Ein Überraschungserfolg über einen Kater und einen Rabbiner in Algerien - das ist die Comicreihe "Die Katze des Rabbiners". Ja, Katzenliebhaber gibt es viele, aber dieser Kater macht es einem nicht leicht. Er ist ein Lügner, Grobian und Ketzer - was unüberhörbar ist, denn seit er den Papagei des Rabbiners Sfar gefressen hat, kann er reden. Und lügen! Und spotten! Außerdem hat er die elementare Lektion der Talmud-Schulen verinnerlicht: den Widerspruch zuzulassen. Eine Szene veranschaulicht das wunderbar: Die sprechende Katze will Jude werden. Zwei Rabbis sitzen beieinander und beraten den kniffligen Fall. Einer entscheidet, eine Katze könne das nicht, weil Gott den Menschen nach seinem Abbild erschaffen habe. Und der Kater antwortet mit einer fiesen Finte. Er bittet den gestrengen Rabbi, ihm "ein Bild Gottes" zu zeigen – was natürlich nicht geht wegen des strengen Bilderverbots.
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Mischkultur als Bereicherung
Sfars Familie väterlicherseits stammt aus Algerien. Von dieser ganz eigenen Kultur erzählt er in seinem Comic "Die Katze des Rabbiners". Es ist eine Mischkultur aus arabischen, europäischen und jüdischen Einflüssen. In der Musik wird das deutlich, immer wieder singen Araber und Juden in diesem Comic gemeinsam Lieder. Aber auch im eigenen Namen ist die Mischung präsent. Ist Sfar jüdisch? Kommt der Name von Schofar, dem jüdischen Musikinstrument aus dem Horn eines Widders? Oder vom arabischen Wort für gelb?
Joann Sfar gibt keine Antwort, sondern lässt in seinem Comic zwei sich freundlich-ernsthaft kabbelnde Hobby-Etymologen am Ende versöhnt zum Grab eines gemeinsamen Vorfahren pilgern. Eine der menschlichen Hauptfiguren des Comics ist der Rabbiner Sfar, ein gläubiger Mann, aber auch ein Pragmatiker, manchmal sogar ein Schlawiner. In der Wüste von aufgebrachten Moslems ausgefragt, warum er nicht zur einzig wahren Religion konvertiere, entwindet er sich geschickt. Er kenne die hebräischen Gebete. Aber er sei ein alter Mann und Neues zu lernen, wäre ihm zu viel Arbeit: "Aber das bedeutet nicht, dass meine Religion besser ist als deine."
Die eigene Geschichte thematisieren
Doch religiöse Spitzfindigkeiten sind nicht sein zentrales Thema: Im Vorwort zum fünften Band der "Katze des Rabbiners" erzählt Sfar, er behandle darin das Phänomen des Rassismus – obwohl er lange Zeit gehofft hatte, es nicht mehr tun zu müssen. Ein Ereignis spielt dabei eine zentrale Rolle: "Das erste Mal, das ich etwas offensichtlich Jüdisches gemacht habe, war der erste Band von 'Die Katze des Rabbiners'. Er erschien zu einem besonderen Zeitpunkt, unmittelbar nach dem 11. September."
Ein friedliches Zusammenleben zwischen den Religionen war nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 nur noch ein Wunschtraum. Sfar, alles andere als religiös, beginnt sich mit seinen Wurzeln zu beschäftigen. Er macht das Judentum zum Thema. Ein Novum im Comic. Kaum jemand weiß etwa, dass der geniale Asterix-Texter René Goscinny ein Jude war. Für den 1971 in Nizza geborenen Sfar ist das Novum kein Zufall: "Ich glaube, der Hauptunterschied zur vorherigen Generation besteht darin, dass in der vorherigen Generation niemand behauptete, eine Identität oder Herkunft zu haben. Egal welche Religion oder Herkunft, man brachte es nicht in seine Geschichte ein."
Spott über religiöse Extremisten
"Die Katze des Rabbiners" war in Frankreich ein Bestseller. Ja, auch in diesem Comic gibt es schon Extremisten, jüdische wie arabische, Holzköpfe, die sich für was Besseres halten, Gläubige, die überzeugt sind, den einzig wahren Glauben mit Löffeln gefressen zu haben. Für die hat Sfar nur Spott übrig. Er glaubt nicht an den Kampf der Kulturen. Er ist kein Prediger, sondern ein großer, verspielter, manchmal kindlicher Erzähler. Im BR-Interview beschreibt er seine Motivation: "Eines meiner Ziele ist es, eine Art Intimität mit dem Leser herzustellen."
Das gelingt ihm auf überraschende Weise: "Ich erschaffe mir quasi mein eigenes Fernsehen", sagt Sfar. Er erzähle die Geschichte, als wäre sie nur für ihn, beim Zeichnen tue er so, als gäbe es kein Publikum. Er tue so, als würde er für sich selbst arbeiten oder für das Kind, das er einmal war. "Das Beste, was wir in Bezug auf die Leser tun können, ist, sie zu vergessen", sagt er und lacht.
