"Das größte Problem ist die Unzuverlässigkeit" - sagt Theodor Pischke, Autor der Zeitschrift "Finanztest". In seiner Redaktion hatten sich zahlreiche Beschwerden angesammelt. Pischke ging den Hilferufen verärgerter Post-Kundinnen und -Kunden nach.
Ergebnis: Immer wieder waren Briefe viel länger unterwegs, als sie es eigentlich sollten. In der Post-Universaldienstleistungsverordnung steht, dass 80 Prozent der Briefe am nächsten und 95 Prozent bis zum übernächsten Tag ankommen müssen. Pischkes Recherchen ergaben reihenweise Fälle, in denen nach zwei Tagen noch nichts angekommen war. Oft dauerte es fünf, sechs Tage oder noch länger.
Die Betroffenen konnten anhand von Briefankündigungen, die man sich per E-Mail zuschicken lassen kann, nachvollziehen, dass ihre Post im Prinzip unterwegs war, aber irgendwo feststeckte. Auch in Bayern gab es Berichte über unzuverlässige Briefzustellungen. Doch wo hakt es? Eine Spurensuche.
Besuch im Münchner Postverteilzentrum
Wer die große, einstige Pakethalle der Post in München betritt, fühlt sich schlagartig ins vergangene Jahrhundert zurückversetzt. Dieses riesige, gewölbeartige Gebäude stammt aus den 1960er-Jahren. Als die Halle 1969 fertiggestellt wurde, war sie mit fast 150 Metern Spannweite und knapp 30 Metern Höhe die weltweit größte ihrer Art. Anfangs fuhren noch Züge in die Halle, um die Pakete bequemer abladen zu können.
Ende der 90er-Jahre wurde die Paketverteilung dann nach Aschheim an den Rand von München verlegt. Die Züge verschwanden aus der Halle. Seitdem werden hier nur noch Briefe und kleine Päckchen – beziehungsweise "warentragende Sendungen", wie es hier heißt - sortiert und weitergeleitet. Noch, denn die Briefverteilung wandert demnächst ebenfalls an den Stadtrand.
Vieles ist Fließbandarbeit
Ein paar Wochen noch läuft hier aber alles wie gewohnt. Um den immensen Wust von Sendungen, die aus Kisten auf Transportbänder geschüttet werden, in den Griff zu bekommen, braucht es erst einmal Handarbeit. Noch immer stehen viele Menschen an Förderbändern und sortieren die Briefe und Päckchen nach Größe. Auch Sendungen, bei denen die Briefmarken noch nicht abgestempelt sind, werden per Hand herausgefischt und zum Stempeln weitergeleitet. Das alles ist klassische Fließbandarbeit.
Erst, wenn die Briefe richtig sortiert sind, kommt Technik zum Zug. An einer der nächsten Stationen erfassen Scanner die Adressen und wandeln sie in einen orangefarbenen Strichcode um, der kaum sichtbar am unteren Rand eines jeden Briefes aufgesprüht wird. Der Code wird für die automatische Sortierung gebraucht, von der gleich noch die Rede sein wird.
Wird eine Adresse nicht erkannt, landen die Scans auf Bildschirmen von Mitarbeitenden in einem Büro am Rand der Halle. Dort, im sogenannten "Videocodierraum", müssen die Empfänger einzeln entziffert und ins System eingetippt werden. Hoch konzentrierte Akkord-Bildschirmarbeit. Auch diese Briefe erhalten dann ihren Strichcode. Alle so markierten Sendungen kommen nun in die großen Sortieranlagen.
Hier zündet die Post den Brief-Turbo
Diese Sortieranlagen sind beeindruckende Riesen. An ihren Seiten reihen sich auf zwei Etagen jeweils 128 Fächer aneinander. Im Inneren werden die Briefe auf mehr als vier Meter pro Sekunde beschleunigt und schießen, schneller als man mit den Augen folgen kann, ins richtige Fach. Die Nummer 19 steht beispielsweise für Schwerin, die 25 für Elmshorn und die 80 für München.
Die Maschinen "wissen" dabei nicht nur, in welches Briefzentrum eine Sendung muss, sondern auch, welcher Briefträger sie bekommen wird und ob der Empfänger bei dessen Route am Anfang oder am Ende dran ist. Die Zusteller bekommen alle Briefe derart vorsortiert übergeben. Die Post ist also - zum überwiegenden Teil zumindest - vom gelben Briefkasten, in den man seine Sendung einwirft, bis hin zur einzelnen Haus-Adresse digital durchstrukturiert.
Künftig wird alles noch automatischer
Sieben solcher Sortiermaschinen gibt es hier in der Münchner Halle. Demnächst werden diese Riesen allerdings abgebaut, wie Christian Schuch erklärt. Er soll den Umzug als Projektleiter organisieren. Die Post verlegt ihr Briefzentrum an den Stadtrand nach Germering. Dort wird auch gleich noch das Briefzentrum von Starnberg mit untergebracht.
