Massimo Muzzarelli ist ein Mann, den so schnell nichts aus der Ruhe bringt. Mit seinen 67 Jahren hat der Italiener Generationen an Badegästen und Touristen kommen, schwimmen und wieder gehen sehen. Entsprechend gefasst wirkt er zunächst, als er die Schäden zeigt, die das Mittelmeer an seinem Strandbad hinterlassen hat. Wie sehr es ihn berührt, werden wir erst später erfahren.
Zunächst führt Massimo Muzzarelli die Badehäuschen entlang, die in einer langen Reihe Richtung Meer aufgebaut sind. Badegäste können sich in ihnen umziehen. Eigentlich. Doch rund die Hälfte ist nicht mehr benutzbar. Früher endete der Sandstrand noch 100 Meter vor den Häuschen. Nun steht das Wasser bereits unter der Hälfte der Kabinen, das Meer hat den Sand unter den Häuschen weggespült. "Fast eineinhalb Meter fehlen unter dem Boden", erklärt Muzzarelli. Die Betonfundamente sind gebrochen, nur noch ein paar Mauerreste stützen die Häuschen. "Bald werden sie ganz einstürzen", fürchtet Muzzarelli. Sein Strandbad in Ostia muss deshalb in diesem Jahr geschlossen bleiben.
"Ein Problem in ganz Italien"
Eine halbe Autostunde nördlich, in Rom, sitzt der Umweltforscher Filippo D’ascola vor einem Satellitenbild von Ostias Küste. Hier sieht er sofort, warum dem Strandbad von Massimo Muzzarelli der Sand ausgeht. Der Forscher deutet zunächst auf den Tiber, der bei Ostia ins Mittelmeer mündet. "Es ist ein Problem in ganz Italien. Die Flüsse transportieren nicht mehr so viel Sedimente wie früher, die dann eigentlich vom Meer entlang der Küsten verteilt würden", sagt Filippo D'ascola.
Doch selbst wenn der Tiber ausreichend Nachschub an Sand liefern würde, er würde trotzdem nicht bei Massimo Muzzarelli ankommen. "Schauen sie hier, die Hafenanlagen von Ostia", erklärt Forscher D'ascola. "Die Betonbauten verhindern, dass das Meer die Sedimente entlang der Küste transportieren kann." Der Experte vom italienischen Institut für Umweltschutz und Forschung (ISPRA) hält die Bauaktivitäten des Menschen für das größte Problem - für die übrigens ebenfalls große Mengen an Sand benötigt werden.
Natürliche Strände als Küstenschutz
Am besten für die Strände wäre es, der Mensch würde sich von den Küsten zurückziehen. Denn Sandstrände sind Ökosysteme, die sich selbst erneuern können. Vor allem, wenn an die Küstenlinie eine intakte und unverbaute Dünenlandschaft anschließt. Denn für die Strände sind die Dünen ein natürliches Sandreservoir. "Die Düne ist eigentlich der letzte Teil des Meeres. Sie arbeitet für das Meer und mit dem Meer", sagt Forscher D'ascola. Und zugleich ist die Düne ein guter Schutz gegen Sturmfluten.
Doch an vielen Stränden ist das Gegenteil der Fall. Hotels und Straßen werden bis an die Wasserlinie gebaut. Der Strand hat keinen Platz mehr, um sich zu erneuern. Deshalb müssen viele Strände künstlich aufgeschüttet werden, um sie zu erhalten. Riesige Mengen an Sand werden abgebaggert und an die Strände gebracht. In Spanien zum Beispiel. Aber auch Massimo Muzzarelli in Ostia berichtet davon. Nachhaltig geholfen hat es ihm nicht.
In Griechenland könnten rund 300 Strände verschwinden
Neben dem fehlenden Sand-Nachschub durch die Flüsse besorgt Forschende der Klimawandel. Falls wie befürchtet in den nächsten Jahrzehnten der Meeresspiegel deutlich ansteigt, könnte sich die Situation der Sandstrände nochmal deutlich verschärfen. Zum Beispiel in Griechenland.
Ein Besuch am Vouliagmeni-Strand, einem der Stadtstrände Athens. Sonnenschirme in langen Reihen. Hotels und Bars gleich dahinter. Doch Forscher warnen, dass der Strand bald zu einer kleinen Insel verkümmert. "Der Strand war mal viel größer. Er ist um 50 Prozent geschrumpft", sagt ein Badegast. "Ich will es nicht glauben. Aber den Klimawandel gibt es. Man müsste über Prävention reden", sagt ein anderer.
Vergangenes Jahr macht eine Studie der Universität von Athen Schlagzeilen. Demnach hatte Niki Evelpidou, Professorin für Geografie und Klimawissenschaften, knapp 300 griechische Strände benannt, die in den nächsten Jahren vermutlich verschwinden werden. Und am häufigsten treffe es wohl die idyllischsten: Sandbänke oder Dünen, die eine Insel mit dem Festland verbinden und so zu einer Halbinsel machen oder die zwei Inseln miteinander verbinden.
Forscher sieht Strandbäder als Teil des Problems
Wenn man es mit der Prävention ernst meinen würde, dann müsste man jedoch auch die Strandbäder selbst überdenken, sagt Umweltforscher Filippo D'ascola in Rom. Er sieht Betriebe wie den von Massimo Muzzarelli in Ostia als Teil des Problems, weil auch die Bäder Dünen überbauen und so die natürliche Erneuerung der Strände behindern.
Doch Massimo Muzzarelli will sein Bad nicht aufgeben. Weil es sein Geschäft ist. Und weil sein Herz daran hängt. Als er all die zusammengebrochenen Badehäuschen gezeigt hat, holt er ein Foto des Strands aus den 1970er-Jahren hervor, als der Sand noch weit vor den Kabinen endete. Er erzählt von den Kindern, die damals kamen und die heute ihre Enkel mit an den Strand bringen. Dann bricht seine Stimme, Tränen steigen ihm in die Augen. Er hofft sehr, dass auch die nächste Generation noch zu ihm zum Baden kommen kann.
Audio: Sand - überall vorhanden und doch knapp
Dieser Artikel ist erstmals am 29.06.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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