Ganz so absurd wie vor zehn, zwanzig Jahren wirkt diese Story leider nicht mehr: Der Gemeinderat einer amerikanischen Kleinstadt verbietet jede Art von Fröhlichkeit, weil der örtliche Pfarrer nach einem tragischen Autounfall, bei dem vier Jugendliche den Tod fanden, immerwährende Buße predigt. Keine Musik, keine Tänze, keine Abschlussbälle. Das ging früher als Satire auf das 19. Jahrhundert oder fundamentalistische Sekten durch. Inzwischen tobt in den USA bekanntlich abermals der Kulturkampf um "traditionelle" Werte, werden Bibliotheken "gesäubert", Songs zensiert und zumindest in der Provinz extremistische Ansichten von einem "gottesfürchtigen" Leben durchgesetzt.
"Unsere Zeit ist jetzt"
So seicht und klischeehaft die Handlung von "Footloose" auch sein mag, sie hat damit eine neue, beklemmende Aktualität bekommen, von der Autor Dean Pitchford nichts wissen konnte. Der Film kam 1984 heraus, das Musical 1998. Beides wurde eher als Pubertätsdrama für Teenager verstanden, dreht sich doch alles um ihren Freiheitsdrang, ihre Liebeleien, ihre Ausgelassenheit, ihre Experimentierfreude: "Unsere ist Zeit ist jetzt." Aber womöglich müssen sie dafür in Teilen der USA wieder ähnliche Widerstände überwinden wie in den fünfziger Jahren.
Am Deutschen Theater München machte jetzt eine Inszenierung von Manuel Schmitt Station, die im Januar in Bremen startete und noch bis Mai durch den deutschsprachigen Raum tourt. Der äußere Aufwand ist sehr bescheiden: Bühnenbildnerin Mara Lena Schönborn beließ es bei zwei Gerüsten in Stahloptik, die eine Brücke symbolisieren sollen, auf der der erwähnte tödliche Autounfall geschah. Ansonsten reichen ein paar Hocker, ein Klapptisch, eine Neonreklame. Das alles ist nebensächlich, denn die Hauptsache ist bei "Footloose" natürlich die Choreographie, in diesem Fall von Timo Radünz. Und die macht ordentlich Tempo und Laune, wie es sich für ein derart rebellisches Stück gehört.
Dialoge als Vollbremsung
Allerdings hat das einen gehörigen Nachteil: Die Dialoge wirken immer wieder wie eine Vollbremsung, einerseits, weil sie ziemlich einfältig und manchmal unfreiwillig komisch sind, andererseits, weil die jungen Darsteller allesamt wie eine gut gelaunte Boyband mit dekorativer Girlreihe agieren. Das ist hübsch anzuschauen, aber dramatische Spannung will nicht so recht aufkommen. Bis zur Pause schleppt sich der zweieinhalbstündige Abend eher mühselig dahin. Die Erwachsenen sind autoritär und verklemmt, die Teenager gelangweilt und verliebt - eine überraschende Wendung bleibt aus.
Leider fehlt es "Footloose" auch ganz entschieden an Komik. Da wäre mehr drin gewesen, wie eine Szene bewies, in der Hauptdarsteller Ren McCormack (ungemein rasant im Einsatz: Raphael Groß) in der Bibel blättert, um diskrete Hinweise auf alttestamentarische Tänze aufzuspüren, auf dass der Pfarrer ein Einsehen hat: "Und David und ganz Israel tanzten vor dem Herrn her mit aller Macht im Reigen, mit Liedern, mit Harfen und Psaltern und Pauken und Schellen und Zimbeln." (2. Samuel 6) Ob es schon lustig ist, wenn dem unbeholfenen und mundfaulen Kerl Willard Hewitt (Martijn Smids) ein paar coole Moves beigebracht werden, muss jeder selbst entscheiden. Insgesamt wirkte das alles zu bemüht, zu konstruiert, und leider auch zu harmlos.
Die Diskurslatte liegt hoch
Dass die Kleinstadt Bomont die neu zugezogene Alleinerziehende Ethel McCormack und ihren smarten Sohn zunächst ablehnt, wurde zwar eilig angedeutet, war aber schnell wieder vergessen. Im Grunde sind hier alle herzensgute Seelen, sogar der etwas "verwahrloste" Machoheld Chuck Cranston (Alexander Findewirth). Ein weich gespültes Feel-Good-Musical, was genretypisch in Ordnung ginge, wenn da nicht der Anspruch wäre, einen Kulturkampf im Kleinen vorzuführen. Dass ausgerechnet Kurt Vonneguts Romanklassiker "Schlachthof 5" über die Bombardierung Dresdens aus der Stadtbibliothek entfernt wird, legt die Diskurslatte hoch - der Rest der Handlung passt locker drunter her.
Bis zum 17. März am Deutschen Theater München, danach auf Tour u.a. am 27. und 28. März in Salzburg.
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