Sprecherin der AfD-Bundesvorstands und der Bundestagsfraktion: Alice Weidel
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Nach Wahlerfolg: Ist die AfD für viele eine normale Partei?

Nach Wahlerfolg: Ist die AfD für viele eine normale Partei?

Volle Wahlkampfstände und massive Zugewinne bei der Bundestagswahl: Die AfD ist in der politischen Landschaft mittlerweile fest verankert. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg ist eine in Teilen rechtsextreme Partei so erfolgreich. Wieso?

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Mittagspause in der Berufsschule in Deggendorf am Tag nach der Bundestagswahl: Angehende Industriemechaniker, Schreiner und Heizungsbauer sind auf dem Weg zum Bäcker. Eine spontane Umfrage macht schnell klar: Viele von ihnen haben AfD gewählt. Es fallen Aussagen wie: "Die AfD ist in meinen Augen die einzige Partei, die aktuell Sinn macht." Oder: "Die Migration muss einfach ein bisschen reduziert werden, wegen der ganzen Messerangriffe". Die AfD liegt bei den 18-Jährigen regelrecht im Trend: Bei einer Probeabstimmung in der Schule haben mehr als 46 Prozent der rund 600 Berufsschülerinnen und -schüler für die Partei gestimmt.

AfD so erfolgreich wie noch nie

Das Stimmungsbild kann auf andere Regionen und Altersgruppen übertragen werden: Die AfD hat in ganz Deutschland Stimmzuwächse. In fast allen bayerischen Wahlkreisen wurde sie zweitstärkste Kraft, in einigen Gemeinden sogar mit fast 40 Prozent der Stimmen. Haben die Menschen bis vor einigen Jahren noch verschwiegen, dass sie die AfD unterstützen, legen viele Sympathisanten mittlerweile die Scheu ab. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg erfährt eine Partei, die in Teilen rechtsextremistisch ist, so viel Zustimmung. Warum hat die AfD Erfolg und wird von immer mehr Menschen als normale Partei wahrgenommen?

Interaktive Wahlkreisarte: Zweitstärkste Kraft nach Zweitstimmen

Hohe Präsenz im Internet

Da ist zu einem die starke Präsenz der Partei in den Sozialen Medien: TikTok, Instagram, Youtube – die AfD hat meist mehr Follower und Klicks als alle anderen Parteien. Und ist somit in der Lebenswirklichkeit der Menschen dauerhaft präsent. Auch Berufsschüler in Deggendorf bestätigen: Sie sehen oft AfD-Postings in ihren TikTok-Accounts. Dabei kommuniziere die Partei klar und unterhaltsam. Diese Kompetenz habe mit der Entstehung der AfD zu tun, sagt Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder von der Universität Kassel: "Anders als die etablierten Parteien in Deutschland hatte die AfD keine Vorfeldorganisation", sagt Schröder, "wie etwa die Christdemokraten mit den Kirchen, die SPD mit den Gewerkschaften und die FDP mit der Wirtschaft". Deshalb habe die AfD ihre Follower im Internet generiert und einen erheblichen Teil ihrer Gelder dafür investiert, so der Politikwissenschaftler.

Normalisierung mit der Zeit

Durch die Omnipräsenz in den Sozialen Medien entstehe bei Usern eine Art Gewöhnungseffekt. "Die AfD ist für viele Menschen bereits Teil der Alltagskultur, ein ganz normaler politischer Wettbewerber", so Schröder. Dieser Prozess habe sich nicht von heute auf morgen, sondern etappenweise vollzogen. Außerdem sei gerade für junge Menschen die AfD in dem Sinne normal, dass sie keinen Deutschen Bundestag ohne die Rechtsaußenpartei kennengelernt hätten, sagt Tarik Abou-Chadi, Professor für Europäische Politik in Oxford.

Erfolg steckt an

Wissenschaftler Tarik Abou-Chadi geht noch einen Schritt weiter: Der Erfolg der AfD erzeuge einen Kreislauf der Normalisierung: "Wenn Leute sehen, die AfD ist stark, die gewinnt in Wahlen dazu, gewinnt in Umfragen dazu, dann haben die auch eine größere Tendenz, die AfD als eine normale Partei zu sehen."

AfD gilt vielen beim Thema Migration als kompetent

Hinzu kommt, dass sich andere Parteien inhaltlich der AfD angenähert hätten, findet Abou-Chadi: "Wenn etablierte Parteien immer wieder sagen, 'Migration ist ein Problem', dann wird diese Position normalisiert und das Narrativ der AfD gestärkt", so der Wissenschaftler. Dadurch wirke die AfD kompetenter. Tatsächlich hat die AfD nach Analysen von Infratest dimap in allen Politikfeldern an Vertrauen in der Bevölkerung gewonnen, teils auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Bei den Themenfeldern "Innere Sicherheit" und "Asyl- und Flüchtlingspolitik" hat sie jedoch mittlerweile nach der Union die zweithöchsten Werte.

AfD tritt professioneller auf

Auch die weitere Professionalisierung könnte zum Wahlerfolg beigetragen haben, glauben Experten. Politikwissenschaftler Simon Franzmann von der Georg-August-Universität in Göttingen sieht beispielsweise, dass die AfD interne Konflikte weitestgehend abgestellt habe. Anders als noch unter den Parteichefs Bernd Lucke, Frauke Petry und Jörg Meuthen gebe es weniger Machtkämpfe und prominente Austritte. Es herrsche eine neue Einigkeit: "Die Themen Migration und Ablehnung von Rot-Grün verbindet alle Personen in der AfD. Das hilft, denn durch Eindeutigkeit wissen die Wähler, was sie bekommen." Der Wissenschaftler fügt jedoch hinzu: "Gerade in Fragen der Wirtschaft und Sozialpolitik ist die AfD-Wählerschaft überhaupt nicht einig."

Spitzenkandidatin Weidel: TV-Auftritte wirken normalisierend

Und welche Rolle spielte Spitzenkandidatin Alice Weidel? Für Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder war sie die einzige Gewinnerin der TV-Auftritte: "Die Leute haben ihr zwar nicht zugesprochen, besonders sympathisch und klug herüberzukommen, aber manche haben den Eindruck gewonnen: 'die passt ins System, ihre Positionen sind nachvollziehbar'". Das habe der AfD geholfen, meint Schröder. Dass sie als lesbische Frau an der Parteispitze stehe, könnte auch auf den Effekt der Normalisierung eingezahlt haben, sagt Wissenschaftler Franzmann. "Man muss jedoch deutlich sagen: Sie hat klare Schnittmengen mit radikalen Positionen innerhalb der Partei und kann gut mit der Radikalisierung der AfD leben."

Normalisierung, aber keine Mäßigung

Für alle drei befragten Experten ist klar: Eine Normalisierung bedeute nicht, dass sich die AfD gemäßigt habe. Im Gegenteil: "Die AfD reizt immer mehr aus, was sie sagen kann", findet Politikwissenschaftler Abou-Chadi aus Oxford. Auch Simon Franzmann aus Göttingen sieht die Rechtsaußenpartei mit ihrer hohen Zahl an rechtsradikalen Personen nicht als normal an: "Formaljuristisch ist sie eine normale Partei, auf parlamentarischer Ebene hat sie jedoch zum Teil rechtsradikales Personal, mit dem die anderen Parteien in den Parlamenten nicht normal zusammenarbeiten können", so Franzmann.

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