Bewegt und bewegend verlief die Karriere. Seine große Zeit hatte Michael Verhoeven in den 1980er-und 90er-Jahren. Das Widerstandsdrama "Die weiße Rose" war der erfolgreichste deutsche Kinofilm 1982. Die Geschichte rund um die von Lena Stolze gespielte Sophie Scholl wurde mit einem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. Die Darstellung der Bedeutung von Widerstand gegen Autokraten und Diktatoren, der Versuch des Wachrüttelns von Opportunisten, sich wegduckenden Intellektuellen und schweigenden Mitläufern greift bis heute.
Dann folgte 1990 "Das schreckliche Mädchen", jene pointierte Tragikomödie über eine Schülerin in Niederbayern, die für den Aufsatzwettbewerb "Meine Stadt im Dritten Reich" in Archiven recherchiert und bald auf mächtigen Widerstand stößt. Basierend auf tatsächlichen Ereignissen in den 80er-Jahren inszenierte Michael Verhoeven eine böse Kleinstadt-Satire über Verdrängung, Borniertheit und Bigotterie. Heftige Auseinandersetzungen gab es damals, von Teilen der CSU wurde Verhoeven als Nestbeschmutzer bezeichnet. Nicht nur auf der Berlinale wurde der Film dann 1990 ausgezeichnet, sondern auch beim New York Film Critics Award als beste ausländische Produktion geehrt.
Karriere begann als Schauspieler
Seine künstlerische Karriere begann Michael Verhoeven als Schauspieler. Bereits als Kind stand er auf der Bühne und wirkte dann als Jugendlicher in Filmen der 1950er-Jahre mit, so etwa in Erich Kästners "Das fliegende Klassenzimmer". Berühmt die Szene, in der er mit verbundenen Augen Klavier spielt.
Auch als junger Mann trat Verhoeven noch erfolgreich in Filmen auf, in "Das Haus in Montevideo" oder in "Lausbubengeschichten". Den Beruf empfand er gar nicht als Arbeit, erzählte er im Interview, weil es ihm so viel Spaß mache, vor der Kamera oder auf der Bühne zu stehen. Also studierte er noch etwas Ernsthaftes, wie er es nannte – Medizin. Die Eltern, beide Schauspieler, hatten dafür kein Verständnis: "Was soll das denn sein – wo du doch Schauspieler sein kannst? Da will man doch nicht Arzt werden!", erinnert sich Verhoeven an die Reaktion der Eltern. "Das war tragisch, viele Jahre habe ich mit meinen Eltern gar nicht verkehrt, nicht gesprochen. Dass hat sich gottseidank wieder eingerenkt, vielleicht auch dadurch, dass ich mir dann eine Schauspielerin angelacht habe."
Im Video: Portrait von Michael Verhoeven
Vietnam-Antikriegsfilm sorgte für Abbruch der Berlinale
Diese Schauspielerin war Senta Berger. Zusammen mit ihr gründete er 1965 in München die Sentana Filmproduktion und begann, als Regisseur Filme zu drehen. Zuerst "Paarungen" nach August Strindbergs "Der Totentanz" und dann den bis heute stilistisch aufregenden Vietnam-Antikriegsfilm "o.k.", der 1970 im Wettbewerb der Berlinale für einen Skandal sorgte und schließlich den Abbruch des Festivals auslöste. "Dadurch, dass ich den Film nach Bayern verlegt habe, war das plötzlich so nah," sagte Verhoeven über seinen Film. "Das war plötzlich unser Krieg. Und das haben die Leute nicht ausgehalten."
Ab Mitte der 60er-Jahre formierte sich in Westdeutschland eine neue Generation junger Regisseurinnen und Regisseure, die andere Filme machen wollten. Michael Verhoeven gehörte zu ihnen, mischte sich ein, holte die Politik ins Kino und bezog Stellung. Unbeirrbar – und das auf seine souveräne, im Gespräch immer angenehm ruhige und durchaus humorvolle Art. Neugierig war er bis zum Schluss – und stellte Fragen: "Mich interessiert natürlich sehr, wie das jetzt weitergeht. Schaffen wir das noch mit dem Plastik? Schaffen wir das noch, dass wir weltweit unser Leben im Griff behalten?"
Viel über das Leben gelernt
Im Gespräch mit dem BR sagte Michael Verhoeven einst, er habe durch seinen Beruf über einzelne Filme hinaus viel fürs Leben gelernt, und auch sehr viel Solidarität erfahren: "Ich bin ja gar nicht allein damit, Forderungen an die Gesellschaft zu haben, mit diesem merkwürdigen Beruf: Filmemacher." Mit diesem merkwürdigen Beruf hat Michael Verhoeven immer wieder versucht, die Menschen wachzurütteln, sie auf Missstände aufmerksam zu machen.
Rund 50 Werke fürs Kino und fürs Fernsehen hat Michael Verhoeven inszeniert. Im deutschen Kino galt er als eine moralische Institution. Sein letztes Werk liegt einige Jahre zurück – ein Dokumentarfilm über die Todesstrafe in den USA. Beteiligt war er 2016 auch noch als Koproduzent an der Komödie seines Sohnes Simon Verhoeven "Willkommen bei den Hartmanns". Wie aus Familienkreisen heute bekannt wurde, ist Michael Verhoeven diese Woche am Dienstag im Alter von 85 Jahren gestorben.
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