Wandelt zwischen Schlager und Punk: Rocko Schamoni
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Chief der Schiefen: Rocko Schamonis Buch "Pudels Kern"

Chief der Schiefen: Rocko Schamonis Buch "Pudels Kern"

Rocko Schamoni ist ein Entertainer, der spielend Punk und Schlager verbindet. Jetzt lässt er seinen Kindheits- und Jugenderinnerungen "Dorfpunks" die Fortsetzung "Pudels Kern" folgen. Im Interview erzählt er, was es mit diesem Pudel auf sich hat.

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Im Münchner Park Café hat er seit einem tumultuösen Auftritt in diesem "schicken Tanztempel" in den achtziger Jahren "lebenslanges Hausverbot". Das konnte dem Hamburger Rocko Schamoni damals schon egal sein, denn er betrieb bald darauf seinen eigenen Club in St. Pauli, den legendären "Golden Pudel Club". 1991 hob er ihn gemeinsam mit Gleichgesinnten wie Schorsch Kamerun von den "Goldenen Zitronen" aus der Taufe. Das ehemalige Café in Hafennähe sollte bald schon zur Kult-Kaschemme werden. Ein fester Anlaufpunkt für die Subkultur-Szene.

Warum zum Pudel dieses Tier?

Der Titel von Rocko Schamonis neuestem autobiographischem Schelmenroman spielt natürlich auf diesen "Golden Pudel Club" an. Den Pudel hatte schon der junge Funpunk Schamoni als sein Wappentier ausgemacht und 1988 eine "Boutique Pudel" eröffnet für die "St.-Pauli-In-Crowd" – "der Grundstein für das später explodierende Pudel-Universum".

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Doch warum wählte er just den Pudel als Logo? Der Pudel, erklärt Schamoni im Gespräch, "war – abgesehen von der Goetheschen Bedeutung: Pudels Kern, der innere Kern, das Geheimnis, das Wesentliche von etwas – in Rock 'n' Roll- und Punkkreisen immer so ein irisierendes, schillerndes, flimmerndes Wesen". In John Waters' Trash-Film "Pink Flamingos" (1972) fresse die große amerikanische Drag-Queen Divine "aus dem Arsch eines lebenden Pudels Scheiße – das fand ich schon mal interessant". Daneben gab es Bands wie die "Fabulous Poodles": "Dieses Tier war immer äußerlich spießig, süß, klein und für den Salon gemacht, aber innen drin eben dann auch Kläffer, bissig, es soll ja angeblich ein sehr kluger Hund sein – und eben vom Teufel besessen." Für ihn eine reizvolle Mischung.

Chief der "Schiefen"

"Pudels Kern" setzt im Jahr 1986 ein – und knüpft damit nahtlos an Schamonis Bestseller "Dorfpunks" von 2004 an: Der gelernte Keramiker bzw. "Scheibentöpfer" Rocko Schamoni zieht aus der schleswig-holsteinischen Provinz nach Hamburg (ebenso wie sein "Maler-Freund" Daniel Richter) – und taucht dort sofort in jene zwielichtige, ranzige, verlockend halbseidene Demimonde des Kiezes und in die Welt der Kunst ein. Bald findet er dort Freunde, fängt an, Musik zu machen, landet sogar unversehens auf dem Bravo-Cover und wird trotzdem kein Teenie-Idol. Dafür ist er viel zu nonkonform und hat einen zu "schiefen" Blick auf die Welt.

Die anderen, das sind die "Geraden" mit geregeltem Einkommen und einem Lebensweg, der frei ist von biographischen Brüchen. Schamoni, unter anderem Mitglied des Hamburger Telefonstreich-Trios "Studio Braun", zeigt sich früh als eine Art Häuptling, als Chief des Stamms der "Schiefen". Sie hätten den Geraden einen anderen Blick auf die Welt voraus. Schamoni schreibt: "Durch Taschenspielertricks jeder Art – Tanz, Malerei, Schauspiel, Musik, Schriftstellertum – bannen wir Schiefen die Aufmerksamkeit der Geraden auf uns und fühlen uns in diesem Fokus für einen kurzen Augenblick gesehen und anerkannt. Man applaudiert zu den Blüten unserer Schwächen, bis das Bühnenlicht erlischt und wir in die graue Realität unserer eigenen alltäglichen Leben zurückkehren müssen. Dieses Loch ist meine Triebfeder."

