Franz Kafka auf einem Passfoto, um 1915/16
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2024 markiert den 100. Todestag des tschechischen Schriftstellers

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Kafka-Biografie: Von der Qual des Schreiben-Müssens

Rüdiger Safranski ist bekannt dafür, große Namen wie Heidegger, Nietzsche oder Goethe einem breiten Publikum nahezubringen. Nun hat er eine Kafka-Biografie vorgelegt. Darin folgt er dem Motiv des Schreibens durch Kafkas Leben.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Das unbedingte Schreiben-Müssen: Darauf lässt Rüdiger Safranski sich in seinem neuen Buch "Kafka. Um sein Leben schreiben" ein. Denn das beschäftigt Franz Kafka. Seit 1908 arbeitet er als Versicherungsangestellter, zum Schreiben bleibt ihm die dienstfreie Zeit. Sein geregeltes, "irrsinniges junggesellenmäßiges Leben", wie er es im Tagebuch nennt, lässt ihm Raum für die Literatur.

Eine eigene Familie zu gründen, wie es die Eltern erwarten, fürchtet er. Das Unbedingte des Schreibens hat also ziemlich viele Bedingungen. Und Kafka kämpft, so Rüdiger Safranski, immer wieder mit einem doppelten Schuldgefühl: weder dem Schreiben noch dem Leben gerecht zu werden. Doch er nutzt diese Last, sagt Autor Safranski: "Bei Kafka haben Schuldgefühle gewissermaßen etwas Entfesselndes haben, nicht etwas Lähmendes. Flapsig könnte man sagen, dass es überhaupt keinen Autor gibt, der so viel aus Schuldgefühlen gemacht hat wie Kafka."

Das Motiv des Schreibens zieht sich durch Kafkas Leben

Der Autor auf der Couch? Rüdiger Safranski entgeht nicht immer der Versuchung, Kafkas Literatur psychologisch zu lesen. Eine umfassende Werkdeutung macht er daraus glücklicherweise nicht. Auch will er keinen bisher unbekannten Kafka zeigen. Der Ansatz des Buches ist bescheidener: Chronologisch folgt es dem Motiv des Schreibens durch Kafkas Leben. Und weil Safranski gut darin ist, aus historischen Quellen einprägsam zu erzählen, entsteht im Wechsel von Biografie und Textanalyse ein lebendiges Porträt.

Der Rausch des Schreibens und die Qual des Nicht-Schreiben-Könnens kommen darin vor, genauso wie die Akten und Eingaben im "Prozess", im Romanfragment "Das Schloss" oder dem berühmten "Brief an den Vater“, den Kafka nie abgeschickt hat. Und die vielen Briefe an Felice Bauer, seine spätere Verlobte, die nie seine Frau wurde.

Kafka findet Glück im Schreiben

In Kafkas Bekenntnissen zum Schreiben wie in seinen kunstvollen Selbstherabsetzungen als ungesellig und beschämt liegt natürlich auch ein Privatmythos des Autors als weltscheue Existenz. Dass Rüdiger Safranski diesen Mythos nicht zu entlarven sucht, sondern mitgeht, ist eine Stärke seines Buches. Als Schmerzensmann zeichnet es Kafka so gerade nicht, wie Safranski sagt: "Wir dürfen uns Kafka nicht immer als traurigen Menschen vorstellen. Kafka erlebte Glücksmomente von ungeheurer Intensität im Schreiben."

Es war Susan Sontag, die 1964 feststellte, an Kafkas Werk habe sich "eine dicke Kruste von Interpretationen abgesetzt": Allegorie auf den Irrsinn der Bürokratie, Ausdruck von Kastrationsangst, religiöses Gleichnis. Gegen diesen Furor der Interpretation machte Sontag die sinnliche Wirkung der Kunst stark, die "Leuchtkraft des Gegenstandes selbst". Kafkas Texte mit ihren dunklen, zarten, suggestiven Bildern sind voll davon. "Absolute Literatur" muss man das nicht nennen. Sich mit Rüdiger Safranski auf die Spur der Schreiberfahrung zu begeben, aus der dieses Leuchten kommt, lohnt sich aber in jedem Fall.

"Kafka. Um sein Leben schreiben" von Rüdiger Safranski, 256 Seiten, erscheint am 19. Februar im Hanser Verlag, 26,00 Euro.

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