Ob nun lockiges Haar oder glattes: Das Kind in der Krippe kann man sich ganz unterschiedlich vorstellen. Nur in einer Sache ist die biblische Überlieferung ziemlich eindeutig: Es ist ein Junge. Aber ist dieses zu Bethlehem geborene Jesuskind auch das Christkind, das alljährlich die Kinder beschert?
Luther: Es ist das Christkind und nicht der Nikolaus
Wenn es nach Martin Luther geht, schon. Der Reformator gilt als Erfinder der Christkind-Tradition, erklärt die evangelische Theologin Renate Jost: "Es ist Luther, der gesagt hat: Es ist das Christkind, das die Geschenke bringt, und nicht der Nikolaus. Er wollte diesen katholischen Nikolaus zur Seite schieben."
Als sogenannter Herre Christ zog ein männliches Christkind im 16. und 17. Jahrhundert bei Weihnachtsumzügen teils gemeinsam mit Knecht Ruprecht von Haus zu Haus. Im Lauf der Zeit hat sich die Vorstellung vom Christkind allerdings von Luthers Idee emanzipiert. Es ist zu einer ganz eigenständigen Figur geworden – und obendrein zu einer weiblichen.
Christkind wird mit Weisheit verbunden – Tugend oft in Frauengestalt
Dass viele sich das geschenkebringende Christkind heute als eine Art göttliches Mädchen vorstellen, hat verschiedene Gründe, sagt Renate Jost. Zum einen, weil das Christkind im Lauf der Zeit mit Weisheit verbunden wurde (Link zu BR-Podcast) – eine Tugend, die in der Kulturgeschichte oft in Frauengestalt daherkommt. Die Rolle des belehrenden Christus in den Weihnachtsumzügen wurde zusehends von Frauen und schließlich von Mädchen übernommen.
Spätestens seit der Erfindung all unserer heimeligen Weihnachtsbräuche von Christbaum bis Plätzchen war für viele klar, das Christkind müsse weiblich sein, so die Theologin. "In der Religiosität der einfachen Leute, bei meiner Großmutter zum Beispiel, haben sich dann Geschichten entwickelt, wie dass das Christkind typisch weibliche Tätigkeiten macht." Man habe sich nicht vorstellen können, dass ein männliches Jesuskind die Plätzchen für die Kinder backt. Also war für die Menschen klar: Das macht ein Mädchen oder eine junge Frau.
Nationalsozialisten missbrauchen Christkind für ihre Ideologie
Ende des 19. Jahrhunderts ist das Christkind, wenn es in Erscheinung tritt, endgültig das blonde Rauschgoldengel-Mädchen, das inzwischen alljährlich auch den Nürnberger Christkindlesmarkt eröffnet. Diese Eröffnungszeremonie war übrigens eine Erfindung der Nationalsozialisten. Sie wollten die Tradition des Christkindlesmarktes für ihre völkische Ideologie ausschlachten, so Renate Jost.
Die Nationalsozialisten hätten die Vorstellung von einem blond gelockten, typisch deutschen Mädchen genutzt, um "den jüdischen Jesusjungen aus dem Weihnachtsfest zu eliminieren". Einseitigen Interpretation aber entziehe sich die schillernde Christkindfigur, sagt Renate Jost – ob nun als Jesuskind in der Krippe oder als Engelmädchen. Denn das Christkind sei etwas, das den Menschen helfe – etwas Positives, das ihnen Kraft gebe.
In Viechtach: Bub als Christkind unterwegs
Dieses Jahr ist im niederbayerischen Viechtach übrigens ein Bub als Christkind unterwegs. Das Christkind geht eben mit der Zeit.
VIDEO: BR24 Retro - Nürnberger Christkindlesmarkt 1962
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
Sie interessieren sich für Themen rund um Religion, Kirche, Spiritualität und ethische Fragestellungen? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter. Jeden Freitag die wichtigsten Meldungen der Woche direkt in Ihr Postfach. Hier geht's zur Anmeldung.