Dunkles Skelett mit Stoffresten am Oberkörper
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Die Frau von Peinting: eine Moorleiche aus dem Mittelalter

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Leichen im Keller: Aus den Giftschränken des Kulturbetriebs

Leichen im Keller: Aus den Giftschränken des Kulturbetriebs

Ob Museen oder Bibliotheken – fast alle bayerischen Kulturinstitutionen haben "Leichen" im Keller: Exponate, die nicht gezeigt werden. Im ersten Teil einer BR-Serie zum Thema geht es tatsächlich um eine Leiche in der Archäologischen Staatssammlung.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Kulturleben am .

Rundgang durchs unterirdische Depot der Archäologischen Staatssammlung München. In einer Holzkiste befindet sich der schwarze, vertrocknete Körper einer Frau. Mit angezogenen Beinen liegt sie auf dem Rücken, die Arme vor dem Oberkörper verschränkt, Unterschenkel und Füße fehlen.

Bis 2007 war die Tote ein Highlight der Dauerausstellung des Museums. Sie galt als "Moorleiche aus dem Dachauer Moos". Doch die Experten hatten Zweifel. "Die Beine sind extrem stark angewinkelt, die muss irgendwie in diese Hocklage gebunden worden sein und das kennen wir von Moorleichen nicht", erklärt Archäologin Brigitte Haas-Gebhard. "Auch der sehr gute Knochenerhalt sprach gegen den Befund Moorleiche. Normalerweise lösen sich Knochen im Moor auf."

Das Rätsel der Toten: Wer ist die Leiche im Keller?

Mit Unterstützung des Bayerischen Landeskriminalsamts und anderer Institute wurde die Dame ausgiebig untersucht. Eine chemische Analyse ergab, dass sie im späten 15. oder 16. Jahrhundert gelebt hat. Die Bänder, die ihre geflochtenen Zöpfe zusammenhalten, entpuppten sich als Wollfäden aus Alpakahaar.

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Die etwa 500 Jahre alte "Moorleiche aus dem Dachauer Moos" ist in Wahrheit eine Trockenmumie aus Südamerika.

Damit war klar: Die Frau war gar keine Moorleiche, sondern eine 500 Jahre alte Trockenmumie. Und sie kam auch nicht aus Dachau, sondern aus Südamerika. Ende des 19. Jahrhunderts gab es einen florierenden Handel mit Mumien, vermutlich wurde sie einfach in Südamerika gekauft. Spätestens ab 1904 wurde sie in der Anatomischen Anstalt aufbewahrt.

Wie es zu der falschen Bezeichnung als Moorleiche kam, bleibt unklar. Bei einem Bombenangriff im 2. Weltkrieg wurde die Anatomische Anstalt zerstört. Als man die Mumie beim Aufräumen unter den Trümmern fand, hielt man sie für ein Bombenopfer und vergrub sie. Der Konservator ließ sie wieder ausgraben.

Opfer einer rituellen Tötung?

Die starken Beschädigungen im Gesicht sind allerdings älter. Laut Gerichtsmedizin hat man der jungen Frau viele Male mit einem baseballartigen Gegenstand ins Gesicht geschlagen. Grausamkeiten gegen die einheimische Bevölkerung durch die europäischen Eroberer standen damals auf der Tagesordnung. Andererseits zeugen die Verletzungen von einem absoluten Overkill: Um jemanden zu töten, wären so viele Hiebe nicht nötig gewesen. Es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, dass das Mädchen einer rituellen Tötung mit einer Streitkeule erlag.

"Wir wissen, dass man im Südamerika der Inka-Zeit Menschenopfer dargebracht hat", sagt Brigitte Haas-Gebhard. "Allerdings kann man bei diesen Opfern eigentlich immer nachweisen, dass sie vorher mit Rauschmitteln sediert wurden. Da war bei ihr hier nichts zu finden. Sie hat den Tod wahrscheinlich bei vollem Bewusstsein miterlebt."

Die Mumie ist ein echtes Highlight-Exponat, trotzdem wird sie seit vielen Jahren nicht mehr ausgestellt. Der Grund ist banal: Sie passt einfach nicht in die Sammlung. Die Archäologische Staatssammlung vermittelt die Vor- und Frühgeschichte Bayerns – und nicht die Südamerikas.

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"Rosalinde" aus dem Mittelalter: Die Stiefel der Frau von Peiting wirken wie neu.

Die Frau von Peiting: Moorleiche aus dem Mittelalter

An anderer Stelle im Museum können Besucher dann doch noch eine Moorleiche sehen: die Frau von Peiting. Schneewittchen gleich wird sie in einer gläsernen Vitrine präsentiert. An einer Medienstation erfahren Besucher, dass die Frau jung verstorben ist, vermutlich an den Folgen einer Schwangerschaft.

Gefunden wurde sie 1957 im oberbayerischen Peiting neben einem alten Bohlenweg im Moor. Doch warum wurde sie nicht auf dem katholischen Friedhof begraben? "Fremde, die auf der Durchreise waren, hat man sehr ungern am eigenen Friedhof begraben", erklärt Brigitte Haas-Gebhard. "Die Angst vor den Toten spielt da eine Rolle, es war ein weit verbreiteter Glaube, dass manche Toten wiederkommen."

Aus Angst vor Zombies vom Friedhof verbannt

Menschliche Körper auszustellen ist prinzipiell kein Tabu in archäologischen Museen. Grabbeigaben und menschliche Skelette sind für Archäologen wichtige Quellen. Nirgendwo sonst kommen sie den Menschen früherer Epochen so nah.

Das gilt auch für die Besucher: Die Aura des originalen Exponats ist die beste Möglichkeit, eine Verbindung zur Vergangenheit aufzubauen. Deshalb werden die menschlichen Überreste auch im Original gezeigt. Schließlich geht man in unserem Kulturkreis von einer Trennung von Körper und Seele nach dem Tod aus. Trotzdem haben viele Menschen Probleme mit dem Anblick von Menschenknochen. Am Eingang zum Themenraum Grabkultur ist deshalb eine Triggerwarnung angebracht.

Die Reihe "Leichen im Keller" gibt es ab jetzt hier in der Audiothek zum nachhören.

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