Die Zeiten, in denen Wintersportler das ganze Jahr auf dem Rettenbachgletscher in Sölden/Tirol skifahren konnten, sind seit 2005 vorbei. Damals stellten die Bergbahnen Sölden den Sommer-Skibetrieb ein – mangels Nachfrage. Heute wäre das auch aus klimatischen Gründen nicht mehr möglich. Das Gebiet ähnelt kurz vor Saisonstart einer Mondlandschaft: Felsbrocken, Geröll, Schutt. Dabei soll Ende Oktober hier der Ski-Weltcup starten.
Im Video: Kontrovers – Die Story: Auf dünnem Eis: Skifahren um jeden Preis?
Skitourismus Sölden in Gefahr
Das für Skitourismus bekannte Sölden in Tirol steht vor einer Herausforderung – und vor einer Entscheidung zugleich: Der Rückgang des Gletschers, sommerliche Temperaturen bis weit in den Oktober hinein und fehlender Niederschlag erfordern massive Eingriffe. Sonst droht Sölden seinen Status als Auftakt-Ort des Ski-Weltcups, der ihm durch den Ski-Weltverband FIS ausgestellt wird, zu verlieren. Der frühe Start in den Wintertourismus wäre dann erst mal verhagelt.
Aber nicht alle sind überzeugt davon, um jeden Preis so weiterzumachen. Die Fronten sind verhärtet. Kontrovers – Die Story zeigt: Während die einen den internationalen Saisonauftakt unbedingt in Sölden behalten wollen, argumentieren die anderen mit Umweltschutz und fürchten, dass hier bald schon nur noch eine Industrielandschaft statt des einstigen Gletschers übrig bleiben wird.
Wintersport-Saison oft nur noch mit Bauarbeiten möglich
Markus Wasmeier ist Ski-Weltmeister und Olympiasieger. Er kennt die Bilder der Geröllflächen und erklärt, was angesichts der schwierigen klimatischen Voraussetzungen notwendig ist: "Dann müssen die natürlich jetzt diese Riesenfelsen, die da in dem steinernen Gebirge drin sind, versuchen, so klein zu machen, dass sie möglichst wenig Schnee brauchen, um da eine Kunstschnee-Piste hinzukriegen."
Die Verantwortung sieht er jedoch nicht in erster Linie bei den Söldenern, sondern beim Ski-Weltverband FIS, der über die frühen Termine für den Start des Weltski-Cups entscheidet.
In Bayern findet das erste FIS-Rennen deutlich später statt, nämlich erst Ende Januar. Aber Wintersportler drängen schon früher auf die Pisten. Lange Zeit gab es zumindest auf der Zugspitze eine Schnee-Garantie. Doch dort scheint es im Vergleich zu Österreich noch schlechter um die Gletscher zu stehen: Ein Gletscher der Zugspitze hat mangels Eis inzwischen sogar seinen Status als solchen verloren.
Landschaftseingriffe auf Zugspitze "zum Glück moderat"
Der Blick auf das Gelände, das der Gletscher offengelegt hat, ist bizarr. "Hier war vor zwei Jahren noch Gletschereis drauf. Heute einfach Schutt, Löcher, Toteis-Reste", beschreibt Klima-Experte Tobias Hipp vom Deutschen Alpenverein die Fläche. An einem präparierten Hang fahren ein paar Kinder Zipfelbob. Ansonsten fällt die Vorstellung schwer, dass auf diesem Gelände im Winter wieder normaler Skibetrieb sein soll.
"Das heißt für den Winter muss hier wirklich eingeebnet werden mit schwerem Gerät und Eingriffe jeden Sommer in die Landschaft, damit wir überhaupt ein Skigebiet ermöglichen können." Tobias Hipp, Deutscher Alpenverein
Für Hipp zeigt sich auf der Zugspitze sehr eindrücklich, was es bedeutet, ein Gletscher-Skigebiet in der heutigen Zeit zu erhalten. Abdeckung und Konservierung von Altschnee hat man hier längst aufgegeben – es wäre ohnehin nur kurzfristig nützlich und nicht nachhaltig. Die Zugspitze ist ein reines Naturschnee-Skigebiet ohne Beschneiungsanlagen. Wenn es schneit, werden die Pisten präpariert, wenn nicht, dann eben nicht.
Skifahren um jeden Preis?
Anders geht Österreich mit seinen Gletscher-Skigebieten um. "Für uns ist da eine ganz klare rote Linie überschritten, dass dort im Pitztal, im Kaunertal, noch riesige völlig unerschlossene Gletscherflächen im Hochgebirge erschlossen werden sollen", sagt Hipp. Für den Naturschutzverband sind solche Maßnahmen signifikante Eingriffe in Natur, Landschaft und Ökosysteme.
Der Deutsche Alpenverein fordert einen dauerhaften Schutz dieser Natur- und Wildnisräume für die Zukunft. Und zumindest auf dem Papier hätten sie für diese Forderung gute Karten, denn die fünf Gletscher in Tirol stehen unter strengem Schutz. Allerdings hat die Tourismus-Lobby erreicht, dass die Skigebiete auf den Gletschern davon ausgenommen sind.
Zwischen Wirtschaft und Natur-Erhalt
Die Anträge der Bergbahn-Betreiber für Instandhaltung, Neu-Erschließung oder Erweiterung eines Skigebiets landen bei Johannes Kostenzer, dem Landesumweltanwalt Tirol. Er kämpft um jeden Quadratmeter Natur: "Innerhalb der Gletscher-Skigebiete, und da gibt es eine Abgrenzung, dürfen die Betreiber auch massive Veränderungen der Landschaft vornehmen, sofern sie durch eine Genehmigung abgedeckt sind." Die Genehmigung hierfür sei jedoch relativ einfach zu erhalten, kritisiert Kostenzer.
Pitztal: Kommt die Pisten-Erweiterung in den Gletscher?
Im Pitztal etwa wollen die Bergbahn-Betreiber eine Erweiterung des Skigebiets in den Gletscher erreichen. Umweltschützer wie Gerd Estermann von der Bürgerinitiative Feldring fordern ein Ende der Erweiterungen: "Man hat jetzt in den vergangenen Jahrzehnten extrem viel verbaut, die Natur hat extrem viel gegeben. Es wäre jetzt die Zeit da, wo man sagt: Es reicht."
Die Chefin der Pitztaler Bergbahnen, Beate Rubatscher-Larcher, widerspricht und verweist auf die Wirtschaftlichkeit der Tourismusregion. Man habe eine Verantwortung, sagt sie den Reportern von Kontrovers – Die Story: "Skigebiete brauchen eine gewisse Größe, um attraktiv zu sein, und wir haben gesagt, wir wollen ein nachhaltiges Wachstum. Aus eigener Kraft können wir unsere Zukunft absichern."
Inzwischen ist der Pitztaler Antrag auf Umweltverträglichkeitsprüfung mit Blick auf die Pisten-Erweiterung beim Landesumweltanwalt Johannes Kostenzer eingegangen. Seine Meinung steht fest: "Für uns ist jede Expansion aus heutiger Sicht indiskutabel. Wer heute in die Expansion in einem Gletscher-Skigebiet geht, der erkennt die Zeichen der Zeit nicht."
Dieser Artikel ist erstmals am 18. Oktober 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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