Beim FC Bayern München sind sie es beim Fußballspielen gewohnt zu gewinnen. Das Sieger-Gen der Münchner, das "Bayern-Gen" - wie es nicht nur Thomas Müller nennt und laut eigener Aussage in sich trägt, ist fast schon eine Selbstverständlichkeit in der deutschen Fußball-Bundesliga. Dieses Gen ergab sich auch nicht von ungefähr: Zuletzt feierten die Oberbayern elf Meisterschaften in Serie, gewannen in dieser Zeit auch zweimal die Champions League, Europas größten Vereinstitel.
Andersherum reicht eine Niederlage beim FC Bayern oft schon aus, dass es dahin ist mit der Ruhe an der Säbener Straße. Dass die ersten Gerüchte ins Kraut schießen, dass entweder die Spieler, der Manager oder der Trainer in die Kritik geraten. Dessen ist sich der Coach Thomas Tuchel auch bewusst. Der sagte in der Pressekonferenz vor der Partie gegen Union Berlin (Mittwoch, 20.30 Uhr live in der Radioreportage): "Wir müssen immer gewinnen. Wir müssen immer gewinnen. Wir müssen immer gewinnen." Dreimal also wiederholte er den Ausruf.
Tuchel hat "keine Lust mehr zu sagen, dass wir gut trainieren"
Das Ärgerliche an diesem selbstverständlichen Selbstverständnis: Tuchel hat zuletzt nicht mehr gewonnen. Am vergangenen Sonntag unterlagen die stolzen Münchner dem mittlerweile kleinen Werder Bremen 0:1, innerhalb der vergangenen fünf Bundesliga-Spiele liegt auch das 1:5 bei Eintracht Frankfurt.
Nachdem Tuchel seine Mannschaft wochenlang verteidigte, ihr gutes Training, aber schlechtere Spiele attestierte und sich diese Diskrepanz selbst nicht so recht erklären konnte, folgte am Sonntag nun eine Kehrtwende: "Ich habe auch keine Lust mehr zu sagen, dass wir gut trainieren – weil das glaubt dir ja keiner mehr. Wir müssen mal die Spieler fragen. Wir haben heute belanglos gespielt. Verdiente Niederlage", kritisierte er bei "Dazn".
FC Bayern will eigentlich einen langfristigen Trainer
Diese ungewohnte Offenheit blieb offenbar nicht folgenlos. Wie die "Bild"-Zeitung berichtet, seien einige Entscheider bei Bayern von den Aussagen des Trainers "regelrecht geschockt" gewesen. "Tuchel muss jetzt um seinen Job kämpfen!", lautet ein Satz in dem Artikel. Das hört sich alles etwas arg heftig an, nach wie erwähnt einer Niederlage. Das erste Pflichtspiel des Jahres hatte der FCB ja noch 3:0 gegen Hoffenheim gewonnen.
"Wenn ein Trainer sich nach einer Niederlage hinstellt und die Schuld nur bei den Spielern sucht, so wie es Thomas Tuchel nach dem 0:1 gegen Werder Bremen gemacht hat, dann ist das für die Spieler eine ziemliche Ohrfeige", schrieb auch Lothar Matthäus in seiner Sky-Kolumne, der seit seiner Spielerzeit ums Wohl und Wehe der Münchner bedacht ist. Matthäus gehe zwar davon aus, dass Tuchel seinen Spielern klare Anweisungen gemacht hat. Aber: "Wissen die Spieler, was er will, oder wissen sie es nicht?", fragt sich der Rekord-Nationalspieler, der sich schon im Herbst eine Privatfehde mit Tuchel lieferte. Bei der sprangen die Vereinsoberen Tuchel jedoch zur Seite.
Im Video: FCB-Niederlage gegen Bremen - die Highlights
Hoeneß bereut frühe Trennung von Julian Nagelsmann
Doch wie kommt es dazu, dass nur zehn Monate nach der Trennung von Julian Nagelsmann vielleicht tatsächlich der nächste FC-Bayern-Coach wieder kämpfen muss? Die Bayern wollten nach der Trennung von Julian Nagelsmann doch eigentlich endlich mal wieder Langfristigkeit auf der Trainerposition erreichen. Vor allem der FCB-Aufsichtsrat und Ehrenpräsident Uli Hoeneß, dessen Wort nach wie vor großes Gewicht beim FC Bayern hat, will dieses Mal nicht zu früh die Reißleine ziehen - und es dann möglicherweise wieder bereuen. Im vergangenen Oktober im BR-Stammtisch nannte Hoeneß die Trennung von Nagelsmann "nicht unbedingt klug".
Gerade das dürfte für Tuchel ein wichtiger Pluspunkt sein. Aber es türmt sich gerade eben auch ein negatives Bündel an Kräften und Themen auf, was da in diesen Tagen zusammenwirkt. Und das durchaus auch Gefahr birgt für Tuchel.
