Es dauerte ein wenig, bis die Rechtsexperten sich trauten, das, was da gerade am Europäischen Gerichtshof entschieden wurde, zu bewerten. Im Vorfeld des Urteilsspruchs im Verfahren zwischen Lassana Diarra und dem Weltfußballverband FIFA war von einem zweiten Fall Bosman gesprochen worden. Nun, wenige Stunden nach der Verkündung, gibt es eine klare Tendenz in der Bewertung des Urteils und diese lautet: vermutlich historisch.
EuGH-Urteil: "Ein Feiertag für die Freiheit der Athleten"
"Deutlicher hätte es nicht ausgehen können", sagt der Münchner Sportrechtsanwalt Mark-Eduard Orth im exklusiven Interview mit BR24Sport und fügt an: "Das Urteil ist ein Feiertag für die Freiheit der Athleten." Auch der Sportrechtler Antoine Duval schrieb bei "X", das Urteil sei "glasklar" und "gewaltig", es werde zu Umwälzungen kommen: "Es ist Zeit für ein neues Transfersystem der FIFA".
Diarra hatte die FIFA auf Schadensersatz verklagt, weil er seinen Vertrag bei Lokomotive Moskau gekündigt hatte und wegen der Regularien ein potenzieller neuer Arbeitgeber Abstand von einer Verpflichtung genommen hatte – aus Angst vor drastischen Sanktionen des Fußballverbandes.
Nicht nur finanzielle Strafen hatten Vereine zu befürchten, sondern auch eine Registrierungssperre für alle weiteren Spieler. Eine Praxis, die laut der Einschätzung von Experten, mit dem heutigen Tag beendet sein dürfte.
Vereinswechsel für Spieler: "Der Käfig ist aufgegangen"
Auf die Frage, ob dieses Urteil größere Auswirkungen auf das Transfersystem haben wird, antwortet Orth: "Auf jeden Fall. Die Klubs können die Spieler nicht mehr so einfach an sich binden." Besonders weniger bekannten Fußballern, die nicht unbedingt Topstar-Status genießen, werde dieses Urteil nach Ansicht von Orth zugutekommen: "Für sie ist der Käfig aufgegangen."
Man könne Spieler mit Wunsch auf einen Vereinswechsel gegen ihren Willen nicht mehr an einen Verein binden. "Der alte Verein kann den neuen nicht mehr erpressen und eine beliebige Summe aufrufen, die bezahlt werden muss, damit ein Wechsel zustande kommt."
Marktwerte der Spieler könnten drastisch fallen
Das sei vor allen Dingen die Konsequenz daraus, dass "ein alter Klub den neuen Verein eines Spielers, der den Vertrag aufgelöst hat, nicht in Haftung nehmen kann. Er kann nicht mehr verhindert, dass der Spieler für den neuen Verein spielen kann. Und die FIFA kann den neuen Klub nicht mit Schadenzahlungen in unbekannter Höhe oder Registrierungssperren sanktionieren", so Orth.
"Im Falle Diarra war der EuGH sogar davon ausgegangen, dass die Spielerseitige Kündigung ohne triftigen Grund erfolgte", sagte Orth betont aber, dass Verträge zwischen Spielern und Vereinen weiterhin Gültigkeit hätten. Allerdings könnten fortan nur noch Spieler juristisch belangt werden. Dennoch seien "die Werte der Spieler in den Büchern der Klubs durch den heutigen Tag rapide gesunken".
Internationale Stimmen: Zwischen "Revolution" und kein "Bosman 2.0"
Paul Lambertz, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Sportrecht, erklärte der dpa: "Bosman 2.0 sehe ich nicht. Die Sanktionen für den Spieler sind ja weiterhin in Ordnung, wenn Verträge ohne triftigen Grund gekündigt werden", sagte Lambertz. In England schrieb die Zeitung "Guardian" von einem wegweisenden Urteil. Die FIFA werde sich "nun ernsthaft fragen müssen, wie sie ihre Regeln in Zukunft anpassen kann, oder ob sie es überhaupt kann".
Doch nicht nur auf das Transfersystem wird dieses Urteil nach Ansicht von Orth Auswirkungen haben. Auch der Umgang mit großen, einflussreichen Sportverbänden wie der FIFA wird sich ändern: "Das Urteil war wichtig, um ein Verständnis zu schaffen: Diese Verbände unterliegen dem Gesetz."
FIFA teilt Ansicht von Experten nicht: "Rechtmäßigkeit bestätigt"
Der Weltverband FIFA teilt offiziell die Meinung der Experten nicht. Er sei davon überzeugt, "dass die Rechtmäßigkeit der wichtigsten Grundsätze des Transfersystems durch das heutige Urteil erneut bestätigt" worden sei. "Lediglich zwei Absätze von zwei Artikeln des FIFA-Reglements über den Status und den Transfer von Spielern" seien infrage gestellt worden.
Die Anwälte von Diarra betrachten das Urteil laut einer Pressemitteilung als großen Sieg, der alle Fußballer betreffen würde.
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