Aufstieg der französischen Rechten
Nach einer schweren Covid-Erkrankung beginnt Sfar sich intensiv mit seiner Biografie auseinanderzusetzen: Er wächst in Nizza auf. Die dortige jüdische Gemeinde ist damals besorgt wegen der Attentate und dem wachsenden Antisemitismus in Frankreich. Aber an der Côte d'Azur bleibt es relativ ruhig, bis auf die Schändung eines Friedhofs. Der junge Joann versucht trotzdem, einen wirklich bösen Neonazi zu finden. Doch schon damals versuchen die, sich einen bürgerlichen Anschein zu geben, um Wahlen zu gewinnen. Nicht die Schläger auf der Straße seien die wirklich gefährlichen Akteure, ist Sfar überzeugt: "Meine Botschaft ist, dass die gefährlichsten Leute durch Wahlen an die Macht kommen."
Sfar zeigt Volksverhetzer, die die Grenze des Sagbaren ständig verschieben – kommt uns in Deutschland gerade sehr bekannt vor. Politiker und Amtsträger, die gegen Juden hetzen – im Namen einer angeblichen französischen Kultur, etwa dieser Redner der antisemitischen Action française: "Dieses Land wurde im Schatten der Kathedralen und nicht dem der Synagogen errichtet."
"Es ist die Hölle"
Biedermänner als Brandstifter – also wirklich gefährliche Monster. Als junger Mann besucht Sfar Veranstaltungen der Front National und anderer rechten Gruppierungen. Im Auftrag der jüdischen Gemeinde – man will wissen, wo der Feind steht und was er vorhat. "Die Synagoge" erscheint schon 2022 in Frankreich, seit dem Gaza-Krieg aber ist die Lage für den französischen Juden Sfar viel dramatischer geworden: "Es ist die Hölle. Gleich nach dem 7. Oktober gab es einen massiven Anstieg antisemitischer Gewalt. Rassismus gibt es gegen alle möglichen Gruppen – aber Gewalt nur gegen Juden."
Kindercomics voller Komik und Horror
Joann Sfar ist Zeichner und Autor von Comics, Schöpfer von Zeichentrickfilmen und Filmregisseur. Seine Produktivität ist immens, seine Bandbreite enorm: Künstlerbiografien von Chagall und Soutine, absurde Fantasy-Comics, autobiografische Arbeiten und wunderbare Kindercomics. Wobei, auf den ersten Blick sieht die Desmodus-Reihe nicht gerade aus, als sei sie für Kinder gemacht. Das liegt nicht daran, dass die Hauptfigur, ein kindlicher Vampir, freiwillig in die Schule will und dort nachts die Hausaufgaben von Michel macht. Total unglaubwürdig, werden da viele Eltern sagen. Viel glaubwürdiger hingegen die anderen Figuren. Der jüdische Junge Michel und der Vampir werden Freunde – wie auch die anderen Mitbewohner der Monster-WG: Zombies, Gespenster, Krokodile. "Ich liebe es, Monster zu zeichnen."
Die Tragödie des Lebens Kindern verständlich machen
Sfars Monster sind treue Freunde, aber oft ziemlich doof. Das macht sie herrlich komisch. Sfar ist ein Meister des Vermischens, sein Horror ist oft grotesk und seine Komik voller Grauen: "Alle meine Geschichten für Kinder beziehen sich irgendwie auf den größten Unterschied zwischen dem Horror in der Vorstellung und der realen Tragödie des Lebens. Wenn bei mir Monster auftauchen, stellt sich heraus, dass es nette Kerle sind. Auch für Kinder ist offensichtlich, dass es nur um etwas geht, das nicht 'echt' ist. Aber manchmal spreche ich auch den realen Horror an: Wie es ist, ein Waisenkind zu sein oder mit einem Verlust konfrontiert zu werden."
Sfar weiß, wovon er spricht. Noch als er ein kleiner Junge ist, stirbt seine Mutter. Er hat fast keine Erinnerung an sie. Diese Erfahrung spiegelt sich in vielen seiner Comics wider. Joann ist ein wirklich großer Erzähler - für Kinder wie für Erwachsene, vor allem aber für Erwachsene, die nicht vergessen haben, wie es ist, einmal Kind gewesen zu sein. Auf dem Comic-Salon in Erlangen wird der Zeichner nun mit dem Max-und-Moritz-Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet.
Entwürfe, Comicseiten und Filmausschnitte von Joann Sfar gibt es vom 30.5. bis zum 1. September im Stadtmuseum Erlangen zu sehen. Sehr viele von Sfars Werken sind auf Deutsch erschienen, die meisten im Berliner Avant Verlag. Wer ihn noch nicht kennt: Für den Einstieg empfehlen wir "Die Katze des Rabbiners". Und dann gerne weitermachen mit den aktuellen autobiografischen Comics "Die Synagoge“ oder "Der Götzendiener", der am 3.6. erscheint.
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