Archivbild: Hubert Aiwanger sitzt während einer Plenarsitzung im Bayerischen Landtag auf seinem Platz
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Mehr als Bierzelt und Bauern-Demo: Der andere Aiwanger

Mehr als Bierzelt und Bauern-Demo: Der andere Aiwanger

Umstrittene Aussagen zur Demokratie, Flugblatt-Affäre, Demo-Hopping prägen das öffentliche Hubert-Aiwanger-Bild - auch befeuert durch die CSU. Nach viel Kritik bemüht er sich, ein anderes Gesicht zu zeigen. Die Spannungen in der Koalition bleiben.

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Wenn Hubert Aiwanger in den vergangenen Monaten Schlagzeilen machte, hatte es in der Regel mit seinem Job als bayerischer Wirtschaftsminister nur am Rande zu tun. Da war die Rede auf der Anti-Ampel-Demo in Erding ("Demokratie zurückholen"), die Flugblatt-Affäre, umstrittene Talkshow-Auftritte ("formale Demokratie"), die Dauerpräsenz auf Bauern-Demos.

Scharfe Kritik musste sich Aiwanger nicht nur aus der Opposition anhören. Auch CSU-Spitzenpolitiker verurteilten öffentlich seine Wortwahl, forderten ein stärkeres Engagement als Minister, stellten seine wirtschaftspolitische Kompetenz in Frage. Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber distanzierte sich von Aiwangers "Populismus", CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek bezeichnete ihn als "kleinen Problembären", Ministerpräsident Markus Söder erinnerte seinen Vize daran, dass ein Minister nicht in Teilzeit arbeiten könne.

All das prägt das öffentliche Aiwanger-Bild nachhaltig - wie auch aktuelle Kommentare von BR24-Usern zeigen. Mal wird er als "Scharfmacher" kritisiert, mal als "populistischer Wirtshausminister". Immer wieder taucht der Vorwurf auf, er vernachlässige seine Ministerpflichten: "Wenn man Bierzelt und Bauerndemos als Arbeit ansieht, dann arbeitet Hubert Aiwanger wirklich mehr als viele andere", hieß es kürzlich in einem User-Kommentar. "Da bleibt für die Aufgaben als Wirtschaftsminister leider kaum noch Zeit." Ein anderer schrieb: "Aiwanger, tu mal was für dein Geld, anstatt immer nur zu schnacken."

Aiwanger spricht von verzerrter Wahrnehmung

Ja, es gibt ihn weiterhin - den provokanten Bierzelt-Redner Aiwanger, der als Minister gegen "die da oben" wettert, auf AfD-Wähler schielt und sich auch für Sätze feiern lässt, die an Verschwörungstheorien erinnern. Ihn komplett darauf zu reduzieren, wird dem 53-Jährigen nicht gerecht. Gerade in den vergangenen Monaten bemühte er sich merklich, seine Arbeit als Wirtschaftsminister mehr in den Blickpunkt zu rücken.

Spricht man Aiwanger auf die CSU-Kritik und sein Bild in der Öffentlichkeit an, beklagt er ein "verzerrtes Bild der Wahrnehmung". Als Minister und Parteivorsitzender habe er viel Büroarbeit, viele Telefonate hinter den Kulissen, Firmenbesuche und Gespräche mit Konzernchefs, die keiner wahrnehme und die auch niemanden interessierten. Wenn er aber ein Volksfest besuche, "stehen tausende Menschen am Wegrand und winken dir zu", schildert der Niederbayer. "Da hat man eine ganz andere Wahrnehmung." Aiwanger sucht regelmäßig das Bad in der Menge - im Bierzelt und auf Anti-Ampel-Demos lässt er sich für deftige Angriffe auf die Grünen, die Forderung nach Steuersenkungen und vermeintlich einfache Lösungen in Migrationsfragen feiern.

Auf die Bauern-Demos zu Jahresbeginn seien die Scheinwerfer der gesamten Republik gerichtet gewesen, schildert der Minister. "Manche haben mich erst über diese Themen wahrgenommen und meinen, Aiwanger macht nur Bauern-Demos oder Aiwanger ist nur auf Volksfesten", sagt er. "Die sind eben nicht dabei, wenn ich mit dem Siemens-Chef rede."

Bei Aiwanger sitzt der Stachel tief

Besonders den Vorwurf des Teilzeit-Ministers will Aiwanger nicht auf sich sitzen lassen. "Mein üblicher Arbeitstag geht vielfach an die 17 Stunden", sagt er dazu. "Wer da mal drei Tage mitfahren will, kann das tun. Dann sieht man, wie viel Teilzeit das ist."

