Am Samstag wird international der Opfer des Holocaust gedacht. Der Gedenktag erinnert an die Befreiung des NS-Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau vor 79 Jahren, am 27. Januar 1945. Es sind zahlreiche Kranzniederlegungen und Gedenkveranstaltungen geplant.
Zugleich finden am Samstag in vielen deutschen Städten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus statt. Anlass sind Enthüllungen des Recherchenetzwerks Correctiv über ein Geheimtreffen von AfD-Politikern, Rechtsextremisten und Unternehmern, die über die Vertreibung von Millionen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte beraten haben sollen.
Scholz und Baerbock betonen Bedeutung von "Nie wieder"
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) rief anlässlich des Holocaust-Gedenktags zum entschlossenen Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus auf. Scholz betont in seinem wöchentlichen Video "Kanzler kompakt", dass die heutige Demokratie auf dem zentralen Bekenntnis "Nie wieder" gründe: "Nie wieder Ausgrenzung und Entrechtung, nie wieder Rassenideologie und Entmenschlichung, nie wieder Diktatur." Dafür zu sorgen, sei die zentrale Aufgabe des Staates.
Der Kanzler begrüßte nochmals die zahlreichen Großdemonstrationen gegen Rechtsextremismus der letzten Tage und Wochen. "Unsere Demokratie ist nicht gottgegeben. Sie ist menschengemacht. Sie ist stark, wenn wir sie unterstützen. Und sie braucht uns, wenn sie angegriffen wird." Neonazi-Netzwerke und die Ausbreitung des Rechtspopulismus seien keine Fügung, die man einfach hinnehmen müsse.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) rief dazu auf, die Lehren aus den Gräueltaten der Nationalsozialisten zu ziehen. "Nazi-Deutschland hat alle Wunder erstickt und die Welt in den Abgrund der Menschlichkeit schauen lassen. Es ist an uns Lebenden, aus der Verantwortung für unsere Vergangenheit heraus unsere Gegenwart zu gestalten", erklärte Baerbock am Samstag im Onlinedienst X. "Nie wieder ist jetzt."
Im Audio: Neue Wege für das Holocaust-Gedenken gefordert
Friedländer besorgt wegen wachsendem Antisemitismus
Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer zeigte sich besorgt über den Anstieg antisemitischer Vorfälle in Deutschland. "Ich hätte es nie gedacht, dass es wieder so kommen würde, denn so hat es ja damals auch angefangen", sagte die 102-Jährige am Freitag den ARD-"Tagesthemen". Für "die, die wir das erlebt haben", sei es "besonders schwer zu verstehen, und sehr traurig". Kritisch äußerte sie sich mit dem Umgang der Deutschen mit Erinnerung und Gedenken an den Holocaust: "Sie wissen zu wenig."
Marcel Reif als Vertreter der zweiten Generation
Der frühere Fußball-Kommentator Marcel Reif, Sohn eines Holocaust-Überlebenden und Redner bei der Gedenkstunde am Mittwoch im Bundestag, ist ermutigt durch die jüngsten Demonstrationen gegen rechts. "Was ich in den letzten Tagen an Demonstrationen, an Haltung auf Deutschlands Straßen sehe, lässt mich hoffen", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Samstag).
"'Nie wieder' ist eine Existenzgrundlage dieses Staates." Er hoffe, dass die Deutschen das beherzigten. "Es gibt Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Das betrifft den Antisemitismus und Rechtsextremismus im Land, das betrifft auch den Terror der Hamas, den wir alle verurteilen müssen", sagte er.
Neue Formate des Erinnerns finden
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, mahnte in den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag) neue Formen für das Holocaust-Gedenken an, um insbesondere die junge Generation emotional anzusprechen. Es gebe nur noch wenige Überlebende des Holocaust, die persönlich Zeugnis ablegen und von den Verbrechen der Schoah berichten könnten. Erinnerung sei daher eine Herausforderung. Gedenkstätten müssten etwa "digitaler und auch mobiler werden, um gerade junge Menschen da 'abzuholen', wo sie sich gerne aufhalten – und zwar nicht nur in den Sozialen Medien, sondern auch ganz real im Sportverein oder in der Musikschule", sagte Klein.
Auch der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, betonte, wie wichtig innovative Formate gerade für die Auseinandersetzung junger Menschen mit dem Thema seien. Gleichzeitig mahnte er einen vorsichtigen Umgang mit digitalen Techniken wie Künstlicher Intelligenz und Virtual Reality an.
"Eins unserer höchsten Güter ist die Glaubwürdigkeit, deswegen stellen wir historische Quellen nicht nach. Unsere Besucher sollen lernen, die authentischen historischen Zeugnisse von computergenerierten Fakes zu unterscheiden, die sich im Netz virenartig verbreiten", sagte Wagner den Funke-Zeitungen. Zudem bestehe beim Einsatz dieser Techniken auch ein ethisches Problem. "Natürlich könnten wir mit Virtual Reality den Gang in die Gaskammer nachbilden. Aber die Todesangst, den Gestank, den Schmerz kann man nicht nachbilden."
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sieht beim Gedenken auch eine Verantwortung bei den Schulen. "Wir müssen die Erinnerung an den Holocaust lebendig halten, gerade in Schulen. Dafür sind engagierte Lehrkräfte und zeitgemäße Zugänge wie durch soziale Medien zentral", sagte sie den Funke-Zeitungen. Es sei beschämend, wie massiv und ungeniert sich der Antisemitismus in Deutschland zeige. "Auf Straßen, in sozialen Medien, Universitäten und Schulen: Überall begegnet uns Hass auf Jüdinnen und Juden." Die Gesellschaft müsse sich dem entgegenstellen.
Holocaust-Gedenktag am 27. Januar
Bundesweit wird an diesem Samstag mit zahlreichen Veranstaltungen an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Am 27. Januar 1945 hatten sowjetische Truppen die Überlebenden des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz befreit. Die Nazis hatten dort mehr als eine Million Menschen ermordet, überwiegend Juden. Seit 1996 wird das Datum in Deutschland als Holocaust-Gedenktag begangen, die Vereinten Nationen haben das Datum 2005 zum Gedenktag ausgerufen.
Im Bundestag findet die diesjährige Gedenkstunde erst am 31. Januar statt. Dort sollen unter anderem Eva Szepesi, die als Kind das deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz überlebte, und Marcel Reif als Vertreter der zweiten Generation sprechen.
Mit Informationen von dpa und AFP.
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