Bettina Walter klappt ihren Briefkasten auf und schaut hinein. Viel erhofft sie sich nicht. Oft sei da nichts drin, erklärt sie. Sie hat sich beim Bayerischen Rundfunk gemeldet, weil sie am Service der Deutschen Post schier verzweifelt, wie sie selbst sagt. Einmal habe sie auf einen Brief von der Bank über eine Woche warten müssen. Auch andere Sendungen kamen ähnlich spät. Irgendwann fing sie an, Buch zu führen. Ergebnis: Briefpost wird bei ihr laut eigener Zählung im Durchschnitt nur noch ein bis zweimal pro Woche zugestellt. Pakete werden demnach deutlich öfter ausgeliefert.
Bettina Walter will inzwischen auch herausgefunden haben, wo ihre Briefe liegen bleiben: in der sogenannten Zustellbasis, also dort, wo sich die Zusteller ihre Pakete und Briefe abholen. Ihre Briefträgerin habe ihr nach eigenen Aussagen erzählt, dass sie angewiesen worden sei, Briefpost liegenzulassen, wenn zu viel zu tun sei, um erst einmal Päckchen und Pakete auszuliefern.
Post bestätigt: Pakete haben Vorrang
Ob das so wirklich stimmt, ist nicht leicht zu überprüfen. Die Zustellerin würde ihren Job riskieren, wenn sie gegenüber Journalisten ihre Aussage wiederholen würde. Also schicken wir eine Anfrage an die Pressestelle der Post, um zu erfahren, ob es wirklich Strategie ist, Pakete derart zu priorisieren, und notfalls die Briefpost liegenzulassen. Die Antwort der Pressesprecherin kommt schriftlich und überraschend unverblümt: "In Einzelfällen kann es zu Kapazitätsproblemen kommen. Pakete zu lagern, die nicht zugestellt werden können, erfordert Platz, den wir in vielen Zustellstützpunkten nicht haben. Deshalb ist die Zustellung von Paketen eine betriebliche Notwendigkeit."
Oder klar gesagt: Es kann durchaus sein, dass Briefe eine Zeitlang ignoriert werden, damit die Pakete schnell hinausgehen. Fragt sich nur, ob die Post tatsächlich – wie behauptet - in "Einzelfällen" so vorgeht.
Bundesnetzagentur sagt, das Maß sei voll
Die Bundesnetzagentur hat bereits konkrete Zahlen geliefert. Als Aufsichtsbehörde der Post registriert sie genau alle Beschwerden, die bei ihr eingehen: 2023 waren es wieder in etwa genauso viele wie im Rekordjahr 2022, über 40.000. Und damals betrafen mehr als die Hälfte den Briefverkehr. Für den Präsidenten der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, ist das Maß inzwischen voll. Er droht der Post mit finanziellen Konsequenzen, sollte sich der Service nicht verbessern.
Wäre es also nicht besser, auf Briefe zu verzichten. Bettina Walter versucht das bereits. Sie mache online, was gehe, erklärt sie.
Kein Online-Banking ohne Briefpost
Leider geht aber noch immer einiges nicht ohne Brief. Banken zum Beispiel verschicken häufig gleich zwei Couverts, in einem steckt die neue Bankkarte, im anderen die dazugehörige Geheimzahl. Und wer Online-Banking einrichten will, ist zunächst ebenfalls auf die Briefpost angewiesen. Um das elektronische Konto zum Laufen zu bringen, braucht man einen Aktivierungscode und der kommt … richtig, per Briefpost!
Ganz ähnlich ist das bei der Steuer. Es ist zwar inzwischen vollkommen üblich, die Steuererklärung mithilfe des Online-Programms "Elster" zu erledigen. Firmen und Freiberufler können mittlerweile sogar ihre Belege in PDF-Form hochladen. Das Verfahren dabei ist vielleicht nicht ganz trivial. Günther Helmhagen, Vizepräsident der Steuerberaterkammer München sagt aber, das könne man schon schaffen. Hört sich aber auch ein wenig so an, als ob der bequemere Weg, Rechnungen und Kassenzettel dem Finanzamt zukommen zu lassen, vorerst der per Post bleibt.
Und noch etwas: Bei Elster braucht man zwar keine klassische Unterschrift mehr, um sich im Programm anfangs zu authentifizieren, benötigt man allerdings einen entsprechenden Code. Auch den bringt der Briefträger.
Briefe sind noch immer der beste Beweis
Ferner ist das Blatt Papier in einem Briefumschlag in vielen Situationen noch immer die beste Methode, um sich abzusichern. Sei es die Kündigung eines Mietvertrages oder des Arbeitsverhältnisses, am besten verschickt man das per Einschreiben mit Rückschein. Eine E-Mail reicht hier im Zweifelsfall nicht, um vor Gericht zu belegen, dass man das Dokument ja fristgerecht auf den Weg gebracht hat. Es hilft auch nicht, eine Sende- und Empfangsbestätigung zu aktivieren, wie Jutta Gerhards von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz erklärt. Solche Mail-Bestätigungen könnten zu leicht manipuliert und gefälscht werden. Was jedoch ginge, wäre Fax – aber wer hat das noch?
Jutta Gerhards nennt noch eine weitere Spielart der guten alten Dokumentenpost. Auch bei Verbraucherdarlehen werden Papiere verschickt. Die Verträge müssten bei Krediten über 200 Euro und bei mehr als drei Raten zwingend in Briefform versendet werden, so die Verbraucherschützerin.
Postreform soll umsteuern
Im Moment arbeitet die Bundesregierung an einer Reform des Postgesetzes. Dabei sollen die noch aus den 1990er-Jahren stammenden Regeln an das Internetzeitalter angepasst werden. Vorgesehen ist, dass die Post für die Briefzustellung mehr Zeit bekommen soll. Bisher müssen 80 Prozent der eingeworfenen Briefe am nächsten Werktag zugestellt werden, am übernächsten Werktag 95 Prozent. Die Gesetzes-Neuerung sieht – in ihrer bisherigen Version - vor, dass es künftig erst nach drei Tagen einen Mindestwert gibt, nämlich 95 Prozent. Am vierten Werktag sollen dann 99 Prozent der Briefe ihren Empfänger erreichen. Die Briefe können also langsamer transportiert werden, sollen dafür aber zuverlässiger ankommen.
Bezweckt wird ein Umsteuern. Im Gesetzentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums heißt es, dass der Wandel der Bedeutung des Briefes eine Modernisierung des alten Postrechts erforderlich machen würde. Anders gesagt: Briefe sind im Internetzeitalter nicht mehr so wichtig.
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