Beim Klimaschutz sind in Europa die Aufgaben verteilt: Die EU-Kommission formuliert die Ziele – etwa im Programm "Fit for 55", das vorschreibt, den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase bis 2030 um 55 Prozent gegenüber dem Wert von 1990 zu senken. Die Mitgliedsstaaten müssen die entsprechenden Vorgaben umsetzen. Auch das EU-Parlament redet mit – die Abgeordneten haben gerade Europas wichtigstes Klimagesetz beschlossen, um den Handel mit Ausstoßrechten auszuweiten.
Die Politik gründet ihre Entscheidungen auf wissenschaftliche Daten. Die liefert etwa der Weltklimarat "IPCC" oder das EU-Erdbeobachtungsprogramm "Copernicus", das sich auf Satellitenbeobachtungen und Erkenntnisse nationaler Wetterdienste stützt.
Der jüngste Copernicus-Bericht beschreibt die wichtigsten Klimaereignisse des vergangenen Jahres in Europa und der Welt - und die sind nach den Worten von Copernicus-Direktor Carlo Buontempo besorgniserregend: "2022 war ein weiteres Rekordjahr mit Blick auf die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre, auf extreme Temperaturen, Waldbrände und Niederschläge."
Europas bisher heißester Sommer
Laut der Untersuchung erlebte Europa 2022 das zweitwärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen - mit Temperaturen, die um 0,9 Grad über dem zehnjährigen Mittel lagen. Der vergangene Sommer war in Europa sogar der bisher heißeste: mit 1,4 Grad über dem bisherigen Durchschnitt. Dazu kamen intensive Hitzewellen, Dürren und große Waldbrände vor allem im Süden Europas. Viele Menschen standen ungewöhnlich lange unter Hitzestress. Das bedeutet, dass sie Werten von 43 Grad und mehr ausgesetzt waren.
Dem Bericht zufolge steigen die Temperaturen in Europa doppelt so schnell wie im weltweiten Mittel. Copernicus-Expertin Samantha Burgess erklärt das mit Besonderheiten des Kontinents: "Europa besteht überwiegend aus Landfläche, die sich schneller erwärmt als das Meer. Und es gibt viele Rückkopplungsmechanismen zwischen Europa und der Arktis, die sich noch schneller erwärmt. Außerdem hat die besondere Dynamik in der Atmosphäre über Europa dazu geführt, dass sich die Erwärmung in den vergangenen Jahren verstärkt hat. Wir sehen weltweit einen stetigen Anstieg der Temperaturen, aber in Europa sind die Temperaturen nicht immer so schnell gestiegen wie in den letzten zehn bis 20 Jahren."
Im Zeitraum der vergangenen fünf Jahre lagen die Durchschnittswerte des Kontinents etwa 2,2 Grad über dem vorindustriellen Niveau.
Trockenheit und kein Ende
2022 beeinträchtigte die weit verbreitete Trockenheit in Europa die Landwirtschaft, Schifffahrt und Energieversorgung. Im Winter zuvor hatte es kaum geschneit, im Frühjahr wenig geregnet. In den Alpen kam es zu einem Rekordverlust an Gletschereis von insgesamt über fünf Kubikkilometern. Zwei Drittel der Flüsse in Europa wiesen unterdurchschnittliche Pegel auf.
Auch für das laufende Jahr ist wenig Besserung in Sicht, erklärt Copernicus-Wissenschaftlerin Burgess: "Nach dem, was wir in den letzten Monaten gesehen haben, waren Winter und Frühling in weiten Teilen Europas überdurchschnittlich warm und trocken. Dies hat offensichtlich Auswirkungen auf die Wasserverfügbarkeit. Es gibt schon Berichte über Wasserknappheit in Mittelmeerländern, insbesondere in Spanien. Wenn es keine bedeutenden Niederschläge im Frühjahr gibt, wird es wahrscheinlich bleiben, dass es in den südeuropäischen Ländern im Frühling und Sommer zu einer unterdurchschnittlichen Wasserverfügbarkeit kommt."
- Lesen Sie hier: "Italien: Extreme Dürre bedroht Seen, Flüsse - und die Pasta"
So viel Treibhausgas wie noch nie
Copernicus stellt außerdem drastische Klimaveränderungen in der Arktis und in Grönland fest. Die Temperaturen in der Arktis sind dem Bericht zufolge viel schneller gestiegen als in den meisten anderen Teilen der Welt. In Grönland wurden 2022 außergewöhnliche Hitze und Regenfälle im September verzeichnet - einem Monat, in dem normalerweise Schnee fällt. Das führte zu einer Rekordschmelze des Eisschildes.
Hauptursache ist nach Ansicht der Copernicus-Fachleute der steigende Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase: Laut der Untersuchung erreichten die Konzentrationen von Kohlendioxid und Methan in der Atmosphäre 2022 die höchsten bisher gemessenen Werte. Die Politik versucht gegenzusteuern unter anderem mit der vom EU-Parlament beschlossenen Reform des Emissionshandels. Europäische Unternehmen müssen schon seit vielen Jahren Verschmutzungszertifikate kaufen, wenn sie bei der Produktion Kohlendioxid ausstoßen.
Emissionshandel in der EU wird verschärft
Jetzt wird das System verschärft: Kostenlose Gutschriften laufen aus. Neben Stromerzeugern, Industrie und Luftfahrt muss künftig auch die Schifffahrt Zertifikate kaufen. Ab 2027 wird es einen separaten Emissionshandel für Gebäude und Straßenverkehr geben. Damit sind vier Fünftel des gesamten CO2-Ausstoßes in der EU abgedeckt. In den betroffenen Bereichen sollen die Emissionen bis 2030 um 62 Prozent im Vergleich zu 2005 sinken.
In Deutschland gilt schon ein CO2-Preis für Kraftstoffe und fürs Heizen. Dieser nationale Emissionshandel soll in der europäischen Regelung aufgehen.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!