Regisseur İlker Çatak ist nun ganz oben angekommen - in Hollywood bei den Oscars: "Es ist so toll, mit diesen Leuten gemeinsam nominiert zu sein - ob es Wim Wenders ist oder Matteo Garrone, mit deren Filmen bin ich aufgewachsen. 'Paris Texas' ist 'rausgekommen, als ich geboren wurde, oder 'Der Himmel über Berlin' - da war ich drei. Es ist einfach der Wahnsinn", sagt der Regisseur.
Mit seinem Film "Das Lehrerzimmer" räumte er im vergangenen Jahr fünf Trophäen beim deutschen Filmpreis ab, darunter beste Regie und bester Film. Darin machte eine Schule zum Schauplatz vielschichtiger Konflikte. Im Mittelpunkt: eine junge Lehrerin, gespielt von Leonie Benesch, die eigentlich nur eine Diebstahlserie in der Klasse aufklären will - und zunehmend in einen Strudel von Vorurteilen und falschen Verdächtigungen gerät.
Den Studenten-Oscar hat er schon
Geboren wurde İlker Çatak 1984 in Berlin als Sohn türkischer Einwanderer. Sein Großvater war einst aus dem türkischen Kayseri nach Deutschland gekommen, arbeitete in einer AEG-Fabrik. Çatak wuchs zunächst in Berlin auf und zog als Zwölfjähriger mit seinen Eltern nach Istanbul. Zurück in Deutschland schmiss er bald sein BWL-Studium, hangelte sich beim Film von Job zu Job, bis er Film studierte, darin den Master und seine ersten Kurzfilme machte.
Mit seinem Abschlussfilm "Sadakat" gewann er vor zehn Jahren in Los Angeles den Studenten-Oscar - und jetzt ist einer von fünf Oscar-Kandidaten in der Kategorie "Bester Internationaler Film". Große Hoffnungen macht er sich bei der starken Konkurrenz nicht, aber: "Wir haben schon gewonnen, ich finde, einfach dort zu sein, das ist der größte Ritterschlag, den man sich vorstellen kann. Es ist ein großer Zirkus, ich werde mir das Ganze ganz entspannt angucken, aber keinesfalls irgendwas erwarten!"
Mit der Familie nach Los Angeles
Erwartungen ganz anderer Art aber hat der sympathische Oscar-Anwärter, der mit Familie nach Los Angeles gereist ist, in Bezug auf die deutsche Öffentlichkeit und die deutschen Medien. Alle, sagt er, sprechen derzeit nur von Sandra Hüller und Wim Wenders und ihren Oscar-Chancen. Gäbe es aber nur "Das Lehrerzimmer", würden sich alle auf ihn stürzen.
Daran macht Çatak strukturellen Rassismus fest - ist er als deutscher Staatsbürger vielleicht zu türkischstämmig? Kann sich Rassismus auch in Ignoranz manifestieren? Çatak sagt: "Was mich glücklich macht ist: meine Familie in den 60er Jahren, das waren Bauern, die aus Anatolien nach Deutschland gekommen sind und hier ein kaputtes Land mit aufgebaut haben und ich als Enkel anatolischer Bauern bringe Deutschland eine Oscar-Nominierung - und das ist eine schöne Migrationsgeschichte, die man mal so stehen lassen kann!"
Bereits im Mai will Çatak mit einem neuen Film über türkische oppositionelle Theaterleute beginnen, Arbeitstitel: "Gelbe Briefe". Dann steht noch die Verfilmung des Romans "Das Leben keiner Frau" von der Berliner Autorin Caroline Rosales an - Oscar hin oder her.
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