Der ukrainische Präsident Selenskyj  mit gesenktem Kopf vor einer zerbombten Kirche
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Ist die Ukraine jetzt verloren?

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Friedenskonferenz: Keine Lösung mehr im Ukraine-Krieg?

War die Friedenskonferenz in der Schweiz erfolglos? Auf den ersten Blick scheint es so. Zwar haben sich dort 93 Staaten getroffen, doch ohne Russland. Kann Diplomatie etwas bewirken oder gibt es keine Lösung mehr für die Ukraine? Possoch klärt!

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

Nicole Deitelhoff, Politikwissenschaftlerin und Konfliktforscherin ist sich sicher: Dieser Krieg werde noch lange dauern, und es werde viele Verhandlungen geben müssen, bis ein Frieden für die Ukraine möglich ist, sagt Deitelhoff im BR24-Interview für das neue "Possoch klärt" (Video oben, Link unten).

Das sei ein Prozess, der vielen kleinen Schritte. Die Geschichte zeige, "wenn die Gewalt schon einmal losgebrochen ist, und dann auch Gräueltaten wie in diesem Konflikt geschehen sind, ist es sehr, sehr schwierig, zurückzufinden. Deswegen ist es ein mühsamer Prozess. Das heißt, wir müssen damit rechnen, dass es geraume Zeit dauern wird, dass auch viele Initiativen scheitern werden, bevor eine gelingen kann".

"Es braucht ein militärisches Patt"

Laut Deitelhoff gibt es in diesem Konflikt zwei Zeitpunkte, an denen Friedensvereinbarungen Erfolgsaussichten böten. Der erste sei zum Anfang des Krieges gewesen, wenn man sozusagen feststellt, dass man die militärische Kraft des Gegners unterschätzt hat. Der andere Zeitpunkt erst dann, wenn sich eine militärische Situation einstellt, in der aus Sicht beider Konfliktparteien der Krieg nicht mehr militärisch zu gewinnen ist, sondern beide Länder nur noch Kosten davontragen und davon mürbe werden.

"Das nennen wir ein wechselseitig verletzendes Patt. Diese Situation erzeugt dann hoffentlich auch über Zeit ein Gefühl bei beiden Seiten, dass eine Verhandlungslösung möglich ist. Da sind wir noch nicht – leider." Nicole Deitelhoff, Leiterin des Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung (PRIF)
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Nicole Deitelhoff, Leiterin des Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung

Im Video: Keine Lösung mehr für die Ukraine? Possoch klärt:

Militärische Unterstützung als Weg zum Frieden?

Im Friedensgutachten 2024 (externer Link), das im Juni erschienen ist, heißt es deswegen auch ganz deutlich: "Expect the worst, prepare for the best." Also, den Frieden vorzubereiten, aber auch die militärische Unterstützung der Ukraine zu erhöhen.

"Um im Krieg in der Ukraine Verhandlungen zu ermöglichen, muss die militärische Unterstützung der Ukraine nachhaltig gewährleistet werden und steigen. Kyjiw muss zuverlässig wissen, wo die Grenzen europäischer Hilfe liegen", heißt es in dem Friedensgutachten.

Denn auch das betont Friedensforscherin Deitelhoff: Deutschland helfe der Ukraine ja nicht aus Gutmenschentum, sondern um Russland von den eigenen Grenzen entfernt zu halten. "Wenn wir uns beispielsweise entscheiden würden, die militärische Unterstützung der Ukraine einzustellen, dann müssen wir letzten Endes damit rechnen, dass Russland die Ukraine unterwerfen kann, und dann auch nach allem, was wir zuletzt von Putin gehört haben, sich die gesamte Ukraine einverleiben würde. Und dann haben wir ein hochgerüstetes und nach wie vor mit sehr starkem Expansionswillen ausgestattetes Russland direkt an den Nato-Grenzen."

Keine Verhandlung über Grenzen – es gilt die Charta der UN

Während der ukrainische Präsident Selenskyj die Friedenskonferenz in der Schweiz als Erfolg bewertet, reist Putin nach Nordkorea, um sein Bündnis gegen den Westen zu stärken.

Mit ihm zu verhandeln sei schwierig, denn dazu brauche es eine geteilte Realität, eine gemeinsame Wahrheit, und die gebe es mit Putin nicht, diagnostiziert Politikwissenschaftler Thomas Jäger.

Es gehe darum, welche Grenzen gelten. Die staatlichen von heute, oder – in Putins Kosmos - die Grenzen aus der Geschichte. Aus seiner Sicht gehöre das Land in der Ukraine eigentlich Russland, und das nehme man sich dann eben mit Gewalt.

"Friedensgipfel stärkt Ukraine den Rücken"

In der öffentlichen Meinung setzt man sich entweder an einen Tisch und verhandelt, damit der Frieden wieder hergestellt werden kann, oder eben nicht. Aus russischer Sicht ist Krieg und Verhandlung kein "Entweder-oder". Politologe Thomas Jäger: "Aus russischer Sicht heißt Verhandlung: Ihr akzeptiert unsere Bedingungen auf diesem Weg. Und wenn er sie nicht auf diesem Weg akzeptiert, dann müsste sie eben auf militärischem Weg akzeptieren. Und unter diesen Voraussetzungen sind Verhandlungen schlicht und ergreifend nicht möglich."

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Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik

Friedensverhandlung am Ende doch erfolgreich

Laut Jäger war der Friedensgipfel von Bürgenstock dann doch ein Erfolg, denn in der Erklärung sei zweimal darauf hingewiesen worden, dass die Charta der Vereinten Nationen gilt. Was bedeutet, dass die territoriale Integrität von Staaten und damit auch die der Ukraine das Ziel sein muss. "Und das ist etwas, was Russland ganz anders sieht. Insofern hat die Ukraine doch kräftig den Rücken gestärkt bekommen."

Und auch Deitelhoff ist zuversichtlich, dass in der Schweiz ein Schritt Richtung Frieden gelungen ist: Denn 80 der 92 teilnehmenden Staaten stimmten der schmalen Abschlusserklärung zu. Das bedeutet, dass diese Staaten bereit sind, sich in diesem Friedensprozess zu engagieren und zusammenzuarbeiten. Das sei auch ein Signal an die beiden Konfliktparteien: "Die internationale Staatengemeinschaft will diesen Frieden und sie ist bereit zu investieren für einen solchen Frieden."

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