Das "Nie wieder" hat sich Ernst Grube, geboren 1932 in München, zur Lebensaufgabe gemacht. Er besucht viele Schulen in Bayern, um dort über den Nationalsozialismus zu sprechen – und über die eigene Biographie. Mit viel Glück überlebte er – Kind einer jüdischen Mutter – den Holocaust. Die Comic-Biographie von Hannah Brinkmann entstand auf Anregung des Münchner NS-Dokumentationszentrums, wo Ernst Grube immer wieder bei Zeitzeugen-Gesprächen zu Gast ist.
Der couragierte Vater als Lebensretter
Mit einem klaren "Nein" hat der Münchner Malermeister Franz Grube seiner Frau und den drei Kindern das Leben gerettet. Beständig wurde er von den nationalsozialistischen Behörden bedrängt, sich von seiner jüdischen Frau Clementine scheiden zu lassen. Franz Grube, voller Courage, weigerte sich beharrlich, nahm alle denkbaren Repressalien in Kauf. Seine Frau und die drei Kinder, darunter Ernst, wurden erst Anfang 1945 aus München nach Theresienstadt deportiert und dort dann von der Roten Armee befreit.
Das sei ein wichtiger Punkt in der Biographie, sagt die heute in Berlin lebende Comic-Künstlerin Hannah Brinkmann. "Aber auch der Konflikt, in dem diese Eltern stehen – er als Nichtjude und sie als Jüdin. Und wie schwer der Lebensalltag für die beiden war, in dieser Zeit."
Die systematische Entrechtung der Juden
Hannah Brinkmann erzählt die Geschichte der Kindheit und Jugend von Ernst Grube in eindrücklichen Bildern, allesamt mit Bleistift gezeichnet und koloriert. Sie entstanden auf der Grundlage von vielen Begegnungen und Gesprächen. Zwischen den biographischen Szenen, die in ein jüdisches Kinderheim in München, aber auch in Sammellager und nach Theresienstadt führen: die deutschen Gesetzeserlasse zur systematischen Entrechtung der Juden, bebildert mit kantigen Linolschnitten auf rotem Grund, unter anderem die Grafik des Expressionismus zitierend.
"Das Menschenverachtende, Antisemitische, Diskriminierende war von Anfang an in den Erlassen und Gesetzen da", erinnert Hannah Brinkmann. "Und jeder, der sich damit beschäftigt hat, jeder, der in dem System gelebt hat, hätte das sehen können. Da gibt es kein: 'Wir wussten das nicht.' Das war alles öffentlich."
Der NS-Richter und Karrierist Kurt Weber
Das umfangreiche Comic-Buch "Zeit heilt keine Wunden" verbindet die Lebensgeschichte von Ernst Grube mit der des Juristen Kurt Weber. Die beiden sind sich 1959 vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe begegnet: Weber – im Nationalsozialismus ein Karrierist ohne jeden Skrupel, NSDAP-Mitglied, nach 1945 weißgewaschen – verurteilte Ernst Grube wegen seiner Tätigkeit in der KPD und dem westlichen Ableger der DDR-Jugendorganisation FDJ zu einer einjährigen Haftstrafe.
Für Hannah Brinkmann ist der Jurist ein Symbolbild für jemanden, der im System einfach funktioniert habe. "Dadurch, dass er ein Opportunist und Karrierist ist, bleibt er ein Rädchen im System und hält es aufrecht. Er entscheidet sich immer weiter dagegen, in der Opposition zu sein. Diese Ambivalenz fand ich sehr spannend herauszuarbeiten. Weil er nicht der klassische Nazi ist, aber trotzdem Teil des Systems bleibt."
Ein Mensch mit Macht, der für nichts steht
Die Lebensgeschichten von Ernst Grube und Kurt Weber erzählt Hannah Brinkmann in zwei eigenen Kapiteln, das eine, über Grube, bunt, das andere bleistiftgrau. Ein drittes Kapitel, über die Jahre in der jungen Bundesrepublik, führt die Biographien dann zusammen. Für einzelne Sequenzen hat Hannah Brinkmann tolle symbolische Bilder gefunden. Man sieht Kurt Weber etwa beim Spruchkammer-Verfahren, bei dem er die eigene Verstrickung in den NS kleinredet. Plötzlich ist er eine russische Holzpuppe, eine Matrjoschka.
Während der Recherchen habe sie gedacht, sie komme näher an die Figur Kurt Weber heran, erzählt Hannah Brinkmann. "Aber am Ende blieb es doch das gleiche Bild. Und das war für mich diese Puppe, diese Matrjoschka. Man macht sie auf und es bleibt immer die gleiche Puppe, sie wird nur kleiner. Am Ende ist es jemand, der für nichts wirklich steht."
Aufstehen gegen die Wunden
Man versteht, wie sehr Ernst Grube die die eigene Geschichte verschweigende Gesellschaft im Adenauer-Deutschland ein Dorn im Auge sein musste. Er engagierte sich gegen die Wiederbewaffnung, später machte er offensiv die braunen Kontinuitäten in den Behörden zum Thema. "Zeit heilt keine Wunden", der Titel von Hannah Brinkmanns eindrucksvollem Comic-Buch, stammt von Ernst Grube. Er hat sich mit dieser Erkenntnis nicht arrangiert. Er steht immer wieder dagegen auf.
Hannah Brinkmanns Comic "Zeit heilt keine Wunden. Das Leben des Ernst Grube" ist im Berliner Avant-Verlag erschienen. Am 21. November wird das Buch im NS-Dokumentationszentrum vorgestellt, mit Ernst Grube und Hannah Brinkmann.
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