Die USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben die Konfliktparteien in Syrien zur Deeskalation aufgefordert. Seit dem überraschend schnellen Vorrücken bewaffneter islamistischer Kräfte und der Verdrängung syrischer Regierungstruppen aus Aleppo hat der Bürgerkrieg in dem Land nach Jahren des weitgehenden Stillstands innerhalb weniger Tage wieder gefährliche Dynamik bekommen: Russische und syrische Kampfflugzeuge verstärkten ihre Angriffe, um die Lage für die Regierung unter Kontrolle zu bekommen. Unterdessen wird befürchtet, dass im Norden des Landes pro-türkische Truppen Massaker an Kurden verüben könnten.
Politische Lösung lässt seit Jahren auf sich warten
"Wir verfolgen die Entwicklungen in Syrien genau und fordern alle Parteien zur Deeskalation und zum Schutz der Zivilbevölkerung und der Infrastruktur auf, um weitere Vertreibungen und Unterbrechungen des humanitären Zugangs zu verhindern", hieß es in einer in der Nacht vom US-Außenministerium veröffentlichten gemeinsamen Erklärung der vier Nato-Staaten USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien.
Einem von der Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) angeführten Bündnis war es gelungen, syrische Regierungstruppen in kürzester Zeit aus Aleppo zu verdrängen und am Wochenende die Kontrolle über die Stadt zu übernehmen. Die Gruppierung HTS wird unter anderem von den USA als Terrororganisation eingestuft und verfolgt Experten zufolge eine salafistisch-dschihadistische Ideologie.
Russische Luftangriffe sollen Assad-Truppen stützen
Syriens Machthaber Assad hat eine Gegenoffensive als Antwort auf das Vorrücken der Islamisten angekündigt: Die "Zerschlagung des Terrorismus" diene der Stabilität und Sicherheit der gesamten Region, so Assad, dem Kriegsverbrechen wie der Einsatz von Giftgas und Folter vorgeworfen werden. Assads Regierung kontrollierte zuletzt mithilfe ihrer Verbündeten Russland und Iran etwa zwei Drittel des Landes. Unterschiedliche Oppositionskräfte dominieren Teile des Nordwestens und Nordostens.
Bei russischen Luftangriffen kamen Aktivisten zufolge neben HTS-Kämpfern auch Zivilisten ums Leben. Bei Bombardements nahe einer Klinik im Zentrum von Aleppo seien zwölf Menschen getötet worden, darunter acht Zivilisten, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in London mit. Assad erhielt offenbar außerdem mittlerweile auch Unterstützung von pro-iranischen Milizen aus dem Irak.
Kurden fürchten Massaker protürkischer Truppen
Die unübersichtliche Lage nutzen Beobachtern zufolge derzeit auch von der Türkei unterstützte Gruppen für ihre Zwecke. Derzeit greifen sie verstärkt die ihnen verhassten Kurdenmilizen in Nordsyrien an. Nach heftigen Kämpfen eroberten protürkische Kämpfer am Sonntag den Ort Tal Rifat, der rund 30 Kilometer nördlich von Aleppo liegt. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte übernahmen von Ankara unterstützte Gruppen auch weitere Orte in der Gegend. Derzeit sitzen noch rund 200.000 Kurden dort fest. Diese fürchteten sich vor Massakern durch die protürkischen Kämpfer.
Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt warnte mit Blick auf die neue militärische Eskalation in Syrien vor einer Zunahme von Flüchtlingsbewegungen aus dem Land. Sollte dies passieren, "kommt es auf die Türkei an", sagte er weiter. Daher müsse die neue EU-Kommission "rasch zu einem neuen Migrationsdeal mit der Türkei kommen".
Der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid sprach sich vor dem Hintergrund des Vormarschs islamistischer Milizen in Syrien für einen politischen Verhandlungsprozess in dem Land aus. Es sei wichtig, dass dieser Prozess "alle Teile Syriens umfasst, die Aussöhnung der verschiedenen Gruppen voranbringt und deren politische Teilhabe über eine Verfassungsreform sicherstellt", sagte Schmid weiter den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Als ersten Schritt zu einer Aussöhnung forderte Schmid von Assad die Freilassung politischer Gefangener.
Mit Informationen der ARD-Korrespondentinnen und -Korrespondenten sowie der Nachrichtenagenturen AFP, AP, dpa, edp, KNA und Reuters. Zum Teil lassen sich die Angaben nicht unabhängig überprüfen.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!