Der Umzug ist eine kniffelige Sache. Die Maschinen müssen nacheinander abgebaut werden, sodass der Betrieb in München langsam ausläuft, während am neuen Standort die Sortierarbeit sukzessive übernommen wird. Die Post für und aus München soll ja auf keinen Fall stillstehen.
Handarbeit lässt sich nicht ganz ersetzen
In Germering wird eine noch modernere Multiformat-Sortiermaschine zum Einsatz kommen. Dadurch soll auch das Ordnen der Briefe nach Größe zumindest teilweise überflüssig werden. Der Umzug geht also einher mit einer weiteren technischen Aufrüstung. Und die Automatisierung wird danach wohl immer weiter voranschreiten.
Trotzdem kann sich Schuch nicht vorstellen, dass in den Verteilzentren irgendwann keine Menschen mehr arbeiten werden. Roboter sind für die kleinen Briefe auf absehbare Zeit keine Lösung. An den Tastsinn und die Fingerfertigkeit von Menschen reichen sie einfach noch lange nicht heran. Außerdem müssten die Maschinen ja von jemandem bedient werden, so Schuch.
Eine Million Briefe am Tag
Der Eindruck nach dem Besuch des Münchner Postzentrums: Hier sind alle Abläufe auf Effizienz getrimmt. Eine Million Briefe durchlaufen so tagtäglich die große Halle. Normalerweise sei ein Brief zwei Stunden nach seiner Ankunft wieder draußen, sagt Schuch.
Die Arbeit läuft in drei Schichten rund um die Uhr. Auch am Wochenende. Am Sonntag sortiert das Münchner Briefzentrum für kleinere Verteilzentren mit, wie zum Beispiel Rosenheim oder Kempten, wo nicht gearbeitet wird. Somit sollte auch in diesen Landkreisen nichts ins Stocken kommen.
Gleichzeitig sorgt die Digitalisierung in allen Briefzentren für Tempo – denn die großen Turbo-Maschinen stehen nicht nur in München. Wie aber kommen dann die Verspätungen und Ausfälle zustande, über die sich bei der Finanztest-Redaktion so viele Menschen beschwert haben?
Briefträger und Paketkurier in Personalunion
Um 9.45 Uhr morgens lädt Stefan Knappich, Fahrer in der Zustellbasis Weilheim, seine letzten Pakete ins Auto. Das sei mit den vielen Kartons so ein bisschen wie Tetris spielen. Nichts darf wackeln oder verrutschen, und es muss immer genau jenes Paket vor der Türe auftauchen, das als nächstes abgeliefert werden soll. So eine Ladung richtig zusammenzubauen, erfordert Geschick und Übung. Zumal wenn es Richtung Weihnachten geht und die Pakete immer mehr werden - und oft auch größer. Nur bitte keinen Hometrainer!
Jedes Paket, das Knappich in seinen Transporter legt, scannt er anhand eines aufgeklebten Barcodes ab. Mit einem kurzen "Düdeldüd" ist es erfasst, nun weiß das Post-System, dass die Sendung auf der letzten Station zum Empfänger unterwegs ist. Bevor es losgeht, werden noch zwei Plastikbehälter mit vorsortierten Briefen auf den Beifahrersitz gestellt. Denn Knappich ist nicht nur Paketzusteller, sondern auch Briefträger. "Verbundzustellung" nennt sich das im Postler-Sprech. Diese Kombination gibt es vor allem in ländlichen Gegenden immer öfter.
Viele Sendungen werden nur noch abgelegt
Das wichtigste Utensil für die Tour ist der Handscanner. Im Prinzip sieht das Gerät aus wie ein etwas klobigeres Smartphone. Jeder, der schon Pakete zu Hause bekommen hat, kennt das. Man muss den Empfang mit einer Unterschrift auf dem Display quittieren. Möglich ist aber auch, dass man einen Ablageort angibt. Das können Kunden von sich aus per E-Mail beantragen.
Die Zusteller können es aber auch bei den Kunden erfragen und dann in den Scanner eintippen. Knappich hat zu Beginn seiner Tätigkeit vor ein paar Jahren überall gefragt. Deshalb muss er nun auf seiner Rundfahrt oft noch nicht einmal mehr klingeln - die Kundschaft kann nämlich auch im System hinterlegen, dass das Paket sofort abgelegt werden darf.
Die Tour ist trotzdem beschwerlich, denn das Wetter ist schlecht. Knappich muss aufpassen, dass der Regen die Briefe nicht durchweicht. Er selbst ist nach kurzer Zeit ziemlich nass. Bepackt mit Kartons, Briefen, Zeitungen und Werbeflyern jongliert er durch Vorgärten, zu Carports oder in Gartenhäuschen.
