Die "sozialen" oder auch gern sogenannten neuen Medien sind ihrer Natur nach oft einfach nur riesige Mägen, die Altbekanntes wiederkäuen. Ein Paradebeispiel dafür dürfte jenes Werbevideo der Supermarktkette Edeka zum Thema Vielfalt aus dem Jahr 2017 sein, das derzeit auf TikTok, Instagram und X viral geht und unter Hashtags wie #GegenRechts neuerlich Berühmtheit erlangt.
Der Clip zeigt einen nahezu leeren Vollsortimenter: lauter verwaiste Regale in einer Hamburger Filiale des größten deutschen Lebensmitteleinzelhändlers, in dem es nurmehr deutsche Warenangebote gibt.
Ein Zeichen für Vielfalt
Sämtliche "ausländischen Produkte" wurden "aus dem Markt geräumt". Schilder weisen auf das bewusst limitierte Angebot hin: "Unsere Auswahl kennt heute Grenzen." Das Personal erklärt ratlosen bis verzweifelten Kunden ("Es ist nichts da!"), dass es weder Tee noch Kaffee vorrätig hält und tröstet: "Bier haben wir noch einiges da. Davon gibtʼs ja in Deutschland zum Glück viel." Immer wieder werden Hinweistafeln eingeblendet, auf denen zu lesen ist: "Deutschland wäre ärmer ohne Vielfalt."
Eine von dieser Aktion offenkundig angetane ältere Kundin sagt zu einem Verkäufer, das mit "German first" sei doch "Unsinn", ein Mann mit Kind auf dem Arm predigt in die Kamera: "Die Welt ist so bunt wie wir verschieden sind, und das ist schön." In der Abblende schließlich lässt Edeka wissen: "Dieser Supermarkt ist Geschichte. Unser Zeichen bleibt: Wir lieben Vielfalt."
Vom Kolonialwarenhändler zum Vielfaltsgaranten
Selbst der deutsche Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hielt es für angezeigt, das Werbevideo auf X, vormals Twitter, zustimmend zu teilen.
Bei Edeka - der Name ist ein Akronym der 1907 gegründeten "Einkaufsgenossenschaft deutscher Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin" - wird man sich freuen, dass man mit dieser Zeichensetzung und diesem "starken Signal", wie es ein User nennt, derart viele Sympathiepunkte sammelt. In den vergangenen Jahren hatte der Konzern es immer wieder verstanden, mit millionenfach geklickten sentimental-anheimelnden Werbevideos zur Weihnachtszeit Aufsehen zu erregen. Darin sah man einen vereinsamten und von seiner Familie im Stich gelassenen Greis, der nur unter dem Vorwand, gestorben zu sein und also beerdigt werden zu müssen, seine Angehörigen bei sich zu Hause zu versammeln vermag: "Wie hätte ich euch denn sonst alle zusammenbringen sollen? Mmh?"
Keine ungeteilte Zustimmung
Nicht nur zur Weihnachtszeit bringt sich der Konzern mittels solcher Videos ins Gespräch, wie der jetzige Erfolg mit dem wieder ausgegrabenen Clip aus dem Jahr 2017 erweist. Das Vielfalts-Video stößt indes nicht nur auf Zustimmung, sondern ruft auch Kritiker auf den Plan. So schreibt die Journalistin Ann-Kathrin Büüsker in ihrer Insta-Story mit Blick auf die im Werbefilm wohlweislich nicht erwähnten langen Lieferketten: "Wenn ein Statement für mehr Vielfalt einem auf die Füße fällt, weil man so auch unterstreicht: Wir importieren viele Produkte mit langen Lieferwegen, die zu schlechten Löhnen und geringeren Standards teilweise im weit entfernten Ausland produziert werden."
Die Linken-Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke aus München wiederum schreibt auf X, glaubwürdiger wäre die Werbeaktion, wenn Edeka "die eigene Kolonialgeschichte aufarbeiten & die Verstöße gegen Menschenrechte in der eigenen Lieferkette aufdecken & beheben würde".
In dieselbe Kerbe schlägt der aus Wörth an der Donau stammende, an der Universität Hamburg lehrende Historiker Jürgen Zimmerer in seinem Post: "Ich finde die Aktion von Edeka beeindruckend. Aber es entbehrt nicht eine gewissen Ironie, dass die 'Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwanrenhändler' damit - unbeabsichtigt - auch ein Symbol geschaffen hat, wie sehr Konsum und koloniales Erbe zusammenhängen!"
Das Image der Supermarktkette
Der Lebensmittelhändler selbst hatte bei der Lancierung des nun viel diskutierten Werbevideos am 31. August 2017 mitgeteilt, dass ihm Diversität ein Anliegen sei: "Vielfalt bedeutet für EDEKA auch, dass im Verbund 351.500 Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammenarbeiten, die hier Anerkennung, Wertschätzung und Förderung erfahren – unabhängig von Geschlecht, Nationalität, ethnischer Herkunft, Religion, Weltanschauung, Alter oder sexueller Orientierung." In besonderer Weise engagiere sich Edeka für das Thema Integration. So sei der Verbund beispielsweise seit 2012 Partner der Deutschlandstiftung Integration, die Menschen mit Zuwanderungsgeschichte auf ihrem beruflichen Weg unterstützt.
2021 hatte eine Edeka-Filiale in Friedberg bei Augsburg für nationales Aufsehen sowie große Berichterstattung gesorgt, als man dort "Student*innenfutter" feilbot. Man ist geneigt, bei all diesen Diskussionen rund um Edeka an einen Buchtitel des französischen Autors Michel Houellebecq zu denken: "Die Welt als Supermarkt".
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