Im Gespräch mit dem BR erläutert das 57-Jährige: "Man muss dazu allerdings sagen, dass die Schiefen ja nur aus der Perspektive der Geraden als schief angesehen werden, weil wir weniger sind. Aber in Wahrheit habe ich das Gefühl, wenn wir jetzt mal meine beiden Kollegen von Studio Braun nehmen, Heinz Strunk und Jacques Palminger, dass wir sehr gerade sind und eigentlich mit dem, was wir so an Weltbeobachtung abliefern, unsererseits eine völlig in Schieflage geratene Welt beschreiben." Es sei eben alles eine Frage der Wahrnehmung. Er jedenfalls habe einen klaren "moralischen Anker" und deshalb "null-komma-null das Gefühl, schief zu sein": "Die Millionen, die überall auf der Welt derzeit Autokraten an die Macht wählen, diese Leute sind für mich schief. Aber aus Sicht dieser Majorität sind wir die Schiefen."

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Helge Schneider früh kennengelernt

Genau solcher Selbstverortungen wegen lohnt es auch, Schamonis Buch zu lesen. Natürlich auch wegen der vielen wunderbaren Anekdoten darin, ob über die Begegnung mit Jonathan Meese, seinem Kommilitonen an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste, oder über das erste, von Schamoni selbst organisierte Helge-Schneider-Konzert in einer Privatwohnung 1989 – lange bevor das "Humorwunder" Schneider mit seinem Lied "Katzeklo" einen Megahit landete.

"Wir haben damals in der Wohnung des Gitarristen der Goldenen Zitronen, Ted Gaier, in der Buttstraße in Hamburg-Altona für Helge einen Empfang gemacht mit Käsehäppchen und Kaviar." 15 "Punks und Punketten" kamen so in den Genuss der Bekanntschaft mit dem laut Schamoni "genialen" Schneider und seinen Songs. "Das war etwas völlig Neues und Andersartiges. Da hatte jemand unsere Vorlieben für Humor so auf den Punkt gebracht wie noch nie zuvor jemand in Deutschland." Auch einen Aftershow-Auftritt des von ihm zutiefst verehrten "magischen Sexgnoms" Prince in der Großen Freiheit 36 kann Schamoni herrlich anschaulich schildern.

Ein Unterhaltungskünstler zwischen allen Stühlen

Rocko Schamoni war von Anfang an so auch immer ein großer Zusammenführer, er selbst nennt sich in einem für ihn typischen ironischen Anglizismus einen "Uniter". Und doch blieb er als dieser zwischen allen Stühlen. Weder zählte er, der "kitschmutig" (um ein Wort Benjamin von Stuckrad-Barres aufzugreifen) den Schlager nicht scheute, zum Udo-Lindenberg-Lager, noch gehörte er der Hamburger Schule an. Er wohnte zwar zeitweise in der WG mit deren Vertretern (wie etwa Bernadette La Hengst. Doch anders als "Blumfeld" oder "Die Sterne" hatte Schamoni nie eine "ambitionierte Schrengelband". So fungierte er als "Barmann des Haufens": "Das war für mich schmerzhaft, weil ich wollte ja gern Teil einer Jugendbewegung sein, um Tocotronic zu zitieren, gehörte aber nicht dazu. Ich stand jeden Abend am Tresen mit denen und war einfach der Zusammenhalter. Und als ich den 'Pudel' mit Schorsch und dem Wiener Norbert aufmachte, haben dort alle eine Heimstatt gefunden."

Es geht in diesem Memoir nicht nur komisch zu, sondern auch nachdenklich. "Kunst erwächst nicht aus Zufriedenheit", schreibt Schamoni sehr zu Recht. Eher aus dem Gegenteil: einem Ungenügen an sich selbst und der Welt um einen herum. Depressionen quälen diesen großen Unterhaltungskünstler Rocko Schamoni seit seinem 17. Lebensjahr, weshalb den himmelhochjauchzenden Phasen in seinem Leben, um noch mal Goethe zu bemühen, oft "zu Tode betrübte" Perioden folgten. Seine "Selbstverfluchungsspiralen", die vermaledeiten "Strudel des Selbstzweifels", seine "Seelenbewölkungen", auch sie reflektiert Schamoni in diesem Buch.

Man kann froh sein, dass sich der große Entertainer Rocko Schamoni nach einem früh verworfenen und nie veröffentlichten ersten literarischen Versuch – dem dreiteiligen Kurzkrimi "Funkgeräte und Autos" – laut seinem Verfasser eine Art Vorwegnahme von "Die nackte Kanone" – dann doch irgendwann für das Schreiben als eine seiner künstlerischen Ausdrucksformen entschieden hat. Falco scheint durch dieses Buch widerlegt mit seinem Bonmot, wer sich noch an die 80er Jahre erinnern könne, habe sie nicht erlebt. Tagebuchaufzeichnungen haben Rocko Schamoni dabei geholfen.

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Buchcover: "Pudels Kern" von Rocko Schamoni

Rocko Schamoni: Pudels Kern. Roman. hanserblau. 302 Seiten. 26 Euro

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