Immer dann, wenn die Fußball-Welt oder Fußball-Europa seine Augen auf ein großes Turnier richtet, taucht Xherdan Shaqiri auf einmal aus der Versenkung auf. Der mittlerweile 32-Jährige, der seine Vereinskarriere in den USA in Richtung Karriereende zu steuern schien, bläst plötzlich bei der EM 2024 in Deutschland wieder zur "Shaq-Attack". Am Mittwochabend in Köln sorgte der frühere FC-Bayern-Star für den nächsten Knaller und schoss sich endgültig in die Geschichtsbücher.
"Warum schießt du?": Traumtor erstaunt Sommer
In der 26. Minute hatte sich Shaqiri in die schottische Abwehr gemogelt, einen zu kurz geratenen Rückpass erlaufen und den Ball kurzerhand aus 20 Metern per Direktabnahme im linken Torwinkel versenkt. So wie sein Schweizer Teamkollege Yann Sommer dürften die meisten Fußballfans die Szene beschreiben: "Zuerst habe ich gedacht: 'Warum schießt du? Bitte nicht.'" Doch nur eine Sekunde später, als die Kugel im Netz einschlug, kam die Erkenntnis: "Es ist halt Shaq."
EM- und WM-Torserie: Shaqiri legt im Rennen mit Ronaldo vor
Sein Ausgleichstreffer zum 1:1-Endstand war enorm wichtig, für die Schweiz im Kampf um das Achtelfinale, das schon vor dem letzten Gruppenspiel gegen Deutschland (Am heutigen Sonntag, 21 Uhr in der BR24Sport-Radioreportage) so gut wie sicher ist. Obendrein war es ein historischer Kunstschuss: Xherdan Shaqiri ist nun der einzige Fußballer, der bei den vergangenen drei Europameisterschaften und drei Weltmeisterschaften mindestens ein Tor erzielte. Auch der omnipräsente Cristiano Ronaldo kommt da nicht ran, der portugiesische Rekordmann wartet noch auf einen Treffer bei der diesjährigen EURO.
Ein weiterer Beweis seiner Qualität: Der nur 1,65 Meter große, aber extrem muskulöse Linksfuß hat nun jeweils fünf Treffer bei EM und WM auf dem Konto und ist damit Teil eines illustren Kreises: Neben Ronaldo schafften dies nur Michel Platini, Jürgen Klinsmann, Zinédine Zidane, Thierry Henry und Romelu Lukaku.
Shaqiri-Show: Ein Tor schöner als das andere
Und seine Großturnier-Tore bleiben im Gedächtnis - nicht nur sein wahnsinniger Seitfallzieher aus 16 Metern bei der EM 2016 gegen Polen. Bei seinem Doppelpack gegen die Türkei bei der EURO 2020 traf er zweimal perfekt in den Winkel, einmal mit rechts und einmal mit links. Im Vorrundenspiel bei der WM 2014 gegen Honduras traf Shaqiri sogar gleich dreimal, das 1:0 knallte er dabei ebenfalls links oben ins Kreuzeck.
"Es war ja nicht das erste Mal, dass ich ein so schönes Tor geschossen habe", sagte Shaqiri am Mittwoch: "Vor allem in so Events, bei Europa- und Weltmeisterschaften, genieße ich es jedes Mal." Doch seine Leistungen polarisieren und erfordern eine sehr ambivalente Betrachtung seines Schaffens. Seine eigenwillige, impulsive und spektakuläre Spielweise hat ihn unter anderem zum FC Bayern und dem FC Liverpool geführt, wo er jeweils (wenn auch nur als Ergänzungsspieler) die Champions League gewann.
Trotz großer Titel und Top-Klubs: Karriere versandet früh
Wirklich nachhaltig überzeugen konnte Shaqiri mit Ausnahme einzelner Kunststücke und Traumtore aber nirgends. Seine Statistiken mit 180 Treffern in 498 Pflichtspielen sind ordentlich, aber eben nicht Weltklasse. "Alpen-Messi" oder "Kraftwürfel", Man of the Match oder wechselhafte Diva, die Extreme seines Schaffens lassen sich ganz gut an den von außen herangetragenen Prädikaten verdeutlichen.
Seine Darbietungen ziehen immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich, Highlight-Clips mit Traumtoren und Dribblings von ihm gibt es unzählige im Internet. Doch die Phasen zwischen diesen Momenten waren oft zu lang. Als Shaqiri im Februar 2022 (im Alter von gerade einmal 29 Jahren) zu Chicago Fire in die USA ging, galt dies bereits als seine Entscheidung für ein ausklingendes Karriereende.
MLS-Kapitel wieder beendet: und nun?
Doch nach zweieinhalb durchwachsenen Jahren in der MLS hat ihn Chicago jetzt wieder freigegeben. Angesichts seiner schwachen Form wurde seine erneute Nominierung für die EM in Deutschland sehr kritisch beurteilt. Trainer Murat Yakin will Shaqiri dosiert einsetzen und weiß um seine besonderen Fähigkeiten: Beim Auftaktsieg gegen Ungarn saß Shaqiri über 90 Minuten auf der Bank, gegen Schottland stand er plötzlich in der Startelf.
"Er hat einen linken Fuß, wie ihn nicht viele haben. Er ist kein Stürmer, kein falscher Neuner - Shaq ist einfach Shaq", erklärte Kapitän Granit Xhaka die besondere Rolle Shaqiris. Auch Schottlands Trainer Steve Clark musste anerkennen: "Wenn dort ein anderer Spieler gestanden hätte als Shaqiri, wäre es kein Tor geworden. Das sagt alles über seine Klasse aus."
Für Shaqiri ist die EM eine essenzielle Plattform, um seine Karriere noch einmal anzukurbeln. Er will im Sommer wieder zurück nach Europa kommen. Er ist schließlich immer noch erst 32 Jahre alt, die nächste WM 2026 in den USA, Mexiko und Kanada ist auf jeden Fall noch drin. Und was dort passiert, kann sich jeder Fußball-Fan selbst ausrechnen.
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