Jedermann? Jederzeit! Der 50-jährige Philipp Hochmair hat Rolle und Stück im Kopf wie wohl kaum jemand sonst. Seit mehr als zehn Jahren tourt der aus Wien stammende Hochmair mit einer Jedermann-Soloperformance (externer Link) durch den deutschsprachigen Theaterraum, spricht und spielt mit schier umwerfender Intensität sämtliche Figuren: den Herrn im Himmel, Tod und Teufel, Jedermanns Tischgesellschaft, seine Geliebte, die Buhlschaft, und natürlich den Titelhelden selbst.
Die Handlung von Hugo von Hofmannsthals Stück bleibt auch bei Hochmair intakt. Jedermann, ein Protzer und Prasser, wird jäh aus dem Leben gerissen. Mitten im üppigsten Festgelage tritt der Tod an seinen Tisch, um ihn zu holen. Der reiche Mann muss erkennen, dass er sich auch mit allem Geld der Welt nicht freikaufen kann vom Sterben.
Hochmair, der Rockstar
"Jedermann Reloaded" hat Hochmair den Abend getauft. Der Titel ist mehr als eine bloße Anspielung auf den Science-Fiction-Kinoklassiker "Matrix Reloaded". Der Titel ist Programm. Philipp Hochmair hat Hugo von Hofmannsthal mit neuer Energie aufgeladen. Reloaded eben. Mit seiner Energie, und mit der der Band "Die Elektrohand Gottes", als deren Frontmann der 50-Jährige hier in Erscheinung tritt.
Den Rockstar unter den Schauspielern hat der ORF ihn daher einmal genannt. Ein Label, mit dem Hochmair gut leben kann. "Ich mache Rockkonzerte im Staatstheater. Ich benutze die Einrichtung Staatstheater als Rockkonzertbühne und das funktioniert, dieser Trick, diese Mischung. Ich habe mich als junger Mensch immer ein bisschen gelangweilt im Theater und habe gedacht: Wie kann ich das mit Feuer und Energie füllen? Wie kann ich die Kraft, die da im Raum ist, nutzen und was anderes machen? Den Garten umgraben."
Hochmair, der Kraftschub
Mit dieser Energie hat Hochmair bereits vor sechs Jahren auch den Salzburger Domplatz schon mal gerockt. Als der damalige Jedermann-Darsteller Tobias Moretti erkrankte, buchten die Festspiele Hochmair als Einspringer für eine Reihe von Vorstellungen. Klar, denn er hatte ja das komplette Stück im Kopf. Hochmair wurde gefeiert. Weil er die Aufführungen rettete, die sonst hätten abgesagt werden müssen. Vor allem aber für den Kraftschub, den seine Interpretation des Titelhelden der etwas müden damaligen Inszenierung bescherte. Es heißt, Moretti habe seinerzeit geschaut, dass er schleunigst wieder gesund wird – aus Angst, Aushilfs-Jedermann Hochmair könnte ihm dauerhaft die Schau stehlen. Ein Gerücht vielleicht. Aber keinesfalls abwegig.
Nun also darf sich Philipp Hochmair im "Spiel vom Sterben des reichen Mannes" höchst offiziell in die schauspielerische Ahnengalerie einreihen. Regisseur der notwendig gewordenen Neu-Inszenierung ist der Kanadier Robert Carsen. Premiere ist am heutigen Samstag in Salzburg, wo Hochmair auch schon vor 2018 wiederholt Eindruck gemacht hat. 2006 zum Beispiel als Raubtierkapitalist Hermann Quitt in Peter Handkes Stück "Die Unvernünftigen sterben aus", den er irgendwo zwischen Kindskopf, Narziss und Charmebolzen anlegte. Regie Friederike Heller.
