"Wir nehmen das nicht hin", ruft Bauernpräsident Joachim Rukwied bei einer Kundgebung in Berlin. Aus Protest gegen die vorgesehene Streichung von Steuervergünstigungen haben Tausende Landwirte am Montag gegen die Bundesregierung mobil gemacht. Ein Aus für Regelungen zu Agrardiesel und für die Kfz-Steuerbefreiung sei "eine Kampfansage" - und diese nehme man an.
An der Demonstration am Brandenburger Tor nahmen nach Veranstalterangaben 8.000 bis 10.000 Menschen teil, Tausende Traktoren rollten in die Hauptstadt. Laut Polizei blockierten mehr als 1.500 Traktoren die Straße des 17. Juni am Brandenburger Tor. Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) äußerte Verständnis für den Unmut und stellte weitere Beratungen in der Regierung in Aussicht.
Özdemir will's auch nicht - wird aber ausgepfiffen
Rukwied drohte für Januar bereits größere Proteste an, wenn die "unzumutbaren Vorschläge" nicht komplett zurückgenommen würden. "Dann werden wir ab 8. Januar überall präsent sein in einer Art und Weise, wie es das Land noch nicht erlebt hat." Mit den Koalitionsplänen würde die Branche pro Jahr mit einer Milliarde Euro zusätzlich belastet. "Es reicht, zu viel ist zu viel", rief der Bauernpräsident. Er forderte von Özdemir, jetzt Druck in der Regierung für die Bäuerinnen und Bauern und die ländlichen Räume zu machen.
Der Minister sagte bei der Kundgebung: "Ich weiß, dass Sie mit einer Riesenwut hier nach Berlin gekommen sind." Es sei klar, dass nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts mehr gespart werden müsse - aber eben nicht überproportional in der Landwirtschaft. "Ich halte nichts von den Streichungen in diesem Umfang", bekräftigte Özdemir. "Deshalb kämpfe ich im Kabinett dafür, dass es in dieser Härte nicht kommt." Die Rede wurde mehrfach vom Pfiffen und Zurufen unterbrochen. Rukwied rief zu Respekt auf und bat, dem Minister zuzuhören. Özdemir wandte sich gegen herabwürdigende Äußerungen.
Zu der Demonstration hatte der Bauernverband bundesweit auch über seine Landesbauernverbände aufgerufen. Auf Transparenten stand: "Die Ampel muss weg", "Es reicht", "Traktoren statt Panzer" oder "Grüne Wiesen, Vieh und Felder opfert ihr für Steuergelder". Bisher können sich Höfe die Energiesteuer für Diesel teilweise zurückerstatten lassen. Dabei beträgt die Vergütung 21,48 Cent pro Liter – der Steuersatz für Agrardiesel liegt dann also bei 25,56 Cent pro Liter im Vergleich zum vollen Steuersatz von 47,04 Cent. Anträge auf Erstattung müssen Betriebe bei der Zollverwaltung stellen. Zudem sind land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge von der Kfz-Steuer befreit.
Im BR24live äußerten sich der Ökonom des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, Prof. Friedrich Heinemann, und die bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) gegensätzlich zu den Plänen der Ampelregierung, die Agrarsubventionen zu kürzen.
Ökonom Heinemann: Abschaffung der Subventionen überfällig
Laut Heinemann wird an der richtigen Stelle gespart: "Das sind Subventionen, die waren schon seit Jahrzehnten ein Ärgernis. Die sind nicht zielgenau." Es komme hinzu, dass andere Subventionen, die die Landwirte bekommen, immer stärker in Richtung Umweltschutz und Klimaschutz gingen, so Heinemann weiter. "Und dann ist es widersinnig, auf nationaler Ebene Subventionen zu zahlen, die fossile Inputs billiger machen, als sie es sonst sind." Es sei schon lange überfällig gewesen, diese Subventionen zu überdenken.
Er sei sich außerdem sicher, dass die Versorgungssicherheit in Deutschland und in Europa nicht dadurch beeinträchtigt werde: "Dazu ist die Subvention von der Größenordnung viel zu gering. Hinzu kommt, dass die Bauern in den letzten Jahren durch sehr gute Jahre gegangen sind. Es gab hohe Preise infolge der Ukraine-Krise. Die deutschen Gewinne sind gestiegen. Eigentlich ist das eine gute Phase, um jetzt solche Subventionen einzukassieren." Ein Zurückrudern der Regierung hält Heinemann für schlecht: "Deutschland hat viele Aufgaben, Herausforderungen und da kann es nicht sein, dass wir den Sektoren, wo die Interessengruppen am lautesten rufen, die dicksten Traktoren nach Berlin rollen lassen, dass man denen gezielt weiterhin Geschenke macht."
