Vier Landtagswahlen gab es im Jahr 2022 - nicht einziges Mal kam die Linke auf über drei Prozent. Bei der Wiederholung der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im Februar gab es einen Achtungserfolg mit 12,2 Prozent. Doch der Dämpfer kam trotzdem: Die Regierungsverantwortung ist die Linke in der Hauptstadt los.
- Zum Artikel: "Analyse: Welche Chancen hätte eine Wagenknecht-Partei?"
Politikwissenschaftler: "Düstere Situation" für die Linke
Die nackten Zahlen zeigen einen alarmierenden Trend für eine Partei, die bei der Bundestagswahl 2009 noch beinahe zwölf Prozent holte. Aktuell liegt sie in landesweiten Umfragen nur noch zwischen vier und fünf Prozent.
"Eine insgesamt recht düstere Situation", bescheinigt Benjamin Höhne der Partei im "Dossier Politik". Höhne ist Professor für Vergleichende Politikwissenschaften und hat gegenwärtig eine Vertretungsprofessur an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster inne. Zugleich sagt er: "Die Nachfrage nach linker Politik, die weiter links steht als sie von den Parteien SPD und den Grünen vertreten wird, ist da."
- Hören Sie das ganze Gespräch mit Prof. Benjamin Höhne im Dossier Politik – im Artikel oben über den Play-Button, im BR-Podcast-Center oder in der ARD-Audiothek.
Sozialpolitik der Bundesregierung ist Problem für die Linke
Woran liegt es also, dass es um die Linke so schlecht steht? Höhne sieht einen Grund für die Lage der Linken darin, dass "die Bundesregierung - ob das die Große Koalition war oder die Ampelkoalition - sehr viel Geld in die Hand genommen hat, um soziale Härten, soziale Verwerfungen möglichst abzubauen."
Preisdeckel für Strom und Gas, Energiepauschalen, weitere Erhöhungen staatlicher Leistungen waren Maßnahmen, die soziale Härten abfedern sollten. Und diese Politik der letzten beiden Bundesregierungen sei damit laut Höhne ein Problem für die Linke geworden.
Schwund bei den Mitgliedern
Ein weiteres Problem für die Linke: Ihnen laufen die Mitglieder weg. 2009, zwei Jahre nach Gründung der Partei als Zusammenschluss von PDS und WASG, lag die Partei bei über 78.000 Mitgliedern. 2021 waren es noch 60.000, Ende des vergangenen Jahres nur noch 54.000.
Die Linke hat wie fast alle anderen Parteien in Deutschland auch – mit Ausnahme der Grünen – mit einem Rückgang der Mitglieder zu kämpfen. Warum er bei den Linken so extrem ist, hat auch mit der Mitgliederstruktur zu tun. In der Partei seien nach wie vor viele Menschen, die früher in der SED waren. Dies trägt "massiv zu einer Überalterung" der Partei bei, so Höhne. Gleichzeitig kämen viel zu wenig Junge nach. "Das führt natürlich dazu, dass in Frage gestellt wird, ob sie ihre Funktion - wie sie sie seit 1990 bis heute vor allem im Osten als 'Kümmererpartei' wahrgenommen hat - in Zukunft noch so wahrnehmen kann", sagt Politikwissenschaftler Höhne.
Linken-Hoffnungsträger schmeißt hin
Einer dieser Jungen, der zu den Hoffnungen der Partei gehöre, ist Justin König. Der 25-Jährige war bis vor kurzem stellvertretender Landesvorsitzender der Linken in Brandenburg. Anfang März trat er aus der Partei aus und begründete dies in einem zweiseitigen Schreiben. Gleich zu Beginn heißt es darin: "Nach achteinhalb Jahren muss ich konsterniert feststellen, dass die gemeinsamen Schnittmengen nicht mehr ausreichen, um die Linke weiterhin 'meine Partei' nennen zu können"
Der Grund für seinen Schritt ist auch Sahra Wagenknecht und der Teil der Linken, der von der Bundesregierung eine Kehrtwende in der Russland-Politik fordert. König wirft dieser Gruppe vor, "in Teilen gezielt Desinformation mit Kreml-Narrativen" zu streuen. Im Gespräch mit dem Dossier Politik attackiert König die ganze Partei besonders in Hinblick auf die russischen Kriegsverbrechen Russlands in der Ukraine wie in Butscha. "Diese Vernichtungs-Komponente, die mit dem Überfall einherging, die, finde ich, wird von der linken Partei überhaupt nicht gesehen", kritisiert König.
Der Umgang in der Partei mit seinem Anliegen war laut König schwierig. "Die Angriffe, die man erfährt, gehen ins Persönliche." Man habe ihm vorgeworfen, den Krieg mit anheizen zu wollen. "Das ist natürlich völliger Quatsch", so König. Auf die Frage im Dossier Politik, ob Teile der Partei durch die von ihm angeprangerte Verbreitung von Desinformation zur fünften Kolonne Moskaus werden, antwortete König: "Wenn man so will, ja - so würde ich den Wagenknecht-Flügel und auch die beabsichtigte Politik dahinter beschreiben."
