Eine neue Prognose nach der Parlamentswahl in Polen hat bestätigt, dass Polens nationalkonservative Regierungspartei PiS die absolute Mehrheit verfehlt hat und drei Oppositionsparteien eine neue Regierung bilden könnten. Die PiS von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki wurde mit 36,1 Prozent der Stimmen stärkste Kraft, wie am Montagnachmittag veröffentlichte Ergebnisse von Nachwahlbefragungen des Meinungsforschungsinstituts Ipsos zeigten.
Auf dem zweiten Platz mit 31 Prozent lag die liberalkonservative Bürgerkoalition (KO) des ehemaligen Ministerpräsidenten und früheren EU-Ratspräsidenten Donald Tusk. Er hätte laut der Prognose mit zwei weiteren Oppositionsparteien, dem christlich-konservativen Dritten Weg (14 Prozent) und dem Linksbündnis Lewica (8,6 Prozent), eine Mehrheit im Parlament.
Machtwechsel zu proeuropäischem Kurs möglich
Ein Machtwechsel in Warschau könnte entscheidende Veränderungen in der polnischen Außenpolitik bringen. Die PiS liegt im Dauerstreit mit Brüssel und verärgerte Berlin mit Forderungen nach Weltkriegsreparationen. Die Opposition könnte Polen auf einen proeuropäischen Kurs bringen.
In der neuen Prognose wurden der PiS 196 Sitze im neuen Parlament vorhergesagt. Die Mehrheit liegt bei 231 der 460 Mandate. Als Koalitionspartner kommt nur die ultrarechte Konfederacja infrage, mit deren 15 Mandaten es aber ebenfalls nicht für eine Regierungsmehrheit reicht. Das endgültige Wahlergebnis steht wohl erst am Dienstag fest.
Die oppositionelle Bürgerkoalition (KO) kann laut Prognosen auf 158 Mandate zählen. Das mögliche Dreierbündnis mit dem Dritten Weg und der Linkspartei käme auf insgesamt 249 Abgeordnete und hätte eine Mehrheit im Parlament.
Opposition feiert bereits Sieg
Oppositionsführer Donald Tusk sah sich am Abend daher schon als Sieger: "Ich habe mich noch nie so sehr über den zweiten Platz gefreut. Polen hat gewonnen, die Demokratie hat gewonnen, das ist das Ende der PiS-Regierung", sagte er am Wahlabend. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski sagte, man warte auf den weiteren Verlauf der Ereignisse. Das Kräfteverhältnis im Parlament kann sich noch durch Nuancen von wenigen Prozentpunkten für kleinere Parteien verschieben. Erwartet wird eine langwierige Regierungsbildung.
Scharfe Attacken auf Tusk im Wahlkampf
Rund 30 Millionen Wahlberechtigte waren am Sonntag aufgerufen, ein neues Parlament zu bestimmen. Die PiS-Regierung mit ihrem Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki führt seit Jahren einen Machtkampf mit Brüssel, vor allem wegen ihrer Justizreform, die von Kritikern als Angriff auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verurteilt wird. Die Wahl entscheidet somit auch darüber, ob der Konfrontationskurs gegen Brüssel weitergeht oder nicht. Zu den vielen scharfen Attacken der PiS gegen Oppositionsführer Tusk gehörte im Wahlkampf auch der Vorwurf, der ehemalige EU-Ratspräsident handele im Interesse Deutschlands, der EU und Russlands.
"Wir sind in der EU und wir wollen dort bleiben, aber in einer EU souveräner Staaten", sagte PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski am Freitag bei der letzten Wahlkampf-Kundgebung seiner Partei in Sandomierz. Tusk warf der PiS auf seiner Abschlusskundgebung in Pruszkow vor, sie habe "geheime Pläne" für einen EU-Austritt Polens. Die PiS führe "das Land auf den falschen Weg". Daher sei die Parlamentswahl "der wichtigste Tag in der Geschichte unserer Demokratie seit 1989".
Polenbeauftragter Nietan: Polen wollen Veränderung
Der Wahlausgang in Polen zeigt nach Ansicht des Polenbeauftragten der Bundesregierung, Dietmar Nietan (SPD), dass die Menschen in Polen Veränderung wollen. Im Interview mit der radioWelt von Bayern 2 sagte Nietan: "Ich bin sehr froh, dass die polnische Gesellschaft gezeigt hat, dass sie auf der Seite der Demokratie steht. […] Es hat eine Rekordwahlbeteiligung von fast 73 Prozent gegeben. Das hat es nach der Wende im demokratischen Polen noch nie gegeben. Das zeigt, dass die Menschen eine Veränderung wollten."
Gleichwohl weist Nietan darauf hin, dass das Wahlsystem in Polen der PiS noch wichtige Mandate bringen kann. Weiter geht er davon aus, "dass die PiS ihre Macht freiwillig nicht hergeben wird". Für ihn sei aber auch klar, dass die Stammwähler der PiS die Partei nicht wegen ihrer Hetze gegen Deutschland gewählt haben, "sondern weil die PiS in der Sozialpolitik, Stichwort Kindergeld, Stichwort Rentenerhöhung, für viele Menschen, denen es wirtschaftlich nicht so gut geht in Polen, durchaus einiges getan hat. […] Die Hetze gegen Deutschland vergiftet aber natürlich das Klima zwischen beiden Staaten".
CDU/CSU wünscht sich Regierung unter Donald Tusk
Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jürgen Hardt (CDU), sagte, der Wahlausgang in Polen zeige, "dass mit Deutschland- und Europafeindlichkeit auch bei unseren Nachbarn keine Wahlen zu gewinnen sind. Die Menschen in Polen gehören zu den großen Gewinnern der europäischen Einigung und lassen sich nicht das Gegenteil einreden." Die CDU/CSU wünsche sich "das rasche Gelingen der Bildung einer neuen polnischen Regierung unter Donald Tusk".
Im Video: Parlamentswahl in Polen
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