Kaniber gegen Streichung der Agrarsubventionen
Die bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) steht dagegen ganz klar hinter den Bauern: "Durch die Streichung dieser Rückvergütung fehlen den bäuerlichen Betrieben im Schnitt 4.000 Euro. Wenn die Betriebe etwas größer sind, kann man bis zu 10.000 Euro an einem Minus verzeichnen. Und es ist ja so, dass unsere Landwirte auch mit erhöhten Kosten zu kämpfen haben. Also die Produktionskosten steigen immer weiter. Dann wird ihnen hier auch noch dieses Geld gestrichen. Das bedeutet, dass die Lebensmittel auch teurer werden." Die große Befürchtung sei, dass der Verbraucher immer weiter zu Billigprodukten aus dem Ausland greift und damit die deutsche Überproduktion für Lebensmittel gänzlich schwinde, erklärt Kaniber.
Im Video: Bauern protestieren in Berlin
Landwirt aus Unterfranken: Wollen "weiter wirtschaften können"
Bei den Protesten mit dabei waren auch mehrere hundert Landwirte aus Unterfranken. Bereits am Sonntag hatten sich 70 bis 80 Landwirte mit ihren Schleppern auf den Weg zum Brandenburger Tor gemacht. Das berichtet Claus Hochrein im Gespräch mit BR24. Der Landwirt aus Eisenheim im Landkreis Würzburg ist Vorsitzender von "Landwirtschaft verbindet Bayern" und im Bundesvorstand von LSV Deutschland. Seine Sorge: Das geplante Aus der Agrardiesel-Vergünstigung und der Kfz-Steuerbefreiung werde gerade auch die vielen familiengeführten landwirtschaftlichen Betriebe in Unterfranken treffen.
Bei einem Hof mit rund 100 Hektar wäre das ein Einkommensverlust von rund 10.000 Euro. Durch einen Mehrertrag lasse sich das nicht ausgleichen - weil die Landwirte weniger düngen dürfen und auf Pflanzenschutzmittel verzichten müssen, so Hochrein weiter. "Wir gehen ja nicht auf die Straße, um für 35 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich zu demonstrieren, sondern wir gehen auf die Straße, damit wir weiter wirtschaften können. Wir wollen hochwertige Lebensmittel produzieren, wollen Energie produzieren und wollen von unseren erwirtschafteten Erntegütern leben und auch überleben können."
Greenpeace: Ende der Subventionen für Bauern verschmerzbar
Die Umweltorganisation Greenpeace erklärte, der Wegfall der Subvention bei Agrardiesel sei angesichts rekordverdächtiger Agrar- und Lebensmittelpreise und vieler weiterer Agrarsubventionen verschmerzbar. "Bei allem Verständnis für die Bauern und Bäuerinnen - Agrardiesel staatlich zu verbilligen ist teuer, klimaschädlich und gehört abgeschafft", sagte Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Martin Hofstetter. Anders als vom Bauernverband behauptet, werde das Ende der Dieselsubventionen kein massives Höfesterben zur Folge haben.
Die Ertragslage der Landwirtschaft hatte sich nach Branchenangaben zuletzt verbessert. Im Ende Juni abgelaufenen Wirtschaftsjahr 2022/23 stieg der durchschnittliche Gewinn der Betriebe auf das Rekordniveau von 115.400 Euro - ein Plus von 45 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Angesichts sinkender Preise bei Getreide, Ölsaaten und Milch hatte der Bauernverband sich aber bereits vor Bekanntwerden der Ampel-Pläne pessimistisch zu den weiteren Geschäftsaussichten geäußert.
Eine Großdemonstration mit Tausenden Bauern aus ganz Deutschland und einer langen Traktoren-Kolonne hatte es auch Ende 2019 vor dem Brandenburger Tor gegeben. Damals forderten Bauern mit bundesweiten Aktionen mehr Mitsprache bei Neuregelungen zum Umwelt- und Tierschutz und mehr Wertschätzung für ihre Branche.
Agrardiesel und Kfz-Steuer: Das ist bei Bauern geplant
Die Bundesregierung will bei den Hilfen für Bauern etwa 900 Millionen Euro jährlich einsparen. Dies sieht eine Einigung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) zum Bundeshaushalt 2024 vor. Sie vereinbarten, die teilweise Steuer-Rückerstattung beim Agrardiesel (etwa 440 Millionen Euro jährlich) und die Kfz-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge zu streichen. Die Einigung in der vorigen Woche war auch von den Fraktionsvorsitzenden der Ampel mitgetragen worden.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr erklärte die Pläne am Sonntag aber für nicht zustimmungsfähig. Es gehe um faire Wettbewerbsbedingungen für Landwirte im europäischen Vergleich. Lindner habe deshalb bereits zugesagt, der Regierung Alternativen vorlegen zu wollen, wenn die Koalitionspartner zustimmten. Lindner sagte in der ARD, die Bedenken der FDP-Fraktion und Özdemirs müssten "ernst genommen werden".
Mit Informationen von dpa
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