der EU befeuerten Biomasse-Booms ab: Ein Drittel der Wälder besteht inzwischen aus Monokulturen. Die Hälfte der Bäume ist gleich alt. Das Ziel, überwiegend klimaresiliente Mischwälder zu haben, rückt somit in weite Ferne. Genauso das Ziel, unsere Wälder als CO2-Senken auszubauen.
Im Gegenteil: Laut dem Forstinformationssystem der EU ist die Menge des in EU-Wäldern gespeicherten Kohlenstoffs zwischen 2015 und 2020 um 4,3 Prozent gesunken, in Südosteuropa um 13, auf der iberischen Halbinsel sogar um 50 Prozent. Gründe dafür sind laut FERN-Experte Martin Pigeon einerseits der Klimawandel mit Dürren, Waldbränden und Käferplagen, andererseits und in viel größerem Ausmaß die Anreize der EU, Holz für die Produktion von Strom und Wärme zu verbrennen.
Brandbrief nach Brüssel
Angesichts dessen schickten bereits am 21. Februar 2021 500 europäische Wissenschaftler einen Brandbrief an die EU-Kommission, in dem sie vor der industriellen Energieproduktion mit Holz warnten. Diese verstärke den Klimawandel, auch wenn das Holz fossile Brennstoffe ersetze.
David Fritsch, Forstexperte der Deutschen Umwelthilfe, sagt: "Wir fordern, dass die Umrüstung von Kohlekraftwerken auf Holzverbrennung unter keinen Umständen gefördert, angereizt oder ermöglicht wird, weder in Deutschland noch anderswo in Europa. Insbesondere setzen wir uns auf europäischer Ebene dafür ein, dass Biomasse, die direkt aus dem Wald entnommen wird, mit dem einzigen Sinn und Zweck, sie zu verbrennen, dass das nicht als erneuerbare Energie gilt. Denn damit zerstören wir wichtige Ökosysteme."
Reform der EEG-Richtlinie
Immerhin: Die EU arbeitet seit kurzem an einer Reform ihrer Erneuerbare-Energien-Richtlinie. Der große Haken dabei: Nach dem im September gefassten Beschluss des EU-Parlaments zur Reform der Richtlinie soll die EU bis 2030 45 Prozent ihres Energiebedarfs aus erneuerbaren Ressourcen decken.
In den meisten nord- und osteuropäischen Ländern jedoch bestehen diese Ressourcen zu 70 Prozent aus Holz. Wenn Holz großenteils nicht mehr als "erneuerbar" gilt, werden diese Länder die angestrebte Quote erneuerbarer Energie nicht erreichen. Entsprechend erbittert dürfte ihr Widerstand gegen jede Neuregelung sein – erst recht, wenn sich die aktuelle Energiekrise erneut verschärft.
"Wachsweicher Kompromiss"
Entsprechend sei schon der jüngste Beschluss des EU-Parlaments, soweit er Holz betrifft, ein wachsweicher Kompromiss, erklärt der Österreicher Thomas Waitz, Mitglied der Grünen-Fraktion im EU-Parlament: "Der Kompromissvorschlag besagt, dass die Menge an Primärholz, die energetisch verwendet werden kann, auf dem Niveau eingefroren wird, das wir durchschnittlich zwischen 2017 und 2022 hatten."
Dazu habe dieser Kompromiss allerdings das eine oder andere "Hintertürchen": "Schadholz gilt nicht als Primärholz. Also wenn das ein Holz ist, das aus einem Borkenkäferbefall kommt oder aus einem Windwurf oder einfach nur vertrocknet ist in einem dürren Sommer, dann gilt das nicht als Primärholz."
Wie kann Holznutzung den Klimawandel bremsen?
Wie können Waldbewirtschaftung und Holznutzung tatsächlich unsere Abhängigkeit von fossiler Energie reduzieren und so den Klimawandel bremsen? In Deutschland werde der größte Teil der Wälder nachhaltig bewirtschaftet, sagt Franz Straubinger, seit 30 Jahren verantwortlich für 8.000 Hektar Wald der Grafen von Hatzfeldt in Rheinland-Pfalz. Tatsächlich nehmen die Biomasse und die Kohlenstoff-Speicherkapazität des deutschen Waldes stetig zu und der Umbau einstiger Monokulturen in artenreiche und klimaresiliente Wälder läuft.
