Der Film beginnt mit ein paar Jungs, die 1980 in der Ölmetropole Abadan, der größten Hafenstadt im Iran, neben einer Raffinerieanlage Fußball spielen. Der Ball rauscht ins Tor, während sich im Hintergrund ein paar Raketen vom Himmel herabsenken, auf die Docks mit den Öltanks. Eine Explosion folgt, ein riesiger Feuerball steigt auf.
"Die Sirene" ist ein ergreifender, seine Zuschauer packender Animationsfilm über den Ausbruch des Iran-Irak-Kriegs. Abadan versinkt in kürzester Zeit im Chaos. Der 14-jährige Omid, einer der Fußballspieler, rennt nach Hause und sieht noch, wie sein älterer Bruder einen Lastwagen besteigt, der Kämpfer an die Front bringt. Auch die restliche Familie verlässt die Stadt – nur er, der Halbwüchsige sowie sein Großvater, bleiben vorerst zurück. Omid ist noch zu jung, um selbst zur Waffe zu greifen, so wird er zum Versorger einer in der Not vereinten Gruppe von Menschen, die nicht fliehen können oder wollen.
Die Stadt der Kindheit
Regisseurin Sepideh Farsi wurde 1965 im Iran geboren, die islamische Revolution erlebte sie als Teenager, damals 14 Jahre – genauso alt wie ihr Protagonist in "Die Sirene". Abadan kannte sie schon als Kind als die Stadt ihres Großvaters: "Ich wuchs in einem bunt gemischten Viertel in Teheran auf – da waren Juden, Armenier, Muslime und andere Gruppen", erzählt Sepideh Farsi. "Was ich sagen will, ist: Im Vergleich zum heutigen Iran, der sehr strikt und eng und limitiert wirkt, wo alles weggeschnitten wird, was stört, war auch Abadan damals noch eine Art Big Apple, ein kosmopolitischer Mikrokosmos. Daran möchte ich mit meinem Film erinnern – dass der Iran sehr viel komplexer war, immer noch sein kann, als uns das als Europäer erscheinen mag."
Sepideh Farsi verließ den Iran 1984 und studierte in Paris Mathematik. Danach fing sie an, sich für visuelle Kunst und Fotografie zu interessieren. Vor allem Fragen der Identität treiben sie um. "Die Sirene" ist ein gutes Beispiel für Filme, die von der Vergangenheit erzählen, aber voller Bezüge zur Gegenwart sind, auch formal ist das sichtbar: "Wir haben die Farbpalette reduziert, im Spiel mit den unterschiedlichen Bildebenen und mit dem Licht – so entsteht bei den Zuschauern ein Eindruck der Enge, der Beklemmung, was durchaus dem heutigen Lebensgefühl entspricht."
Explosionen in Gelb, Rot und Orange
Der Iran-Irak-Krieg dauerte acht Jahre – mehr als 1,3 Millionen Menschen starben. Regisseurin Sepideh Farsi überträgt die Verheerungen in minimalistische Animationsbilder. Umso stärker ist der Effekt, wenn dann doch die Farbpalette explodiert. Dann erscheinen Gefechte und Feuersbrünste in satten Gelb-, Rot- und Orangetönen. "Die Sirene" erinnert an andere Zeichentrickfilme, die ebenfalls ganz eigen mit Gräuel und Krieg umgehen, wie Ari Folmans "Waltz with Bashir" über den Libanonkrieg oder "Persepolis" von Farsis Landsmännin Marjane Satrapi über die Islamische Revolution.
Der Soundtrack des französischen Trompeters Erik Truffaz haucht den Animationen Leben ein, gezeichnet in der Technik der Ligne Claire, also mit schmalen Umrisslinien und dem weitgehenden Verzicht auf Schattierungen. Wie eine archaische Fabel ist das erzählt, auch in der Abstraktion berührend. Als sich die Lage in Abadan immer weiter zuspitzt, entdeckt Omid ein Schiff im Hafen, das er zu seiner Arche Noah macht, um alle, die er liebt, mitzunehmen und zu retten. Dieses Jahr wurde Sepideh Farsi für ihr neues Werk auf dem Champs Élysées Film Festival als beste französische Regisseurin ausgezeichnet.
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