Rund sieben Stunden dauert seine Tour. Erst um 17 Uhr ist er wieder zurück in Weilheim in der Zustellbasis. Alle Pakete wurden abgeliefert. Nur ein paar Briefe musste er wieder mitnehmen. Hier sind die Empfänger verzogen. Knappich hat jetzt einen Neun-Stunden-Tag hinter sich und ist zufrieden. Alles habe geklappt, er sei an der frischen Luft gewesen und die Leute hätten sich gefreut, ihn zu sehen. Er steckt seinen Scanner in die Ladestation, damit der am nächsten Tag wieder einsatzbereit ist.
Wo der Brief gerade liegt, ist nicht nachvollziehbar
Das Hauptaugenmerk bei der Verbundzustellung liegt, wie Knappichs Tour zeigt, auf den Paketen. Sie werden beim Einladen einzeln abgescannt, und wenn sie beim Empfänger abgegeben werden, noch einmal. Die Digitalisierung sorgt hier für eine fast lückenlose Nachverfolgbarkeit. Die Kundschaft kann sich genau anzeigen lassen, wo das Paket gerade ist und auch wie lange es in etwa noch dauert, bis es ankommt.
Die Kisten mit den Briefen werden dagegen nicht erfasst. Ob sich ein Brief also noch in der Zustellbasis befindet, bereits im Auto, oder ob er sogar schon abgeliefert worden ist, weiß das Post-System nicht. Wo Briefe möglicherweise feststecken, lässt sich also gar nicht genau nachvollziehen. Briefe heißen bei der Post nicht umsonst "nichtnachverfolgbare Sendungen".
Und so erklärt sich, warum nicht so richtig klar ist, ob die Post ihre Vorgaben nun erfüllt oder nicht. Eine systematische und automatische Erfassung aller Brief-Laufzeiten durch das System gibt es nicht – auch wenn das wahrscheinlich anhand der aufgedruckten Strichcodes auf den Kuverts durchaus möglich wäre.
Die Beschwerden bei der Verbraucherzentrale spiegeln allerdings auch kein Gesamtbild wider. Redakteur Pischke räumt ein, dass man keine repräsentative Studie durchgeführt habe, sondern nur den Einzelfällen nachgegangen sei. Insofern kann sich die Post darauf berufen, dass diese zitierten Beschwerdefälle – auch wenn es Hunderte waren – eben zu jenen paar Prozent gehören, die ja laut Gesetz erlaubt sind. Zwar hat die Zahl der Beschwerden bei der zuständigen Bundesnetzagentur in den vergangenen Jahren tatsächlich zugenommen. Bei der Post betont man allerdings, dass die Anzahl der Problemfälle im Vergleich zu den Milliarden von Sendungen pro Jahr im Promillebereich liege.
Briefe werden immer weniger
Klar ist, der Schwerpunkt der Post verschiebt sich – und das nicht erst seit gestern. "Die Briefmengen gehen seit Jahren zurück, allein im Vergleich zum Vorjahr um 6,1 Prozent. Kamen im Jahr 2010 in Deutschland noch 21 Briefe auf ein Paket, so werden es 2025 voraussichtlich nur noch fünf Briefe in Relation zu einem Paket sein", erklärt Postsprecherin Sonja Radojicic. Auch das ist eine Folge der Digitalisierung, die die Post verändert: Die Menschen schreiben weniger Briefe und lassen sich dafür mehr Waren ins Haus kommen. Darauf muss sich die Post einstellen.
Aufpreis für mehr Zuverlässigkeit
Wer noch immer den Brief einer E-Mail oder WhatsApp vorzieht, kann gegen einen Aufpreis mehr Tempo beim Brieftransport kaufen. Wobei das so nicht ganz stimmt. Richtig ist: Er oder sie kann für zusätzliche 1,10 Euro mit dem sogenannten "Prio-Brief" lediglich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass dieser Brief am nächsten oder übernächsten Tag ankommt – oder wann auch immer. Und wie hoch das so erworbene Wahrscheinlichkeit-Plus ist, erfährt man auch nicht.
Und trotzdem dürften bald mehr Menschen nach diesem lottierielosähnlichen Strohhalm greifen. Denn die Deutsche Post soll künftig offiziell mehr Zeit bekommen. Eine Novelle des Postgesetzes durch die Bundesregierung sieht vor, dass nur noch 95 Prozent der Standardbriefe bis zum dritten Werktag eintreffen müssen, 99 Prozent bis zum vierten Werktag. Von einer Zustellung am Folgetag ist gar keine Rede mehr.
Im Audio vom 13.12.: Bundesnetzagentur ermahnt Post wegen verspäteter Pakete
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