Weltklasse-Kader des FC Bayern birgt Tücken
Da ist das Naheliegende: Die Verzweiflung Tuchels erinnerte ja gar etwas an die von Nagelsmann vor einem Jahr, der nach einem 1:2 in Leverkusen gehen musste. Wie sein Vorgänger bemerkt auch Tuchel, dass dieser Weltklasse-Kader auch seine Tücken hat - und dass es eine Herkules-Aufgabe ist, alle Kicker zufriedenzustellen. Da war etwa die Sache mit den "Thomas-Müller-Spielen" und den "Nicht-Thomas-Müller-Spielen" - Letzteres war etwa das wichtige Champions-League-Duell mit Manchester City.
Da war Tuchels monatelange öffentliche Forderung am Kauf einer "Holding Six". Bei Joshua Kimmich, der im defensiven Mittelfeld spielt, kann das nicht positiv angekommen sein. "Ich bin ein Sechser", sagte er im Sommer nach einer Partie - und widersprach Tuchel damit ebenfalls öffentlich. Und da sind noch kleinere Auffälligkeiten: Als Tuchel zuletzt Leroy Sané gegen Bremen in die Defensive beorderte, winkte der Nationalspieler ab.
Bei Nagelsmann war am Ende die Rede davon, dass er an der Kabine gescheitert sei. Über Tuchel hört man so etwas nicht, im Gegenteil, er galt bei all seinen vorherigen Stationen als Spielerversteher. Doch folgenlos dürften auch diese Aussagen und Entwicklungen nicht sein. "Eigentlich muss ich doch als Trainer meine Führungsspieler stärken, wenn ich schon nicht die Spieler bekomme, die ich vielleicht gewollt hätte", kritisiert Matthäus.
Xabi Alonso und Leverkusen siegen in Bayern-Manier
Die nächste Parallele: Leverkusen. Ja, auch für Tuchel könnten die Rheinländer ein Stolperstein werden. Schließlich rütteln sie wie niemand anderes am Selbstverständnis der Münchner. Während die in der Champions League erneut als Jäger und Sammler durch die Gruppenphase marschierten, stehen sie in der Bundesliga aktuell sieben Zähler hinter Bayer Leverkusen auf Rang zwei. Ja, sie spielen nun noch am Mittwochabend gegen Union, aber selbst nach dem Nachholspiel könnten es aus Münchner Sicht bestenfalls vier Punkte Rückstand sein.
Aus eigener Kraft Meister werden? Geht gerade also nicht. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Leverkusener mit dem Ex-Bayer Xabi Alonso als Coach gerade in Bayern-Manier ihre Punkte holen. Zweimal in Serie, in Augsburg und in Leipzig, siegten sie mit Toren in der Nachspielzeit. Der Bayern-Dusel zeichnete einst Münchner Meistermannschaften aus - nun brilliert Leverkusen mit dem "Bayer-Dusel".
Alonso dementiert Ausstiegsklausel nicht - als Meistertrainer wäre er gefragt
Hinzu kommt: Nicht erst seit der Vertragsverlängerung von Carlo Ancelotti als Trainer bei Real Madrid raunen sie in München zudem, dass Alonso auch einen guten Bayern-Trainer abgeben würde. Der Spanier soll Medienberichten zufolge eine Ausstiegsklausel für all seine Ex-Vereine als Spieler besitzen. Wie Real Madrid und der FC Liverpool ist halt auch der FC Bayern München darunter. Das erhöht für Tuchel den Druck auf Titel zusätzlich. In der vergangenen Saison schied er ja erst aus dem DFB-Pokal und dann aus der Champions League aus, ehe seine Mannschaft die Meisterschaft noch in letzter Minute durch einen Geistesblitz von Jamal Musiala errang.
"Ausstiegsklausel? Das sind Vertragsfragen. Im Moment bin ich sehr stark an Leverkusen gebunden. Ich fühle mich im Moment sehr wohl", sagte der 42-jährige Alonso in der Sendung "Universo Valdano" des spanischen Senders Movistar. Ein Dementi hört sich anders an. Und gut, der Meistertrainer in der Bundesliga wäre in München ohnehin immer gefragt.
Allerdings befinden wir uns bei all der medialen Aufregung auch erst im Januar, zur Mitte einer noch langen Fußball-Saison. Uli Hoeneß wusste schon vor Jahren zu berichten: "Der Nikolaus ist nicht der Osterhase." Sieben Punkte Rückstand, das wissen die Fußball-Fans und -Experten, wecken das bayerische Sieger-Gen erst recht, 2018/19 holte der FCB sogar neun Punkte auf. Eben jener Meistertrainer könnte am Ende der Saison also genauso gut Thomas Tuchel sein. Ein entspannter Sieg gegen Union wäre dafür aber schon einmal eine nicht unwichtige Voraussetzung.
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