Hochmair, der Goethe-Gangster
Oder 2008 in Nicolas Stemanns gefeierter Inszenierung von Friedrich Schillers "Die Räuber". Da war Hochmair Teil einer vierköpfigen Boygroup, die den Text als Sprechkonzert interpretierte. Stemann war wohl der prägendste Regisseur in Philipp Hochmairs Laufbahn. In dessen Regie war er Shakespeares Hamlet, spielte in Jelineks "Das Werk" oder auch in Stemanns sensationellem Salzburger Doppel-Faust 2011, einem achtstündigen Theatermarathon, bestehend aus beiden Teilen von Goethes Gelehrten-Tragödie.
So etwas wie der Grundstein der gemeinsamen Arbeit war ebenfalls ein Stoff des Weimarer Klassikers: eine Adaption von Goethes Briefroman "Die Leiden des jungen Werther" fürs Gostner Hoftheater in Nürnberg. Konzipiert 1997 zunächst als Klassenzimmerstück, herausgebracht am Dürer-Gymnasium, tourt Hochmair mit "Werther!" bis heute durch die Lande. Sein erster Soloabend, dem weitere folgen sollten. Nicht nur "Jedermann reloaded", sondern auch ein Kafka-Abend oder "Schiller Balladen Rave".
Hochmairs Schiller-Abend gibt es als Album. Zum Streamen bei den entsprechenden Diensten oder als CD. Das Cover zeigt Hochmair mit Totenkopfring am Finger, nacktem Oberkörper und schwerer Kette um den Hals. Da ist er wieder: der Rockstar. Oder noch treffender: der Gangster-Rapper.
Hochmair, der Eindringliche
Das könnte auch schiefgehen, steckenbleiben in einer präpotenten Macker-Pose. Aber Hochmair beherrscht sein Handwerk bestechend. Verbindet sprachliche Genauigkeit in der Interpretation und messerscharfe Artikulation mit einer Eindringlichkeit im Ausdruck, der man sich zuhörend (oder bei Live-Auftritten auch zuschauend) nur schwer entziehen kann. Da überspringt einer lässig die Grenzen zwischen Populär- und sogenannter Hochkultur.
Hochmair ist sicher nicht der erste, der das macht, doch wirkt es bei ihm nie bemüht wie bei vielen anderen. Ähnlich souverän bewegt er sich mittlerweile zwischen Theater und TV. Ob als schwuler Politiker Joachim Schnitzler in der schmäh-satten Fernseh-Serie "Die Vorstadtweiber", ob als erblindeter Ex-Kommissar Alexander Haller in der Wien-Krimi-Reihe "Blind ermittelt" oder als SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich in Matti Geschonnecks Fernsehfilm "Die Wannseekonferenz" – Hochmairs Bildschirm-Präsenz ist beeindruckend. Seine Auswahl von Rollen und Projekten zeugt von hohem Qualitätsbewusstsein.
Hochmair, die Rampensau
Das Publikum liebt ihn dafür – eine Liebe, die Hochmair erwidert. Nach "Jedermann reloaded"-Vorstellungen eilt er regelmäßig ins Foyer, die Schminke verwischt, die goldene Glitzerjacke aufgeknöpft, und signiert CDs, Programmhefte, Eintrittskarten oder Körperteile seiner Zuschauerinnen und Zuschauer. Auch diese Nahbarkeit macht Philipp Hochmair zur Traumbesetzung für die Salzburger Festspiele. Einer seiner berühmtesten Vorgänger, Klaus Maria Brandauer, hat einmal gesagt, als Jedermann sei man "der Faschingsprinz von Salzburg". Will sagen: Zu den Auftritten auf dem Domplatz kommen auf den Jedermann-Darsteller noch eine Menge Termine abseits der Bühne dazu. Man ist das Gesicht der Festspiele. Was das angeht, hat Hochmair keine Scheu.
"Mir macht das Freude! Ich sehe mich nicht als Künstler im Elfenbeinturm. Ich sehe mich als Schauspieler, der den Dialog sucht und auch ein Echo möchte." (Philipp Hochmair)
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