Gelbes Buchcover: Helena Steinhaus und Claudia Cornelsen: "Es braucht nicht viel"
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Cover des Buches von Helena Steinhaus und Claudia Cornelsen: "Es braucht nicht viel"

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"Armutsfest": Ein Begriff aus dem Arsenal politischer Magie

Überzeugungen können felsenfest sein, Klamotten wind- und wetterfest. Aber "armutsfest"? Was soll das sein? Das Wörtchen wird manchen stutzen lassen. Im politischen Vokabular greift es mehr und mehr Raum. Eine Begriffsklärung.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Sind Sie bibelfest? Gut, dann kennen Sie ja Psalm 82, Vers 3: "Schaffet Recht dem Armen und der Waise / und helft dem Elenden und Bedürftigen zum Recht." Diesen Satz zu beherzigen ist natürlich zuvörderst Pflicht einer christdemokratischen Partei. In diesem Falle aber war es gleichermaßen die sozialdemokratische Partei Deutschlands, die den Satz aus der Heiligen Schrift ernst nahm mit Blick auf die sogenannten "sozial Schwachen" – eine Umschreibung übrigens, die einer Verhöhnung gleichkommt, denn warum sollten ökonomisch schwache Menschen nicht sozial stark sein können? Die Nationale Armutskonferenz hat "sozial schwach" deshalb schon vor längerem als das Unwort gebrandmarkt, das es ist.

Seit 1995 schon im Schwange

Jedenfalls muss es wohl um das Jahr 1995 herum gewesen sein, dass die deutsche Christ- wie Sozialdemokratie ein Wort ersann, das sich bald auch unter grünen Sozialpolitikern wachsender Beliebtheit erfreuen sollte: "armutsfest". Von Norbert Blüm hat jeder Mensch das zur Redensart gewordene Versprechen im Kopf, dass die Renten sicher blieben. Schon das war: eine Beschwörung. Wenige nur wissen, dass er bereits 1999 forderte, die Riester-Rente müsse, genau, "armutsfest" gemacht werden. In seiner Nachfolge sagte das dann z.B. auch Andrea Nahles.

    • Zum Artikel: Datenanalyse: Wer ist in Bayern eigentlich arm?

Hubertus Heil steigerte das Ganze im vergangenen Jahr noch, indem er kundtat, man werde den Mindestlohn "armutsfester" gestalten, womit erwiesen war, dass das Wort sogar komparativtauglich ist, aber – Ironie der Geschichte – dabei an Wackeligkeit gewann und an Festigkeit verlor. Vor kurzem erst ist von den beiden Sozialaktivistinnen Helena Steinhaus und Claudia Cornelsen das Buch "Es braucht nicht viel" erschienen, Untertitel: "Wie wir unseren Sozialstaat demokratisch, fair & armutsfest machen". Man ahnt natürlich, dass hier nicht die Armut gefestigt, sondern das gerade Gegenteil dessen erreicht werden soll. Aber ist das dann nicht widersinnig?

Sattelfest sowie hieb- und stichfest

Reitersleute sollten, gerade wenn es über Stock und Stein geht, sattelfest sein, und Handwerker haben uns beigebracht, die Dinge besser niet- und nagelfest zu machen. Wer etwas als zukunftsfest deklariert, meint damit, dass er es für die Zukunft sichert. Kleidung, die winterfest ist, legt man in der Kälte lieber an als solche, die es nicht ist. "Armutsfest" ist dennoch kein unsinniges Wort. Denn wer früher etwas "hieb- und stichfest" nannte, wollte es feien und schützen vor Stichen und Hieben. Ein anderes Wort für kugelsicher war in früheren Zeiten "schussfest". Unverwundbarkeit war das Ziel.

"Krisenfest", die kleine Schwester von "armutsfest"

Alte Handwörterbücher des Aberglaubens berichten uns von der "Zauberhandlung des Festmachens". Insofern hat der Neologismus "armutsfest" seine Berechtigung, auch wenn der Aberglaube im Niedergang begriffen ist. Man muss diese Form moderner Festmacherei dem Arsenal der politischen Magie zurechnen. Übrigens, die kleine Schwester von "armutsfest" ist "krisenfest". Auch hier möchte man eine Krise abwenden statt sie zu zementieren. Ein Abwehrzauber. Bleibt nur die Frage: Wie bestandsfest dieser kurze Einwurf wohl ist?

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