"Amerika hat uns ein nie dagewesenes, machtvolles Mandat gegeben. Wow" - Donald Trump bei seiner "acceptance speech" am frühen Morgen nach der Wahl. Wird er jetzt zum Totengräber der Demokratie? BR24 hat für das neue "Possoch klärt" mit dem Professor für Vergleichendes Verfassungsrecht an der Washington and Lee University in Virginia, Russell Miller, gesprochen. Er kennt das deutsche und das US-amerikanische System genau und findet: Die Deutschen haben einfach zu viel Angst.
BR24: Waren das die letzten demokratischen Wahlen in den USA?
Russell Miller: Ich kann sehr gut verstehen, warum man so eine Frage jetzt stellt. Aber es ist eine seltsame und nicht sehr begründete Frage. Vor allem muss man betonen, dass der Sieg von Donald Trump ein demokratischer Sieg war. Man muss das verstehen als ein Zeichen der Wirksamkeit unserer Demokratie. Das war ein sehr entscheidender, klarer, demokratischer Sieg. Und das jetzt als Zeichen zu sehen, dass unsere Demokratie stirbt, passt eigentlich nicht als Lehre, die wir daraus ziehen können.
Wird das "Project 2025" nun Realität?
BR24: Trumps Agenda ist das "Project 2025", ein 900-Seiten-Manifest zum Umbau des politischen Systems in den USA. Woran kann man erkennen, dass es die neue Regierung wirklich ernst damit meint?
Miller: Ich konzentriere mich da hauptsächlich auf die Ernennung von Kabinettsposten. Da muss man schauen: Wie radikal sind diese Posten besetzt, wie werden sie ihre Macht ausüben? Und der Testfall könnte hauptsächlich das Justizministerium sein: Wie loyal Trump gegenüber wird der neue Attorney General sein? Das wird die erste Prüfung für das "Project 2025", glaube ich.
BR24: Warum ist der Posten des Attorney Generals so wichtig?
Miller: Das sollte jeder Deutsche klar verstehen: Das Justizministerium ist eine Schlüssel-Institution für die Rechtsstaatlichkeit. Dafür müssen Gesetze durchgesetzt werden und das ist die Hauptverantwortung des Attorney Generals. Das heißt, Trump könnte so wirklich neue Gesetze durchsetzen und anwenden.
BR24: Das klingt aber doch so, als könnte Trump schalten und walten, wie er will?
Miller: Es gibt bei uns Grenzen seiner Macht. Eine wäre zum Beispiel die unabhängige Gerichtsbarkeit, unabhängige Gerichte. Sein gesamtes politisches Programm wird ohne Frage von Gerichten geprüft werden. Es ist in den USA nicht so, wie das in Ungarn der Fall ist oder früher in Polen der Fall war, dass auch die Gerichte in der Hand einer Person oder Partei liegen. Das wäre also eine Grenze.
Aber die vielleicht letzte große Rettungshoffnung ist unser tiefgehender Föderalismus. Die Macht, zu regieren in Amerika, ist geteilt, ganz klar und mit klarer Linie zwischen Bund und Bundesstaaten. Der Föderalismus sichert, dass nicht alle Macht der Regierung in einem Mann oder in den Händen einer Partei liegt, das ist geteilt zwischen Bund und Bundesstaaten.
Im Video: Ende der Demokratie: Wie will Trump die USA umbauen? Possoch klärt!
"Die USA haben eine starke demokratische Tradition"
BR24: Aus Ihrer Sicht war dann also auch die Sorge vor einer zweiten Trump-Präsidentschaft unbegründet?
Miller: Die USA haben eine gute und starke demokratische Tradition mit guten Institutionen. Unsere Verfassungsordnung basiert auf dem Misstrauen der Macht, darauf ist die amerikanische Geschichte orientiert, auf die Entmachtung der Regierung und in diesem Sinn gibt es Gründe zu hoffen, dass es jetzt nicht das Allerschlimmste sein muss.
"Wir reden kulturell aneinander vorbei"
BR24: Es geht ja nicht nur um die nächsten vier Jahre Trump, sondern auch um sein Vermächtnis, sollte er weitere Richterinnen und Richter auf Lebenszeit an den Supreme Court berufen, prägt Trump die Justiz in den USA auf Jahrzehnte.
Miller: Ich glaube, wir reden da kulturell aneinander vorbei. Das ist wohl in Deutschland begründet, dass man an der Stabilität der Institutionen zweifeln und die Gefahr einer rohen, offenen Demokratie sehen muss. Ich verstehe das gut. Aber das ist nicht die Kultur der Amerikaner. Das hier ist einfach eine rohe, eine offene, volksnahe Demokratie. Das heißt, wir sollten daran denken, wie man gute (Gegen-)Politik machen kann, ohne dass man versucht, institutionell eine politische Bewegung auszugrenzen. Das führt dann zum Misstrauen gegenüber dem Staat.
BR24: Der Deutsche hat Angst vor der Diktatur, der Amerikaner nicht?
Miller: Ja, das stimmt.
BR24: Kurz vor der Wahl machte ein Bericht die Runde, nach dem Trump gesagt haben soll, er wünsche sich Generäle wie Hitler [externer Link] sie hatte.
Miller: Das ist ein gutes Beispiel: Es ist eine gute Frage, ob wir solche Generäle haben, die das alles so mitmachen würden. Die Welt bewundert uns für die Professionalität und Verfassungstreue unseres Militärs. Ich sehe keinen Beweis, dass das wackelt. Ich bewundere Ungarn und Polen, aber die beiden Länder hatten vielleicht keine solche Demokratie-Tradition wie wir. Also zu glauben, dass innerhalb ein paar Wahlkampagnen die amerikanische Demokratie schon auf die Knie geht, finde ich übertrieben.
BR24: Danke für das Gespräch.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!