Ein Syrer, drei Ehefrauen, 13 Kinder laut Familienbuch, insgesamt mehr als 150 Straftaten. Abd Almuty H., derzeit wohnhaft in Stuttgart Zuffenhausen, hält mit seinen Söhnen und Töchtern die Sicherheitsbehörden der Hauptstadt des Landes Baden-Württemberg seit Jahren in Atem. Der 43-Jährige hat von den mehr als 150 Straftaten im Polizeiregister, die der gesamten Familie zugeschriebenen werden, selbst zwölf begangen.
Gefährliche Körperverletzung, Widerstand, Bedrohung, Beleidigung und Diebstahl: Die meisten der zehn Söhne, des 2016 in Deutschland angekommenen Mannes gelten als Mehrfachstraftäter. Zuletzt sorgte die Familie im vergangenen Sommer für Entsetzen - nach einer brutalen Messerstecherei gelten zwei Söhne als Haupttatverdächtige.
Sechs Söhne in Untersuchungshaft
Sicherheitsbehörden würden Intensivstraftäter wie einen Großteil der Familie H. gerne abschieben. Doch bis auf einen Sohn haben nach BR-Recherchen alle Familienmitglieder ein Aufenthaltsrecht, das erst einmal widerrufen werden müsste. Außerdem gibt es für Syrien einen Abschiebestopp. Mehr als 60 Prozent der Abschiebungen sind in Deutschland zwischen Januar und September gescheitert, erklärt die Bundesregierung aufgrund einer Bundestagsanfrage durch das "Bündnis Sahra Wagenknecht" Anfang November.
Ahmad Mansour: Ohne Abschiebungen kein Rechtsstaat
Warum ist die Rückführung von Menschen, die teilweise auch straffällig sind, so kompliziert? Ahmad Mansour, Psychologe und Leiter der Initiative "Mind Prevention" für Demokratieförderung, sagt im BR-Podcast "Kaffee, extra schwarz", er sei absolut überzeugt, dass es kein funktionierendes Asylrecht ohne Abschiebungen geben könne. Wenn diese nicht funktionieren würden, dann funktioniere auch der Rechtsstaat nicht.
Viele Gründe für das Scheitern
Abschiebungen seien das Komplexeste, was es im Ausländerrecht gibt, erklärt ein Leiter einer bayerischen Ausländerbehörde im Hintergrundgespräch mit dem BR. Vor der Abschiebung müsse man die betroffene Person finden und in Gewahrsam nehmen. Reisedokumente müssten vorliegen. Doch mehr als 50 Prozent der Asylbewerber hätten keinen Pass.
Um die Herkunft festzustellen, müssten Betroffene zu Gegenüberstellungen in Konsulate gebracht werden. Die jeweiligen Länder müssten dann die Nationalität anerkennen und Ersatzpassdokumente ausstellen. Oft weigerten sich die diplomatischen Vertretungen. Auch gesundheitliche Gründe oder eine familiäre Beziehung könnten Abschiebehindernisse sein, sagt der Behördenleiter. Die Prüfung der Abschiebung sei also langwierig und möglicherweise juristisch anfechtbar.
Abschiebestopp in Kriegsgebiete
Ein weiterer Hinderungsgrund ist ein Abschiebestopp in Länder, in denen Krieg herrscht. Die meisten Asylbewerber kamen in den vergangenen Monaten aus Syrien, Afghanistan und der Türkei. Nach Afghanistan wurden Ende August zum ersten Mal per Charterflug Intensivstraftäter abgeschoben, obwohl es in Berlin lange hieß, dass Abschiebungen dorthin aufgrund der Taliban-Herrschaft nicht möglich seien. Nach BR-Recherchen sind Vorbereitungen für einen weiteren Flug kurz vor dem Abschluss.
Grüner Ministerpräsident will nach Syrien abschieben
Auch Abschiebungen nach Syrien werden von verschiedenen europäischen Ländern geprüft. Jüngste Gefechte zwischen bewaffneten islamistischen Kräften und den Regimetruppen von Diktator Baschar al-Assad zeigen jedoch, dass in dem vom Bürgerkrieg heimgesuchten Land noch lange kein Frieden herrscht. Das war insbesondere für Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ein Argument gegen Abschiebungen.
Mitte Oktober hat Elham Ahmed, Chefdiplomatin der kurdischen Autonomiegebiete im Nordosten Syriens, der Bundesregierung angeboten, abgeschobene Syrer dort aufzunehmen. In den Kurdengebieten ist es seit Jahren relativ ruhig. Doch die Bundesregierung hat auf das Angebot nicht reagiert.
Etwa zeitgleich hat Winfried Kretschmann (Grüne), Ministerpräsident von Baden-Württemberg, den Bundesrat im Rahmen eines Entschließungsantrags aufgefordert, "unverzüglich Abschiebungen nach Syrien zu ermöglichen". Zuständige Ausschüsse beraten den Antrag jetzt.
Sonderstab "Gefährliche Ausländer"
In Bayern und Baden-Württemberg gibt es spezielle Einrichtungen, um Abschiebungen schnell und erfolgreich durchzuführen. Zudem wurde 2018 das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen gegründet. Auf Anfrage heißt es, bis zur Jahresmitte 2024 wurden 1.399 ausreisepflichtige Ausländer abgeschoben. Davon waren 530 verurteilte Straftäter.
Im Baden-Württemberg wurde 2018 der beim Justizministerium angesiedelte Sonderstab "Gefährliche Ausländer" gegründet. Bis zum 31.10.24 vermeldet der Sonderstab 2.322 Abschiebungen. Davon waren 598 straffällig. Der Sonderstab soll in Kürze um 20 Stellen ausgebaut werden.
Im BR-Podcast "Kaffee, extraschwarz" diskutieren der Psychologe Ahmad Mansour und der Journalist Oliver Mayer-Rüth das Thema Abschiebungen. Den Podcast findet man in der ARD-Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.
Im Video: Deutschland schiebt wieder nach Afghanistan ab
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