Drag Queens, die sich an einer langen Tafel versammelt haben, in ihrer Mitte eine Person mit einem gold-silbernen Kranz auf dem Kopf, der an einen Heiligenschein erinnert. Dieses Bild auf der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris erinnerte einige an das letzte Abendmahl. Auch der Vatikan übte Kritik – obwohl die Künstler gar nicht die Absicht hatten, eine biblische Szene darzustellen, wie sie im Nachhinein erklärten. Der Vorwurf: Religiöse Gefühle würden lächerlich gemacht, schreibt der Heilige Stuhl in einer Stellungnahme.
2006: Madonna mit Dornenkrone an einem Kreuz
Immer wieder fühlen sich Gläubige in ihren religiösen Gefühlen verletzt. So wie 2006: Bei ihrer Tour hängt Madonna mit einer Dornenkrone an einem glitzernden Kreuz. Für die evangelische Theologin Margot Käßmann eine Provokation: "Mich stört, dass sie in einer wirklich anmaßenden Selbstinszenierung dieses Symbol, bei dem es um Leiden und Sterben von Jesus Christus geht, für ihre eigene Inszenierung benutzt. Ich finde, sie sollte die Hände von religiösen Symbolen lassen, die Menschen viel bedeuten."
Ob es so etwas wie "religiöse Gefühle" überhaupt gibt oder nicht – darüber gebe es in der Wissenschaft bisher keine Einigkeit, erklärt der evangelische Theologe Roderich Barth im Interview mit "Glauben - Zweifeln - Leben" auf Bayern 2. Der Professor für systematische Theologie an der Universität Leipzig hat sich in seinem Buch "Theologie der Gefühle" intensiv mit dem Thema beschäftigt.
Begründet werde das damit, dass es ähnliche Gefühle, wie zum Beispiel die Ehrfurcht vor Autoritätspersonen, auch ohne religiösen Bezug gebe. "Ich halte diese These für zu kurz gegriffen, dass religiöse Gefühle einfach nur ganz alltägliche, profane Gefühle sind. Ich denke, da gibt es schon eine Besonderheit", sagt Barth. Und: "Gefühle sind nicht plastisch, sind veränderbar, sind hochgradig kulturell und sozial imprägniert", ergänzt er.
"Religiöse Gefühle": Eine Erfindung der Preußen
Seit der Antike wurde Gotteslästerung in vielen Kulturen hart sanktioniert. Noch bis 1848 ahndete das preußische Strafgesetzbuch Blasphemie bis hin zur Todesstrafe. Seit der Aufklärung dann verschob sich die Deutungshoheit. Es gab zunehmend Kritik an der Vorstellung, der Staat müsse die Ehre Gottes vor Verletzung beschützen. Auch der Vater des bayerischen Strafgesetzbuches Paul Johann Anselm Ritter von Feuerbach teilte diese Ansicht und strich die Blasphemie 1801 aus dem Strafgesetzbuch.
In Preußen versuchte der damalige Justizminister Friedrich Carl von Savigny einen Mittelweg zu finden. Er war der Ansicht, der Staat müsse zwar nicht die Ehre Gottes schützen, wohl aber die Gefühle der Menschen, die an Gott glauben: die Erfindung der "religiösen Gefühle". Der Straftatbestand wurde erst mit der Großen Strafrechtsreform 1969 abgeschafft. Juristisch ist man sich heute weitgehend einig, dass "religiöse Gefühle" in einem freiheitlich demokratischen Verfassungsstaat kein Schutzgut sind. In autoritären Staaten dagegen finden sich ähnliche Straftatbestände bis heute. In Russland beispielsweise drohen bis zu drei Jahre Haft, wenn religiöse Gefühle verletzt werden.
Ein seltener Fall: Verbot des Musicals "Das Maria-Syndrom"
In Deutschland wird heute kaum noch jemand juristisch zur Verantwortung gezogen, weil er religiöse Gefühle verletzt hat – solange der gesellschaftliche Friede nicht gefährdet wird. Einer dieser seltenen Fälle ist das Verbot des Musicals "Das Maria-Syndrom" in den 1990er-Jahren. Damals sollte die Geschichte einer jungfräulichen Schwangerschaft auf die Bühne gebracht werden. Das Bistum Trier bat das Ordnungsamt, die Uraufführung zu stoppen. Der Fall ging vor Gericht.
Häufig werten Gerichte die Kunstfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung höher. So wie im Fall des Künstlers Martin Kippenberger in Bozen. 2008 empörten sich die Südtiroler über sein Werk eines gekreuzigten Frosches. Sie drohten dem Künstler, dass ihn die Strafe Gottes ereilen werde. Das Kunstwerk sei ein "Schadobjekt" und "gottbeleidigend". Obwohl sich sogar der damalige Papst Benedikt XVI. einschaltete, bleibt der Frosch am Kreuz stehen.
Barth: "Es geht eigentlich um die Verletzung der Ehre"
Dass es "religiöse Gefühle" durchaus gebe – davon ist der evangelische Theologe Roderich Barth überzeugt. Der Unterschied zwischen "alltäglichen" und "religiösen" Gefühlen sei, dass sie "religiös gedeutet und ausgedrückt" werden. "Ein schönes Beispiel ist, wenn morgens die Sonne scheint. In der Regel löst das bei Menschen, unabhängig davon, ob sie religiös sind oder nicht, ein freudiges Gefühl aus", erklärt Barth. "Man kann diese Freude aber auch religiös bestimmen, dann mischt sich in diese Freude noch Dankbarkeit, ein Verpflichtungsgefühl, ein Gefühl von Demut." So werde aus einem alltäglichen Gefühl ein religiöses Gefühl.
Barth beobachtet aber auch, dass die Begründung, religiöse Gefühle würden verletzt, manchmal nur vorgeschoben sei – so wie beispielsweise bei der Eröffnungsfeier von Olympia. "Eigentlich geht es gar nicht um religiöse Gefühle, sondern es geht um die Verletzung von Ehre", sagt der Theologe. Bei der Olympia-Diskussion gehe es um Identitätspolitik von religiösen Gruppen und die Frage: Wie präsent soll queeres Leben in unserer Gesellschaft sein? "Es geht da um knallharte, moralische, politische, ethische Fragen, die man dann unter Berufung auf verletzte religiöse Gefühle versucht durchzusetzen", so Barth.
Nach Mohammed-Karikaturen Mord an Zeichnern
Für einen Aufschrei sorgten 2005 auch die Karikaturen zum muslimischen Propheten Mohammed in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten. Muslime weltweit protestierten gegen die Veröffentlichung. Zeitschriften, wie das französische Satiremagazin Charlie Hebdo, unterstützten die dänischen Journalisten und veröffentlichen ebenfalls Mohammed-Karikaturen. 2015 kommt es schließlich zum Attentat: Mehrere bewaffnete Islamisten stürmten die Redaktionsräume von Charlie Hebdo und ermordeten zahlreiche Mitarbeiter.
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