Dass aus der CSU-Spitze nach wie vor regelmäßig Sticheleien gegen den Koalitionspartner kommen, spielt Aiwanger herunter. "Vielleicht nehme ich es gar nicht wahr", sagt er dazu - lässt zugleich aber erkennen, wie Tief der Stachel nach mehreren Jahren Bündnis mit der CSU doch sitzt: Von sich aus kommt er auf die Corona-Zeiten zu sprechen, "als mir mein Nicht-Impfen vorgeworfen wurde". Auch wenn er hinzufügt, das sei "Schnee von gestern" - Aiwanger hat bis heute nicht vergessen, wie Söder ihn im Impfstreit vor laufenden Kameras in die Enge getrieben hatte.

"Gesetzmäßigkeit der Medienwelt"

Dass sein öffentliches Bild so ist, wie es ist, führt Aiwanger auf die "Gesetzmäßigkeit der Medienwelt" zurück: Auf seinen Social-Media-Kanälen poste er Fotos von jedem Firmenbesuch und jedem Energietreffen. "Aber das hat eben bei weitem nicht die Reichweite, wie wenn es um Themen wie Asyl geht, um Themen der Zukunft der Landwirtschaft geht, um das Thema Wolfsabschuss geht." Bei emotionalen Themen habe er oft eine zehn- bis hundertfach höhere Reichweite als bei einem "braven" Ministertermin. Und für hohe Reichweite spitzt der Freie-Wähler-Chef gerne auch mal zu - und verbreitet gerade provokante Posts gleich mehrfach hintereinander.

Nach dem Demo-Auftritt in Erding und seinen Aussagen zur Demokratie habe er plötzlich Einladungen in bundesweite Talkshows bekommen, sagt Aiwanger. Und diese öffentliche Wahrnehmung braucht es seiner Überzeugung nach für mehr Wählerstimmen. Trotzdem versichert der Freie-Wähler-Chef lachend: "Ich sage nicht gezielt: Ich mache jetzt irgendwo Rabatz, damit ich wieder in die Talkshows eingeladen werde."

Streibl: Aiwanger hat "Rat schon angenommen"

Einen "irre fleißigen Menschen" nennt ihn FW-Fraktionschef Florian Streibl. "Ich glaube, da gibt es kein Wochenende und keinen freien Abend und keine freie Stunde. Der ist immer unterwegs und immer im Einsatz." Aiwanger sei überall präsent und mache seinen Job als Wirtschaftsminister.

Vor ein paar Monaten klang das noch anders. Streibl hatte seinem Parteivorsitzenden auf dem Höhepunkt der Debatte Ende Januar geraten, seine eigentliche Arbeit stärker herauszustellen: "Er macht seine Arbeit als Wirtschaftsminister", sagte der Fraktionschef damals dem BR. Überlagert werde das aber durch Berichte und Aiwangers Social-Media-Posts über Demo-Teilnahmen. "Er muss wieder als Wirtschaftsminister sichtbar sein, und die Arbeit, die er da leistet, die muss wieder in die Köpfe."

Aiwanger hatte seine Demo-Reden damals selbst eifrig über X und Facebook verbreitet und Kritik am Protest-Hopping zurückgewiesen: Wenn "das Volk" nach der Politik rufe, könne er sich nicht ins "warme Ministerium" einsperren und aus dem Fenster schauen. Kurz darauf aber änderte er seine Strategie in den sozialen Netzwerken. "Diesen Rat hat er schon angenommen", freut sich Streibl jetzt. Eine Eins plus mit Stern würde er seinem Parteichef aktuell für seinen Job als Wirtschaftsminister geben. Gleichzeitig betont der Fraktionschef, dass noch viel zu tun sei. Aiwanger müsse schauen, "wie die Themen weiter umgesetzt werden".

CSU macht Wirtschaftspolitik zur Chefsache

Der Koalitionspartner legt noch eines drauf. Wirtschaft sei "eines der zentralsten Ressorts" in dieser Staatsregierung, sagt CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek. "Jeder tut gut daran, in diesem Thema maximale Leistung zu bringen." Statt den zuständigen Minister lobt Holetschek aber den Ministerpräsidenten: In seiner Regierungserklärung habe Söder kürzlich "wirklich konkrete Maßnahmen" für die bayerische Wirtschaftspolitik dargestellt. "Ich denke, es ist wahrnehmbar, dass Wirtschaftspolitik ja auch Chefsache ist in Bayern", sagt der CSU-Fraktionschef.

Ein Seitenhieb auf den Wirtschaftsminister. Aiwanger wisse natürlich, "wie wichtig die Wirtschaft ist, der Mittelstand, das Handwerk" und dass er "neben der Jagd natürlich auch diese zentralen Themen bearbeiten muss".

