Da hilft vermutlich auch keine Trigger-Warnung mehr, höchstens ein Tusch: Die Gefühle, die diese Operette nicht verletzt, sind noch nicht erfunden, und gerade deshalb wurde sie am Landestheater Niederbayern in Passau begeistert beklatscht. Klar, eigentlich sind die Werke von William Gilbert und Arthur Sullivan aus heutiger Sicht kolonialistisch und sexistisch, nationalistisch und folkloristisch, und kulturelle Aneignung sind sie sowieso - schließlich lebten die beiden Operettenmacher in der viktorianischen Zeit, als England die halbe Welt ausbeutete und grotesken Moralvorstellungen frönte. Aber immerhin, der britische Humor milderte damals schon diesen Wahnsinn, sogar weniger Betuchte leisteten sich Selbstironie.
Spott trifft Engländer selbst
Wenn dann auch noch ein britischer Regisseur wie Simon Butteriss daherkommt und das Ganze gründlich entstaubt und als schwungvolle Satire auf die Satire auf die Bühne bringt, ist das Glück vollkommen. Gleich zu Beginn dieser Inszenierung des "Mikado" schaut das Publikum auf ein historisches Reklameplakat für eine der berüchtigten Völkerschauen, wie sie um 1880 in Mode waren. Geworben wird für ein vermeintlich authentisches japanisches Dorf mitten im Londoner Hyde-Park, aber wie sich sofort herausstellt, sind dort keine Japaner zu sehen, sondern verkleidete Engländer. Der Spott, mit dem diese die Asiaten lächerlich machen wollten, trifft sie also selbst.
Aus deutscher Sicht ist britischer Humor ja oft albern, slapstickhaft, schräg, oder, hochtrabender ausgedrückt, dadaistisch. Keine der Figuren, die sich im "Mikado" tummeln, beansprucht auch nur annäherungsweise Glaubwürdigkeit, die absurde Story sowieso nicht. Es sind allesamt Zerrbilder, ungefähr so lebensecht wie das Krokodil im Kasperltheater, aber auch Puppen können ja bekanntlich therapeutisch wirkungsvoll sein. Und Lachen stärkt sowieso die Gesundheit. Insofern ist es ein fulminanter, herzerfrischender Abend mit allerlei tagesaktuellen Anspielungen, wie sie die echte Operette erfordert. Da wird für den Theaterneubau in Landshut und für den gefährdeten Musikunterricht in Grundschulen geworben und ständig der "zweite Posaunist" gemobbt, den es in der Niederbayerischen Philharmonie leider gar nicht gibt.
Bizarrer Japonismus
Drum herum werden allerlei Grausamkeiten angekündigt, etwa Hinrichtungen, Eheschließungen und gendergerechte Sprache, aber dann doch zur Bewährung ausgesetzt. So ein doppelbödiger Schwank auf den wackligen Planken des britischen Imperialismus kann nur funktionieren, wenn alle Beteiligten mit Begeisterung dabei sind und jederzeit deutlich machen, dass hier nicht etwa Japan oder sonst wer lächerlich gemacht werden soll, sondern dass es um besonders raffinierte Verfremdung geht. Gelacht wird nämlich über die unfassbar platten Klischees im alten Europa, über Herzschmerz-Kitsch und falsches Pathos, über viktorianischen Hochmut und bizarren Japonismus.
"Verwelkte" Lotos-Schönheit
Großartig, wie Simon Butterriss, seine Choreographin Rae Piper und seine Ausstatter Charles Cusick Smith und Philip Ronald Daniels den heiklen Stoff in den Griff bekommen. Dirigent Basil H.E. Coleman steuerte dazu den angemessen aberwitzigen "fernöstlichen" Sound bei. Der unglaublich stark geforderte Chor warf sich mit staunenswerter Laune in die Kimonos. Peter Tilch als trotteliger Oberscharfrichter und Edward Leach als schwer verliebter Kronprinz rockten den Saal, gemeinsam mit Sabine Noack als "verwelkter", aber ziemlich resoluter Lotos-Schönheit und der chinesischen Sopranistin Yitian Luan als narzisstischer Sonnenanbeterin. Ein ausgelassenes Vergnügen in jeder Hinsicht!
Wieder am 15. und 16. März in Passau, ab 22. März in Landshut und am 14. Mai in Straubing, viele weitere Termine.
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