Eine solche Orange hat vermutlich noch keiner gesehen: Sie hat Ohren wie ein Mensch, akkurat geformt. Der Löwe neben der sonderbaren Frucht wiederum – er sitzt in der Wüste – trägt zwei Löffel in der mächtigen Mähne und einen am Schwanz. Zwei kleine, farbintensive, akkurate und ebenso verspielte Aquarelle von Paul Maar. Bilderrätsel, ohne jedes Wort.
"Ich hatte vor, ein Bilderbuch zu machen, und zwar, wo ich zwei Dinge zusammenbringe, die immer mit dem gleichen Anfangsbuchstaben beginnen: Birne und Baum – aus einer Birne, der Frucht, wächst oben ein Baum. Gabel und Gans – die Gans hat Füße wie eine Gabel", erklärt Maar.
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Tiefe auf engstem Raum
Das Bilderbuch kam nicht zustande, erzählt Paul Maar. Die Blätter verschwanden in der Schublade. Jetzt hängen sie – zum Glück – im Buchheim-Museum der Phantasie in Bernried am Starnberger See, neben vielen anderen Aquarellen und Federzeichnungen. Paul Maar arbeitet gerne mit diesen beiden Techniken. Zudem schätzt er das kleine Format. Und gibt den Illustrationen auch auf engstem Raum immer wieder eine beeindruckende grafische Tiefe, zu sehen etwa bei den Schwarz-Weiß-Zeichnungen für den Roman "Lippels Traum", in dem sich jener Lippel aus einem Schreckensregiment in eine orientalische Abenteuerwelt flüchtet.
"Ich habe erst eine senkrechte Schraffur gemacht, mit feinen Strichen. Dann eine waagerechte oben drüber. Und dann noch einmal schräg in die eine Richtung und schräg in die andere Richtung. So entsteht ein Schwarz, was aber ein sehr lebendiges Schwarz ist. Keine tote Fläche, nicht so, als hätte ein Malermeister eine Tür schwarz angestrichen. Sondern: Die Farbe lebt. Das ist sehr aufwändig. Aber es hat sich gelohnt", findet Maar.
Berühmteste Figur: Das Sams
Das Sams, Paul Maars berühmteste literarische Figur, ist in der Ausstellung mit dem Titel "Samselsurium" allgegenwärtig, mit feuerrotem Haar, Steckernase, blauen Wunschpunkten, dazu blauem Taucheranzug und quietschgrünen Flossen. Zu den Illustrationen und Buchcovern kommen auch eine Regenschirm- und eine Wunschmaschine, gebaut für eine frühere Ausstellung des Kinderbuchautors und Illustrators.
Doch nicht nur die Sams-Bilder zeugen vom großen Witz, mit dem Paul Maar auch mit Feder oder Aquarell-Pinsel erzählt. Es gibt kleine Comics, ebenso grafische Wortspielereien: "Da sitzen zwei Saurier nebeneinander in einer Geschichte und trinken zusammen Veilchentee. Und da schreibe ich 'Veilch' … und dann male ich zwei Enten. Veilch-Enten … Dann müssen sie also drauf kommen, dass da Veilchentee gemeint ist."
Und es gibt Illustrationen aus diversen anderen Büchern, etwa aus dem kaum bekannten Band "Lauter Streifen". Eine Ehe-Geschichte, sagt Paul Maar. Auf die darin durchgespielte Idee kann vermutlich nur er kommen: "Ein Mann, der liebt Längsstreifen. Und seine Frau liebt Quersteifen. Und am Anfang darf jeder seinen Bereich streifen. Und das nimmt so überhand, dass die Frau, wenn der Mann drei Tage auf Reisen ist, auch seinen Bereich querstreift – und der Mann sich darüber ärgert und selbst die Fensterläden dann längsstreift."
Es kommt zum Streit, den die Eheleute mit einem Kompromiss beenden: Ein jeder darf sich mit seinen Streifen verwirklichen – dann sitzen sie zufrieden in einer durch und durch karierten Wohnung. Alles mit Feder gezeichnet: "Und er schaut sein kariertes Hemd an und sagt: Ein geblümtes Hemd wäre eigentlich auch sehr schön. Das ist der Schlusssatz. Und dann erzählt sich der Leser, wie die Geschichte weitergeht, wenn jetzt alles geblümt wird", sagt Maar.
Präzise und hintersinnig
Ein bisschen Dada ist immer dabei. Bereits an der Schule in Schweinfurt hat Paul Maar gezeichnet und Skizzenbuch um Skizzenbuch gefüllt. Er studierte an der Stuttgarter Kunstakademie und arbeitete nebenher unter anderem als Bühnenbildner am Theater seiner Schwiegereltern Oskar Ballhaus und Lena Hutter. Sein literarisches Debüt – die Geschichtensammlung "Der tätowierte Hund" – verdankt sich einem großen Bild im Zimmer seiner Kinder. Das Schreiben und das Zeichnen ergänzen einander beständig. Und manches Motiv kommt ganz beiläufig in die Welt, sagt Maar: "Während ich telefoniere, entsteht bestimmt ein ganzes Blatt von oben bis unten, auf dem eng Köpfe, Tiere oder ähnliches zu sehen ist. Und hinterher, weil ich das so quasi geistesabwesend mache und mich auf das Gespräch konzentriere, staune ich manchmal selber, was da auf dem Blatt entstanden ist."
Staunen darf man auch angesichts der Bilder von Paul Maar, die jetzt im Buchheim-Museum am Starnberger See zu sehen sind: so präzise und so hintersinnig, voller Erzählfreude und auch mit kleinen Anspielungen auf Künstler wie Maurice Sendak oder die Surrealisten. Paul Maars Bilderwelten im Dialog mit der Kunstgeschichte, das wäre auch mal ein Thema. Den Wunsch kann man im Buchheim-Museum schon einmal deponieren.
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