Ein Abend Ende Januar in Berlin. Die Linke startet im Festsaal Kreuzberg in die heiße Wahlkampfphase. Rund 700 Leute sind gekommen, schätzt ein Parteisprecher. Das mag etwas hochgegriffen sein, aber die Halle ist voll. Und die Stimmung ausgelassen. Parteichefin Ines Schwerdtner und Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek bahnen sich einen Weg durch die Menge, begleitet von Popmusik in Diskolautstärke.
Auf der Bühne angekommen, räumt Schwerdtner ein, dass sie die jüngste Entwicklung überrascht hat. Bei ihrer Wahl zur Parteichefin im Herbst hätte sie nicht gedacht, dass die Linke kurz vor der Bundestagswahl "so krass im Aufschwung ist". Und damit meint sie nicht nur den Andrang bei Wahlkampfterminen wie diesem. Sondern auch steigende Umfragewerte.
Linke setzt bei Bundestagswahl auf Direktmandate
"Ich bin einigermaßen erstaunt", sagt auch Hendrik Träger von der Universität Leipzig. Die Werte hätten sich in kurzer Zeit verdoppelt, so der Politikwissenschaftler im BR24-Gespräch. Einen Grund dafür sieht Träger in der "Mission Silberlocke", eine Wortschöpfung der Parteistrategen. Drei Altvordere sollen der Linken einen Wiedereinzug ins Parlament sichern, indem sie jeweils ein Direktmandat gewinnen. Vor allem Gregor Gysi werden in seinem Wahlkreis im Südosten Berlins gute Chancen eingeräumt. Und angesichts der Umfragedynamik macht sich die Linke inzwischen Hoffnungen auf ein bundesweites Ergebnis oberhalb der Fünf-Prozent-Hürde.
Nach Einschätzung von Träger mobilisiert die Partei mit der "Mission Silberlocke" vor allem ältere Anhänger, "die früher schon die Linke und noch früher die PDS gewählt haben". Diese seien dadurch "wachgerüttelt" worden, "dass es für die Linke bei der Bundestagswahl ums politische Überleben geht". Zudem spreche Reichinnek eine jüngere Zielgruppe an. Die 36 Jahre alte Bundestagsabgeordnete erzielt in Online-Netzwerken hohe Reichweiten. Ihre Kurzvideos werden im Internet zum Teil millionenfach aufgerufen.
Linke meldet Mitgliederrekord
Dieser Trend spiegelt sich auch in den Mitgliederzahlen. Gerade erst hat die Berliner Parteizentrale einen Rekordwert von mehr als 81.000 gemeldet. Zuletzt seien besonders viele junge Menschen beigetreten. Ein Erfolg für eine Partei, die lange mit einem Nachwuchsproblem zu kämpfen hatte.
"Das ist jetzt ein Momentum", sagt Nicole Gohlke. Die Münchner Bundestagsabgeordnete sieht die Linke "auf dem Weg zu einer neuen Geschlossenheit". Vorbei die jahrelangen Auseinandersetzungen rund um Sahra Wagenknecht, die der Linken vor über einem Jahr den Rücken gekehrt hat. Die Partei sei nun in einer "völlig anderen Situation", stellt Gohlke fest. Und das sei schlicht "befreiend".
Mieten und Lebensmittelpreise im Mittelpunkt
Tatsächlich fällt es der Linken jetzt leichter, mit einer Stimme zu sprechen. Der Wahlkampf hat einen klaren Schwerpunkt auf den Kampf gegen steigende Lebenshaltungskosten – ob in Form von hohen Mieten oder teuren Lebensmitteln. Der laufende Haustürwahlkampf scheint diese Strategie zu bestätigen.
An mehr als 420.000 Türen habe man bundesweit geklopft, schreibt der Rosenheimer Abgeordnete Ates Gürpinar auf BR24-Anfrage. Über 28.000 seien es allein in Bayern gewesen. Und bei diesen Haustürgesprächen sei deutlich geworden, wie sehr die Verteuerung des täglichen Lebens die Menschen umtreibe.
"Anfangseuphorie" beim BSW verflogen?
Demgegenüber muss die neue Wagenknecht-Partei damit zurechtkommen, dass ihr Kernthema Krieg und Frieden etwas in den Hintergrund gerückt ist. Außerdem sei die "Anfangseuphorie" gut ein Jahr nach der BSW-Gründung ein Stück weit verflogen, stellt Politikwissenschaftler Hendrik Träger fest. In Bayern sind vor Kurzem mehrere Mitglieder ausgetreten – unter ihnen der EU-Abgeordnete Friedrich Pürner.
Wagenknecht selbst will von schlechter Stimmung beim BSW nichts wissen. Allerdings knüpft sie ihre politische Zukunft mittlerweile ausdrücklich an einen Erfolg bei der Bundestagswahl – wohl, um das Potenzial bei ihrer Kernanhängerschaft voll auszuschöpfen. Und auch bei der Linken weiß man, dass ein Wahlerfolg kein Selbstläufer ist. "Deswegen", sagt Gürpinar, "gehen wir jetzt noch jeden Tag raus".
Im Audio: Wagenknecht - Wahl ist auch Abstimmung über meine politische Zukunft
BSW-Chefin Sahra Wagenknecht
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