Auf den ersten Blick sieht alles aus wie vorher: Über einer Fassade aus Glas und rostfarbenen Stahlplatten erhebt sich ein stufenförmig gestaffelter Baukörper, der Großteil der Archäologischen Staatssammlung liegt nach wie vor unter der Erde. Damit haben die Architekten des spanischen Büros Nieto Sobejano den Charakter des ursprünglichen Museums von 1976 beibehalten. Sonst aber ist alles neu.
Der Rost an der Fassade ist frisch
Das Haus ist jetzt barrierefrei, statt Tropenhölzer gibt es einheimische Eiche, natürlich ist alles gedämmt und energietechnisch auf dem neuesten Stand. Selbst der Rost auf der Cortenstahl-Fassade ist frisch. Ganz neu ist auch ein Raum für Sonderausstellungen: 600 Quadratmeter groß, stützenfrei und unterirdisch, dank Lichtschächten trotzdem mit Tageslicht.
66 Millionen Euro hat die Sanierung gekostet, für ein im Grunde vollständig neues Museum ist das im Rahmen. Museumsdirektor Rupert Gebhard war es wichtig, aus dem reinen Fachmuseum ein Museum für alle zu machen. "Archäologie ist durchaus auch spröde" gibt der Archäologe zu. "Aber wenn man Räume schafft, die einfach schön sind und man sieht etwas, was man dann doch ganz toll findet und sagt dann, das war jetzt eine schöne Stunde, die ich hier verbracht habe, dann haben wir unsere Arbeit richtig gemacht."
Archäologie als Abenteuer
Das Foyer bietet nun Platz für Museumspädagogik und Vorträge, außerdem gibt es ein frei zugängliches Café inklusive Dachterrasse. Auch die Ausstellung wurde völlig neu konzipiert. Los geht es jetzt mit einem Rundgang "Abenteuer Archäologie": Hier wird den Besuchern vermittelt, was ein Archäologe eigentlich macht. "Saust er wie Indiana Jones in der Gegend herum und löst Rätsel oder wie gräbt er aus? Was lernt er aus den Objekten, die er findet? Und da ist die Grundlage, dass man sagt, womit beschäftigen wir uns? Wir beschäftigen uns zunächst mal mit dem Menschen", erklärt Gebhard.
Der Zeitraum reicht von den ersten Menschen in Bayern vor 140.000 Jahren bis in die jüngste Vergangenheit. Bei Ausgrabungen am Münchner Marienhof entdeckte man beispielsweise den Keller des 1945 zerbombten Cafés Deistler. Während manche Porzellantasse aussieht wie neu, ist von den Spitzendeckchen nichts mehr übrig – organische Materialien wie Papier, Holz oder Textilien zersetzen sich schnell, außer sie liegen luftdicht abgeschlossen unter Wasser.
Absolute Seltenheit hat zum Beispiel ein 2.600 Jahre alter Spaten aus Holz oder auch ein Messer mit so einem ergonomisch geschwungenen Griff, als habe es Luigi Colani persönlich entworfen: Steinklinge und Holzgriff wurden mit Birkenpech zusammengeklebt. "Das Objekt ist über 5.000 Jahre alt, und man hat im Prinzip schon eine perfekte Form, mit der man heute in einem Designmuseum reüssieren könnte."
Museumsbesuch: Altes auf moderne Art entdecken
Comics an den Wänden lassen die Geschichten hinter den Objekten lebendig werden und erleichtern den Zugang zum Thema. Für alle, die mehr wissen wollen, gibt es QR-Codes an den Vitrinen, über die man weitere Informationen abrufen kann.
Sehr erfrischend ist ein Raum, in dem die Objekte mal nicht chronologisch geordnet, sondern querbeet durch die Zeiten liegen – und zwar wortwörtlich. Der Boden ist hier aus Glas, sodass man die Funde unter den eigenen Füßen sehen kann: Knochenabfälle aus einer Metzgerei bei Augsburg aus dem 1. Jahrtausend nach Christus zum Beispiel, oder eine Reihe gleichförmiger Kruzifixe aus dem frühen 19. Jahrhundert, ein Beispiel früher Serienproduktion von Sargverzierungen vom Winthir-Friedhof in München-Neuhausen.
Gräber als wichtiges Archäologie-Feld
Apropos Friedhof: Manche Räume haben im Museum jetzt eine Triggerwarnung: "Das ist ein Raum, der manchen befremdlich vorkommt, weil menschliche Skelettreste ausgestellt sind. Aber der tote Mensch ist ein zentrales Beschäftigungselement des Archäologen. Wenn ein Archäologe ein Grab ausgräbt, kommt er den Menschen so nah wie nirgendwo sonst, also sie berühren seine Knochen."
Eine Hockerbestattung aus der Jungsteinzeit zeigt das Skelett mit angezogenen Beinen wie ein Embryo. Laut Direktor Rupert Gebhard steht hier die Idee Pate, dass der Tote dorthin geht, wo er herkommt. Ein besonderer Hingucker ist eine Moorleiche aus Peiting: Ihre Lederstiefel haben sich im Moor so gut erhalten, dass sie fast wie neu aussehen.
Von Recycling bis Globalisierung: Viele Themen sind topaktuell
20 Millionen Objekte gehören zur Archäologischen Staatssammlung München, 15.000 davon sind ausgestellt. Immer wieder stolpert man beim Rundgang über brandaktuelle Themen. Recycling etwa war schon vor Jahrhunderten gelebte Normalität, selbst preiswertes Eisen wurde gesammelt und wiederverwendet.
Immer wieder zeigt sich, Vergangenheit und Gegenwart gehen nahtlos ineinander über. Und: Die Vergangenheit endet nicht. Das zeigt auch ein Fund aus Allach, ein Ensemble aus Revolver, Hakenkreuz-Abzeichen und einem verrosteten Reliefbild von Adolf Hitler. "Nach dem Krieg gab es in Allach ganz viele Bombentrichter", erzählt Rupert Gebhard, "und ein Bombentrichter hatte eben ganz unten rein versteckt offensichtlich die persönliche Ausstattung eines Parteimitglieds. Was ein schönes Beispiel dafür ist: Geschichte kann man nicht vergessen machen dadurch, dass man sie vergräbt. Also ich kann mich meiner Geschichte nicht entledigen. Wenn ich Pech habe, kommt ein Archäologe und deckt die wieder auf."
Ab Mittwoch, 17. April, ist die Archäologische Staatssammlung München für Publikum geöffnet.
Zum Nachhören: Die Archäologische Staatssammlung in München öffnet nach jahrelangen Sanierungsarbeiten wieder
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