Mehr Start-ups statt Jagd

Da ist er wieder, der Vorwurf an Aiwanger, falsche Prioritäten zu setzen, sich mehr um Wald und Wild zu kümmern statt um bayerische Firmen, die Großindustrie und Start-ups. Ob Söder also die Arbeit von Aiwanger ein Stück weit übernehmen müsse? Holetschek winkt ab: "Das ist die Führungsqualität von Markus Söder."

Als "kleinen Problembären" habe er Aiwanger im Januar in einer Situation der Unzufriedenheit bezeichnet. "Es kam auch aus der Wirtschaft raus", sagt der CSU-Politiker. Seine Fraktion werde auch künftig "selbstbewusst genug" sein, sich zur Wirtschaftspolitik zu äußern. "Das hat ja nichts damit zu tun, dass man nur den Wirtschaftsminister vor sich hertreiben will, sondern wir müssen ja auch als Fraktion unsere Themen formulieren", betont Holetschek.

Streibl will Sticheleien aushalten

Die Freien Wähler geben sich angesichts wiederkehrender Sticheleien aus der CSU gelassen. "Für uns gilt nicht das Prinzip Auge um Auge, Zahn um Zahn", sagt Streibl. Man merke es sich durchaus, wolle dies aber nicht auf dem gleichen Niveau zurückzahlen. "Das muss eleganter sein." Ab und zu werde man den Koalitionspartner schon "in die Schranken weisen". Die Zusammenarbeit in der Koalition dürfe das aber nicht beeinträchtigen. "Man muss jederzeit miteinander regieren können."

Der "Schwarze Peter" für Aiwanger

Besonders ungerecht behandelt von der CSU fühlte sich Aiwanger Ende Januar: Als im oberbayerischen Mehring die Bürger gegen den geplanten Windpark im Chemiedreieck und damit auch gegen ein Prestigeprojekt der Staatsregierung stimmten, gab die CSU ihm eine Mitschuld. Kritiker warfen dem Energieminister vor, einen geplanten Besuch in Mehring für die Teilnahme an gleich fünf Bauern-Demos an einem Tag verschoben und damit die Überzeugungsarbeit vernachlässigt zu haben.

"Natürlich wurde versucht, mir den Schwarzen Peter zuzuschieben", ärgert sich Aiwanger auch noch fünf Monate später. In Mehring sei aber über eine "unglückliche Planung" abgestimmt worden, in die er ausdrücklich nicht mit einbezogen worden sei. Vor dem folgenden Bürgerbegehren in Marktl habe er dann persönlich eingegriffen, schildert Aiwanger. Mehrfach reiste der Minister zu Gesprächen mit Marktlern, erklärte, diskutierte. Die Planungen wurden angepasst, die Zahl der Windräder reduziert. Für diesen Kompromiss stimmten schließlich 60,2 Prozent der Bürger.

Daraufhin gab es zur Abwechslung zwar mal öffentlichen Dank des Ministerpräsidenten für den Freie-Wähler-Chef: "Ich wollte den Einsatz von Hubert Aiwanger loben. Das war wirklich sehr gut", sagte Söder. Doch FW-Fraktionschef Streibl erinnert sich gut daran, wie ungleich lauter nach dem Bürgerentscheid von Mehring die Vorwürfe waren: "Da wäre es schön, wenn das Lob genauso deutlich wäre wie die Kritik."

"Zwei Parteien, die rivalisieren"

Absehbar ist: Je näher die Bundestagswahl 2025 rücken wird, desto gereizter dürfte die Stimmung zwischen der CSU und den Freien Wählern werden - insbesondere zwischen Söder und Aiwanger. "Wir sind natürlich zwei Parteien, die rivalisieren", sagt Aiwanger. "Und immer wenn Wahlen vor der Tür stehen, hätte immer gerne derjenige die Stimmen vom anderen."

Der Bundestagswahlkampf könnte besonders brisant werden. Aiwanger will 2025 unbedingt erstmals den Sprung ins Bundesparlament schaffen - ein starkes FW-Resultat in Bayern wäre ein wichtiger Baustein. Die CSU müsste wegen des neuen Wahlrechts möglicherweise um den Wiedereinzug bangen, sollte sie in Bayern viele Stimmen an die Freien Wähler verlieren. Die Christsozialen haben schon nach der Landtagswahl im vergangenen Jahr angekündigt, die FW härter angreifen zu wollen. Und der Freie-Wähler-Chef weiß nach den vergangenen Monaten sehr gut, was er tun muss, um wieder mehr ins Rampenlicht zu rücken - auch wenn das "den anderen Aiwanger" wieder in den Schatten stellt.

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