Beim Spaziergang durch eine Allee aus hochaufragenden Baumriesen deutet Straubinger auf zwei Roteichen: "Die Eichen sind jetzt etwa 160 Jahre alt. Das, was über der Erde steht. Wie alt die Wurzeln sind, wissen wir nicht. Unser Ziel ist, dass wir diese Bäume dick werden lassen. Die sollen sich natürlich verjüngen und unter ihren alten Kronen die nächste Generation entwickeln. Wir möchten Mischwälder haben – mindestens vier, fünf Baumarten im selben Wald. Aber wir wollen auch die vertikale Stufung, also kleine und große, dicke und dünne, junge und alte Bäume nebeneinander haben."
"Wald regelmäßig pflegen"
Das, sagt Franz Staudinger, gelinge nur, wenn man den Wald regelmäßig pflege, durchforste und damit auch Holz gewinne, das man auf den Markt bringe - sägefähiges Holz, aber auch Brennholz. Im Laufe des Spaziergangs sehen wir gesund wirkende Eichen und Buchen, Vogelkirschbäume, Birken und Espen, Douglasien, Ahorn und Ulmen.
Fichten und Lärchen hätten leider enorm gelitten unter den Unbilden der letzten Jahre, sagt Straubinger. Seit fast tausend Jahren gehöre dieser Wald den Grafen Hatzfeldt, erzählt er. Die Verpflichtung, ihn für die nächste Generation zu bewahren, sei Kern des Familienethos.
"Behutsam, nachhaltig, naturgemäß"
Natürlich habe der Wald im Laufe der Jahrhunderte auch Fehler und Krisen erlebt. Soweit aber er, Straubinger, zurückdenken könne, gelte in der Hatzfeldtschen Forstwirtschaft das eherne Prinzip "Behutsam, nachhaltig, naturgemäß".
Konkret heiße das: "Mit unserer naturgemäßen Waldwirtschaft lassen wir immer tote Bäume stehen. Wir arbeiten unser Holz nicht auf bis zur Gipfelknospe, sondern so ab etwa zehn Zentimeter bleiben die Äste oder auch Stammteile im Wald zurück. Das braucht der Boden als Nährstoffquelle, aber auch als Habitat-Bereich für viele Pflanzen und Tiere. Und das ist für uns gar kein Widerspruch, Brennholz und Biotopholz nebeneinander zu haben. Im Gegenteil, beides ergänzt sich."
Brennholz und Nahwärme können klimaverträglich sein
Franz Straubinger steht beispielhaft für viele private wie staatliche Betriebe in Deutschland, die sich um eine nachhaltige Waldbewirtschaftung bemühen. Diese Betriebe gewinnen Brennholz und Pellets aus regionalen Kreisläufen.
Mithilfe von Zertifikaten wie dem "En plus" für Pellets machen sie die Herkunft des Holzes für den Kunden nachvollziehbar. Er kann dieses Holz mit gutem Gewissen kaufen. Und auch die Nahwärmeproduktion durch ein Biomasse-Kraftwerk kann klimaverträglich sein, wenn das Holz dafür nachhaltig gewonnen wird.
Großkraftwerke mit Holzverbrennung sind die Bedrohung
Dessen ungeachtet bleibt die Bedrohung der Wälder in Europa und anderswo durch die explodierende Brennholznachfrage von Kohle-Kraftwerken, die ihre Energieproduktion von fossilen Brennstoffen auf Holz umstellen - so wie das Kraftwerk Drax in Yorkshire oder Gardanne im südfranzösischen Bouches-du-Rhône. Wie die EU mit dieser Herausforderung umgeht, wird sich zeigen, wenn die EU-Gremien eine reformierte Erneuerbare Energien Richtlinie verabschiedet haben.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!