Sahra Wagenknecht ist zum Problem geworden
Mit seiner Kritik an Sahra Wagenknecht ist König nicht allein. Nach Wagenknechts Rede im Bundestag im September, in der sie der Bundesregierung vorwarf, "einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen", gaben gleich mehrere Hundert Mitglieder ihr Parteibuch zurück.
Auch ihre gemeinsam mit Alice Schwarzer in Berlin initiierte Demonstration "Aufstand für den Frieden" sorgte für Ärger – auch in der Parteiführung, wegen mangelnder Abgrenzung nach rechts, so der Vorwurf.
Gründet Wagenknecht eine eigene Partei?
Schon seit Längerem kokettiert Wagenknecht mit der Gründung einer eigenen Partei. Mitte März hielt sich Wagenknecht im Interview mit dem ZDF die Möglichkeit weiter offen. "Ich gehe davon aus, dass innerhalb des nächsten Dreivierteljahres – maximal eines Jahres – die Entscheidung so oder so fallen wird und auch bekannt sein wird", sagte sie da.
Die Reaktion aus der Partei ließ nicht lange auf sich warten. "Ich bin wirklich stinksauer über diese fortgesetzten Ankündigungen, über eine Partei-Neugründung", erklärte Linken-Co-Parteichef Martin Schirdewan. Und Ates Gürpinar, Parteivize und Abgeordneter aus dem Wahlkreis Rosenheim, wetterte: "Diese Ankündigung halte ich wirklich für eine Frechheit. Das kann man nicht dulden, dass sie sich jetzt einfach Zeit lässt."
Experte sieht "große Fragezeichen"
Ob es zu einer Partei-Neugründung kommt, da hat Politikwissenschaftler Benjamin Höhne seine Zweifel. Er erinnert an die von Wagenknecht gegründete "Aufstehen"- Bewegung. "Das ist ja nun wirklich gescheitert", sagt Höhne im Gespräch mit dem BR. "Man kann klar sagen, dass ihre Defizite darin liegen, nicht in die Ebenen der Ortsverbände, Kreisverbände hineinzugehen, dort mit anzupacken, dort Leute zu motivieren, sich auch um organisatorische Details zu kümmern." Ob es mit einem neuerlichen Anlauf funktionieren kann, da sieht Höhne "sehr, sehr große Fragezeichen".
Zugleich betont Höhne auch die Bedeutung, die Wagenknecht trotz der Kontroversen für ihre Partei hat. "Durch ihr mediales Auftreten hat sie auch zum Erfolg der Linkspartei beigetragen", erklärt Höhne. Kandidieren will Wagenknecht für die Partei aber vorerst nicht mehr.
Weitere Gefahren: AfD und Wahlrechtsreform
Die Linke spürt den Druck nicht nur von innen, sondern inzwischen auch die Konkurrenz von Rechtsaußen. Bei der Bundestagswahl 2021 machten 160.000 ehemaligen Linken-Wähler ihr Kreuz bei der AfD. Besonders im Osten versuchen die Rechtspopulisten der Linken den Rang als vermeintliche Kümmerer-Partei abzulaufen. Allerdings gibt es auch bei der Linken einen Teil, der wiederum Strategien der Konkurrenz nutzt. Gerade Sahra Wagenknecht setze auf eine "soziale Politik im Nationalen, die exklusiv ist, die ausgrenzt", wie es der Professor für Vergleichende Politikwissenschaft, Benjamin Höhne, beschreibt. Diese könne auch die Stoßrichtung einer neuen Wagenknecht-Partei sein.
Dennoch sieht Höhne hier auch Möglichkeiten für die Linken: "Das, was Frau Wagenknecht versucht, das wird man eher bei den Rechtspopulisten wiederfinden". Und bei denen stehe die Frage im Raum, ob sie die soziale Karte aus Überzeugung oder eher aus Wahltaktik spielten. "Eine linke Partei hat den Vorsprung, dass man ihr es abnimmt, für soziale Gerechtigkeit einzutreten."
Nächster Bundestag ohne die Linken?
Ob sie das aber nach der nächsten Bundestagswahl noch im Bundestag tun kann, ist ebenfalls unsicher. Die Partei ist gegenwärtig nur wegen der Grundmandatsklausel im Parlament: Die Linke scheiterte 2021 an der Fünf-Prozent-Hürde, holte allerdings drei Direktmandate und ist damit in Fraktionsstärke im Bundestag vertreten. Doch genau diese Grundmandatsklausel hat die Ampel-Regierung in ihrer Wahlrechtsreform gestrichen.
Die Krisen und Gefahren für die Linke sind also zahlreich. Dennoch erklärt Politikwissenschaftler Höhne: "Die Partei hat eine Zukunft - aber sie sollte die Streitereien beilegen." Und da spiele Wagenknecht eine ganz große Rolle. Durch die internen Debatten sei man weit davon entfernt, die eigenen Programmatik in den Mittelpunkt zu stellen. "Gelingt das nicht", prognostiziert Höhne, "dann droht tatsächlich auch die politische Bedeutungslosigkeit."
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